Nicht erst seit den Gewalttaten, die seit Anfang voriger Woche Bayern erschüttert haben, ist klar: Rettungskräfte stehen in Amok- und Terrorlagen vor neuen Herausforderungen und brauchen auch in Deutschland neue Einsatzstrategien, um diese zu bewältigen.
Ob die Rettungskräfte in Unterfranken auf Gewalttaten wie das Axt-Attentat in Würzburg-Heidingsfeld vorbereitet sind? „Jein“, sagt Paul Justice, Einsatzleiter der Würzburger Rettungsdienste (Bayerisches Rotes Kreuz, Malteser und Johanniter). „Wir haben schon seit rund zehn Jahren sehr gute Konzepte für Einsätze mit einem Massenanfall von Verletzten (mindestens zehn Verletzte, Anm. d. Red.). Seit 2010 werden in Bayern auch alle Einsatzleiter im Rettungsdienst speziell für Amoklagen ausgebildet.“
Einsatzleiter bilden sich weiter
Im September 2009 ereignete sich an einem Gymnasium in Ansbach ein Amoklauf mit 15 Verletzten. Seitdem müssen Einsatzleiter einen achtstündigen Weiterbildungskurs besuchen.
Dieser ist in enger Zusammenarbeit mit der Polizei konzipiert, damit auch die polizeiliche Einsatzstrategie den Einsatzleitern nicht fremd ist und sie die Rettungskräfte im Ernstfall so organisieren können, dass sich die Einsatzkräfte nicht gegenseitig behindern. Entsprechende – kürzere – Kurse für Amoklagen gibt es auch für Rettungssanitäter und die Ehrenamtlichen. Als wesentliche Säule der Patientenversorgung bekommen sie im Großen und Ganzen die gleichen verpflichtenden Aus- und Weiterbildungen wie die Hauptamtlichen. Gegenwärtig sei das Interesse an Kursen zu Einsatztaktik und Patientenversorgung besonders groß, so Paul Justice.
Mit neuen Szenarien konfrontiert
„Wir haben eine gute Basis“, sagt er, „aber wir sind jetzt mit neuen Szenerien und Herausforderungen konfrontiert.“ So hat etwa das Bayerische Innenministerium als Konsequenz aus den Anschlägen in Paris und Brüssel Anfang Juni „Handlungsempfehlungen für Rettungsdiensteinsätze bei besonderen Einsatzlagen/Terrorlagen“ herausgegeben.
„Jetzt, nach den Gewalttaten in Bayern, werden die bestehenden Kurse noch mal ausgebaut“, sagt Paul Justice. „Alle Einsatzkräfte – Rettungsdienst, Polizei, Feuerwehr – bilden ihre Führungskräfte weiter. Parallel dazu erweitern wir unsere Anschaffungen und stellen uns auch materiell auf solche Amok- und Terrorlagen ein.“ Denn mit Verletzungen wie Schusswunden, starken Blutungen und großflächigen Verletzungen etwa nach Explosionen sind die Rettungskräfte in Unterfranken bisher selten konfrontiert.
Der Einsatz in Würzburg-Heidingsfeld wird – wie alle bisher einmaligen und seltenen Einsätze – von allen beteiligten Funktionsträgern noch mal evaluiert werden. Nicht nur die Art der Verletzungen, sondern die gesamte Szenerie, auf die sich die Rettungskräfte im Fall des Axt-Attentats in Würzburg, aber genauso in München und Ansbach einstellen mussten, unterscheidet sich grundlegend von anderen Einsätzen.
„Neu für uns ist, dass der Gefahrenbereich dynamisch ist und sich nicht so einfach definieren lässt, wie etwa bei einem Hausbrand oder einer Massenkarambolage“, sagt Paul Justice. „Es ist nicht klar, ob es noch einen weiteren Anschlag geben könnte, wo der Täter ist oder wie viele Täter es überhaupt sind. Das bedeutet eine zusätzliche Gefahrenquelle für alle Einsatzkräfte und für alle anderen Menschen, die dort sind.“
Die Konsequenz, die sich daraus für die Rettungskräfte ergibt: „Die Polizei muss grundsätzlich einen Gefahrenbereich erst sichern oder unsere Kräfte beschützen können, bevor wir sie hineinschicken“, sagt Paul Justice. „Und auch dann versorgen die Sanitäter die Verletzten nicht vor Ort, sondern müssen sie erst aus dem Gefahrenbereich herausschaffen – das ist eine völlig andere Strategie.“
Viele Verletzte, viele Helfer
Aber auch, wie viele Menschen verletzt sind, weiß die Einsatzleitung nicht, wenn der Notruf eingeht. Sie muss dann von einem Massenanfall von Verletzten ausgehen. Bei dem Attentat in Würzburg wurde die erste Alarmstufe eines solchen Massenanfalls ausgelöst und damit waren genügend Rettungskräfte mobilisiert, um zehn bis 25 Patienten versorgen zu können. „Bei der ersten Alarmstufe eines Massenanfalls von Verletzten sind mindestens 40 bis 50 Rettungskräfte im Einsatz“, sagt Paul Justice, „eine Schnelleinsatzgruppe für Behandlung und Betreuung, Notfallseelsorger und mindestens vier Notärzte.“ Etwa 20 Fahrzeuge, je nach Tageszeit und Verfügbarkeit, bedeute die erste Alarmstufe außerdem; tagsüber und wenn verfügbar außerdem Rettungshubschrauber. „Das mag viel sein“, sagt Paul Justice, „aber besser zu viele Kräfte im Einsatz, als zu wenige.“