Muss das sein? Ausgerechnet in den im engsten Familienkreis gefeierten Verlobungsabend platzt ein Inspektor, der Ermittlungen über den Suizid einer jungen Frau anstellt. Nach und nach entlockt der unangenehme Gast den Mitgliedern der "guten Gesellschaft" dunkle Geheimnisse, deckt ihre (Mit-)Schuld am entsetzlichen Tod von Eva Smith auf, dem eine Kette von Kausalitäten zugrunde liegt, auf. Die zuvor Ahnungslosen reagieren darauf ganz unterschiedlich. Die Feier gerät zum Desaster.
Das ist, grob umrissen, die Handlung in "Ein Inspektor kommt". Das inzwischen vor über 70 Jahren uraufgeführte Stück des britischen Autors John B. Priesley inszenierten Gwendolyn von Ambesser und Monika Schiefer für das Theater Chambinzky.
Kaum an Aktualität eingebüßt
Die gelungene Premierenvorstellung belegt: Das im Jahr 1912 spielende Kammerspiel, das ganz ohne Kunstblut und schreckliche Bilder auskommt, hat kaum Aktualität eingebüßt. Über den (einstigen?) Standesdünkel mag man heute lächeln, den Fragen nach eigener Verantwortung und darüber, wie eigene Handlungen das Leben anderer Menschen beeinflussen könnten, sollte sich jeder stellen. Wie steht es mit den individuellen Rechten und Pflichten?
Zunächst herrscht ungetrübte Familienidylle, die im Salon der neureichen Fabrikantenfamilie spielt (stimmiges Bühnenbild: Ulli Schäfer und Andreas Zehnder). Familienoberhaupt Arthur Birling, souverän dargestellt von Oskar Vogel, ist beglückt über die Verlobung seiner Tochter, verspricht sich der nüchterne, pragmatische Geschäftsmann durch diese Verbindung doch eine Zusammenarbeit mit dem (Noch-)Konkurrenten. Ihm zur Seite steht Gattin Sybil. Angela Fricke verleiht der machtbewussten Charity-Lady den passenden herrischen Unterton. Sie, die der verstorbenen Hilfsbedürftigen Beratung, Mitgefühl und Freundlichkeit verweigerte, nur ihre "Pflicht getan" hat, entpuppt sich als gnadenlose Richterin mit unerschütterlichen Ansichten – zumindest bis sie sich an ihren eigenen Worten messen lassen muss.
Zunächst glücklich über Verlobung
Die Kinder des Ehepaars sind die zunächst ob der Verlobung angemessen glückliche Sheila (Victoria Schlier) und der gelangweilt am Tisch lümmelnde Eric (Marcus Füller). Beider Verhalten wechselt zwischen Anpassung, Übernahme alter Verhaltensmuster und zunehmender Auflehnung gegen die Eltern, als ihnen ihrer aller Mitschuld am Tod der jungen Frau klar wird.
Mal herrscht das "impertinente Mädchen" die Mutter an, mal kritisiert es den Vater, mal fordert sie erfolgreich ein, an den Befragungen teilzunehmen – auch als sich der Inspektor ihren Verlobten Gerald Croft (Benedikt Boehm) vornimmt. Der antwortet verhalten ehrlich, lässt sich jedoch, anders als die Geschwister, nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Benedikt Boehm gibt den aalglatten Typ mit ganz sympathischem Touch.
Einschüchterndes Auftreten
Allein: Inspektor Goole (Michael Schwemmer) beherrscht mit seinem einschüchternden Auftreten, seinem als groß und anmaßend empfundenen Auftreten die zunehmend aufgewühlte Gesellschaft. "Tragen Sie Ihre internen Angelegenheiten später", faucht er die sich immer wieder lautstark Schuld zuweisenden oder verneinenden Familienmitglieder an. Für ihn steht fest: "Jeder von ihnen war am Tod von Eva Smith beteiligt."
Mit dieser Aussage verlässt der Inspektor das Haus und überlässt die Birlings samt Gerald Croft ihren Zweifeln, Ängsten, Lügen. Doch die Bedrückung währt, mit Ausnahme der Geschwister, nur kurz. Einen Anruf später macht sich nämlich Erleichterung breit: Gab es wirklich einen Suizid? War der Inspektor echt? Musste man aus diesem Abend was lernen? Oder kann man weitermachen wie bisher? Fragen, die auch die höchst gelungenen Schlusspointe nicht beantwortet.
Bis 5. Februar auf dem Programm, jeweils Mittwoch bis Sonntag 20 Uhr. Info und Karten unter Tel.: (0931) 51212.