Es tobte Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Bereits 1992 habe man die Gefahr kommen sehen, aber man habe nichts unternehmen können, weil die Straßen von der Armee der bosnischen Serben gesperrt gewesen seien, sagt Ibrahim Jasarevic, der heute in Würzburg lebt. „Nach und nach wurden die Dörfer und Städte zerstört – auch unser Dorf Macesi.“ Zwar habe man versucht, das Dorf zu verteidigen. Aber gegen die Macht der serbischen Armee und Milizen sei jede Verteidigung von vornherein aussichtslos gewesen. Als das Militär anrückte, verließen die Dorfbewohner den Ort. Innerhalb von wenigen Minuten packten sie das Nötigste ein. Eine Irrfahrt nach Srebrenica begann – sie sollte nicht ihre letzte sein.
Im Auftrag der UN waren damals rund 400 niederländische Soldaten in das Bürgerkriegsland geschickt worden, um die muslimischen Flüchtlinge in Srebrenica zu schützen. Der Einsatz scheiterte dramatisch. Am 11. Juli 1995 überrannten serbische Einheiten die Enklave. Die Gefangenen wurden unter den Augen der Blauhelme abgeführt und anschließend in den umliegenden Wäldern ermordet. Die mehr als 8000 Männer und Jungen wurden in Massengräber geworfen. Viele von ihnen wurden bis heute nicht gefunden. Vor vier Jahren legte die EU in einer Resolution den 11. Juli als offiziellen Gedenktag fest.
Ibrahim Jasarevic hatte damals sehr viel Glück, denn Srebrenica war längst nicht mehr sicher. Aber er schaffte es, die UN-Schutzzone zu erreichen. Für eine Strecke von 70 Kilometern brauchte er eine Woche. Mit einer Gruppe von 14 Menschen aus seinem Dorf harrte er im Wald aus. Sein damals 26-jähriger Bruder hatte nicht so viel Glück – er überlebte den Krieg nicht. „So ein furchtbares, traumatisches Erlebnis vergisst man nie“, sagt Jasarevic. Im Gegenteil: „Es begleitet einen ein Leben lang – beim Schlafengehen und beim Aufstehen.“ Den 45-jährigen Chef des Restaurants San Remo in Würzburg erzürnt auch heute noch das Versagen der internationalen Gemeinschaft: Die UNO habe damals gar nichts unternommen, um ihnen zu helfen, so Jasarevic. Und dass die Kriegsverbrecher auch heute noch unbehelligt herumlaufen, ist für ihn ein weiterer Beweis dafür.
Ibrahim Jasarevic ist aber nicht verbittert, sagt er selbst. In der Domstadt, wo er seit 2004 wieder wohnt, hat er seine zweite Heimat gefunden. Für ihn ist aber wichtig, dass die jüngere Generation aus der Geschichte lernt. „Das hoffe ich sehr.“ Denn die hasserfüllten Gesichter, denen er begegnet sei, könne er nicht vergessen. Das würde er nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen. „Diesen Hass kann man mit Worten nicht beschreiben.“
„Wir sind hier sehr gut aufgenommen worden“, sagt auch Zahir Durakovic, Iman der islamisch-bosnischen Gemeinschaft. Für viele in der Region lebenden Menschen aus Bosnien ist das Kulturzentrum in der Dr.-Maria-Probst-Straße 3 im Stadtteil Zellerau eine wichtige Adresse. Hier holen sie Informationen, tauschen sich aus oder feiern gemeinsam. Derzeit gehören rund 60 Familien der Gemeinschaft an. Sie kommen aus Bad Mergentheim, Marktheidenfeld, Schweinfurt, Ochsenfurt und Würzburg. Auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs und der daraus resultierenden Flüchtlingswelle waren es sogar über 250 Familien. „Ein Großteil der Flüchtlinge ist zurückgekehrt“, so Durakovic, der selbst 1992 floh und seit 1993 am Main lebt.
Zu der Nagelkreuz-Initiative pflegt der Iman gute Kontakte. Für ihn ist der Versöhnungsgedanke der ökumenischen Gemeinschaft ein wichtiges Anliegen. So nahm er 2013 als erster muslimischer Geistlicher am Versöhnungsweg am Gedenktag der Zerstörung der Stadt Würzburg teil und sang in der katholischen Kirche Heiligkreuz ein Gebet. Auch die Gedenkfeier an diesem Samstag wird eng mit der Nagelkreuz-Initiative koordiniert. Bosnien bleibe ein Unruheherd, solange der Völkermord an den Muslimen nicht aufgearbeitet ist, betont Johanna Falk von der Nagelkreuzgemeinschaft. Auch Iman Durakovic hofft weiterhin auf Versöhnung. Aber zuvor müsse die ganze Wahrheit ans Licht kommen.