Insekten bestäuben Obstbäume und Gemüsepflanzen. Sie zersetzen Aas, Totholz oder Kot. Zudem sind sie für viele andere Tiere eine unverzichtbare Nahrungsquelle. Doch eine aktuelle Studie bietet Grund zur Sorge: Wie niederländische Forscher nun nachwiesen, ist die Zahl der Fluginsekten in Teilen Deutschlands erheblich zurückgegangen.
In den vergangenen 27 Jahren nahm die Gesamtmasse um mehr als 75 Prozent ab, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „PLOS ONE“.Die Analyse bestätigt erste, im Sommer vorgestellte Ergebnisse.
Caspar Hallmann von der Radboud University in Nijmegen und seine Mitarbeiter hatten Daten ausgewertet, die seit 1989 vom Entomologischen Verein Krefeld gesammelt worden waren, also von ehrenamtlichen Insektenkundlern.
Diese hatten in 63 Gebieten mit unterschiedlichem Schutzstatus in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg mit Hilfe von Fallen Fluginsekten gesammelt und deren Masse bestimmt . Sie verglichen dann, wie sich in einzelnen Lebensräumen – etwa in Heidelandschaften, Graslandschaften oder auf Brachflächen – die Biomasse über die Zeit verändert hatte.Deutliche Abnahme von Insekten auch in der Region
Nicht an der Studie beteiligte Experten sprechen von einer überzeugenden Arbeit, durch die bisherige Hinweise auf ein massives Insektensterben auf eine solide Basis gestellt worden seien. Auch an der Universität Würzburg sieht sich der Biologe Dr. Dieter Mahsberg durch die Studie bestätigt.
Seit vielen Jahren stellt der Akademische Direktor am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie einen drastischen Rückgang der Artenvielfalt fest – etwa bei regelmäßigen Exkursionen mit seinen Studenten in die immer gleichen Lebensräume: „Früher haben wir zum Beispiel im Zeubelrieder Moor noch 20 Tagfalterarten beobachtet. Heute finden Sie dort noch zwei oder drei.“ Auch der Frontscheibeneffekt sei seit längerer Zeit auffällig: Anders als früher kleben im Sommer keine Kleininsekten mehr an den Autoscheiben.
Bauernverband warnt vor Schuldzuweisung an Landwirtschaft
Bisher haben auch Experten wie Mahsberg das Insektensterben nur gefühlt wahrgenommen, „jetzt haben wir die Zahlen dazu“. Die Größenordnung des Rückgangs von 75 Prozent überrascht auch den Würzburger Forscher, der sich trotz Ruhestand aktuell mit der Insektenvielfalt in den Kronen von Stadtbäumen beschäftigt – ein Projekt in Zusammenarbeit der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg).
Was die Methodik angeht, hält Mahsberg die Studie für absolut seriös. Sie decke mit 27 Jahren einen langen Zeitraum ab und basiere auf einem guten Datenmaterial sowie einer großen Stichprobenbasis. Das Ergebnis sei unstrittig: „Bei der Insektenvielfalt geht der Trend eindeutig nach unten.“ Mit Schuldzuweisungen hält sich allerdings auch der Würzburger Biologe zurück.
Die genauen Ursachen für das Insektensterben seien aus der Studie, die unter Fachleuten schon seit einigen Monaten bekannt war, nicht herauszulesen. Allerdings ist durch die Erhebung der Daten in geografisch verschiedenen Zonen von einem flächendeckenden Problem auszugehen. Mit Blick auf den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmittel will Mahsberg einen Einfluss der Landwirtschaft nicht ausschließen. Der Deutsche Bauernverband kritisierte die Studie, sie werfe mehr Fragen auf, als dass sie Antworten gebe.
Würzburger Biologin kritisiert intensive Agrarwirtschaft
Dr. Andrea Holzschuh, Privatdozentin am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie, macht die landwirtschaftliche Intensivierung klar mitverantwortlich für das Artensterben. Mit einer Arbeitsgruppe an der Universität Würzburg forscht sie an Wildbienen. Ihre Erkenntnisse: Naturnahe Flächen wie Hecken und wichtige Rückzugsgebiete gehen durch die Agrarwirtschaft verloren. „Nach unseren Studien ist die intensive Nutzung ein wichtiger Grund für das Insektensterben“, sagt sie.
Kollege Mahsberg geht davon aus, dass der ebenfalls dokumentierte Rückgang bei den Singvögeln auch mit dem Fehlen von Insekten zusammenhängt: „Sie sind ein wichtiges Glied in der Nahrungskette.“ Drei Viertel aller Tierarten weltweit sind Insekten. Sie haben Mahsberg zufolge eine wichtige Funktion für die Agrarproduktion. Sie könnte bei einem weiteren Rückgang von Insekten „dramatisch einbrechen“, auch mit Blick auf die ausbleibende natürliche Schädlingsbekämpfung.
Die Aufgabe, Artenvielfalt zu bewahren, lässt sich also nicht einfach auf Gartenbesitzer abschieben.
Aber man muss das natürlich zusammen mit den Landwirten machen, nicht gegen sie.