Manchmal hängt die Aufklärung eines Mordes an einem Haar – wie jetzt in Freiburg. Dort war die Medizinstudentin Maria L. auf dem Heimweg von einer Party überfallen, vergewaltigt und getötet worden. Mühsam suchten Spurensicherer die Umgebung des Leichen-Fundortes ab. Sie fanden ein Haar an einer Brombeerhecke, das mit gesicherten DNA-Spuren an der Leiche übereinstimmte.
Nun suchten Polizisten nach einem Mann mit gefärbten langen Haaren. Tagelang werteten sie Videoaufzeichnungen aus der Straßenbahnlinie 1 aus, die in die Nähe des Tatorts führt. Dabei fiel einer Polizistin ein junger Mann mit schwarzem Schal auf, wie er am Tatort gefunden wurde – und mit einem gefärbten Zopf. „Nach der technischen Aufarbeitung der Videoaufnahmen konnte der Mann gesichtet und kontrolliert werden“, bilanzierte Kriminaloberrat David Müller später, der Leiter der Sonderkommission, die Marias Mörder suchte.
Nicht immer liefert ein Haar eindeutige Ergebnisse
Der Festgenommene hatte inzwischen seine Frisur verändert. Aber das nutzte ihm nichts. „Vier Tage nachdem klar war, dass die DNA der Haarwurzel des mutmaßlichen Täters mit dem Material übereinstimmte, das wir am Opfer gefunden haben, konnten wir ihn verhaften“, sagt Müller.
Doch die Freiburger Ermittler gingen auf Nummer sicher, denn sie wussten: Seit einer bekannten Panne mit verunreinigten Wattestäbchen ist der einst tadellose Ruf des Beweismittels DNA angekratzt. Also wurde nach der Verhaftung des 17-Jährigen eine weitere DNA-Probe entnommen und im Landeskriminalamt in Stuttgart analysiert. Erst dann waren sich die Ermittler sicher: Die DNA stimmt wirklich überein.
Nicht immer liefert ein Haar so eindeutige Ergebnisse, wie der Fall der in Australien getöteten Simone Strobel aus Rieden (Lkr. Würzburg) zeigt. Seit fast zwölf Jahren sind sich Ermittler sicher, wer die junge Frau aus Unterfranken getötet hat. Auch sie fanden im Februar 2005 ein einzelnes Haar an einem Zaun nahe dem Fundort der Leiche. Stammt es (und anderes am Tatort gesichertes Material) vom Täter, dann trägt es seine genetischen Merkmale. Binnen zehn Jahren machte die Wissenschaft große Fortschritte.
DNA-Analyse - Der größte Fortschritt der Kriminaltechnik
Inzwischen sagen die damals gefundenen Spuren: Es ist möglich, dass der Verdächtige am Fundort von Simones Leiche war – aber die DNA-Funde sagen es (noch) nicht mit der Eindeutigkeit, die vor Gericht nötig wäre. Also ist er auf freiem Fuß.
Manchmal nährt eine DNA auch Zweifel an der Aussagekraft des Beweismittels – wie jetzt im Fall der toten Peggy. Seit 15 Jahren suchen Ermittler die Leiche und den Mörder der Neunjährigen. Als im Sommer ein Pilzsammler im bayerisch-thüringischen Grenzgebiet unverhofft Peggys Leiche fand, sorgte der Fund einer winzigen DNA-Spur auf einem Stofffetzen für Hoffnung – aber sofort auch für ungläubiges Staunen: Wer hätte mit dem Tod der Neunjährigen den rechtsextremen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt in Verbindung gebracht? Der hatte sich andere Opfer gesucht: erwachsene Migranten aus der Türkei und Griechenland – und in Heilbronn die Polizistin Michele Kiesewetter.
Ein langjähriger Mordermittler sagt: „Die DNA-Analyse ist der größte Fortschritt der Kriminaltechnik zur Klärung von Verbrechen seit der Einführung des Fingerabdrucks.“ Sie habe „die Verbrechensbekämpfung revolutioniert“, sagt auch Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU). Aber ein Mordermittler mit jahrzehntelanger Erfahrung relativiert: „Die DNA ist es ja nie allein, die zum Täter führt. Sie liefert immer nur einen wichtigen Hinweis, der durch weitere Beweise erhärtet werden muss.“
Der „Mythos“ vom „Phantom von Heilbronn“
Die Erfolgsstory lässt sich in Unterfranken zeigen: Winzige DNA-Spuren an einem Stoffstück am Tatort wurden 2001 einem Vergewaltiger in Rechtenbach bei Lohr (Lkr. Main-Spessart) zum Verderben – elf Jahre nach der Tat. Den Mörder der Rentnerin Anna Landeck aus Geroldshausen (Lkr. Würzburg) überführten 2001 winzige Hautpartikel auf der Mordwaffe, einem Pflasterstein. Und auch im Fall Simone Strobel hoffen die Ermittler weiter, mit immer verfeinerten Methoden der Analyse, den Täter anhand archivierter DNA-Spuren noch zu fassen.
Doch ausgerechnet einer der Morde, die inzwischen dem NSU-Trio zugerechnet werden, erschütterte den zuvor felsenfesten Ruf des Beweismittels: Als am 25. April 2007 in Heilbronn die Polizistin Michele Kiesewetter erschossen wurde, fanden Ermittler eine seltsame DNA-Spur. Sie stammte vom „Phantom von Heilbronn“ – einer Täterin von offenbar dämonischer Vielseitigkeit. Das Gen-Material stimmte mit DNA-Funden an 40 Tatorten überein, die nichts miteinander zu tun hatten: an einer Tasse nach der Tötung einer 62-Jährigen in Idar-Oberstein, an einer Heroin-Spritze in einem Wald in Gerolstein, an einer Getränkedose nach dem Einbruch in einer Saarbrücker Schule und an einem Auto, mit dem drei getötete Georgier in Heppenheim transportiert wurden.
Zwei Jahre suchte die Polizei, ehe sich herausstellte: Die DNA stammte von keinem Täter, sondern war auf unsauber verpackten Wattestäbchen. Die legten falsche Spuren, statt Beweise zu sichern. Die DNA stammte von einer Mitarbeiterin des Verpackungsbetriebs im oberfränkischen Tettau-Langenau. Und wenn man dem „Spiegel“ glauben darf, war dies kein Einzelfall.
Böhnhardts DNA am Fundort von Peggys Leiche
Kurz darauf grub das Magazin einen internen Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) aus, der sagt: In dessen DNA-Datenbank in Wiesbaden gab es mindestens sieben weitere Fälle, in denen genetische Fingerabdrücke vermeintlicher Verbrecher in Wahrheit von Polizisten stammen. Es habe sich „eindeutig bestätigt“, notierten BKA-Experten, dass sich Verunreinigungen von Spuren durch Mitarbeiter „trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nie gänzlich ausschließen lassen“.
Inzwischen gilt als wahrscheinlich, dass kein Phantom die 22-jährige Polizistin erschossen hat, sondern Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos – ohne erkennbares Motiv. Sie stammte aus der thüringischen Heimat des mutmaßlichen Terror-Trios, von dem nur Beate Zschäpe überlebt hat. Auf einer Trainingshose von Mundlos fanden sich winzige Blutspritzer der Polizistin. Und ihre gestohlene Dienstpistole lag im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach, in dem sich Böhnhardt und Mundlos 2011 nach einem missglückten Überfall erschossen, um nicht festgenommen zu werden.
Aber wie kommt DNA des seit November 2011 toten Böhnhardt fünf Jahre später an den Fundort von Peggys Leiche? Wieder eine Panne bei der Spurensicherung? Das wird seit Wochen verbissen geprüft. Waren Böhnhardts Kontakte zu Pädophilen der rechtsextremen Szene enger als gedacht? Oder hatte er in der nahen Hütte eines Pädophilen unter einer Decke geschlafen, die später zum Transport von Peggys Leiche benutzt wurde?
Das ist rätselhaft wie das Kinderspielzeug im ausgebrannten Wohnmobil der Terroristen. Also blickt man mit gedämpften Erwartungen am Donnerstag auf den NSU-Prozess in München. Dort will sich die angeklagte Beate Zschäpe, letzte Überlebende des mörderischen Trios, zum Fall Peggy äußern. Das Gericht hatte sie auch nach kinderpornografischen Bildern gefragt, die auf einem Computer im Versteck der Gruppe gefunden worden waren.
Falschen Verdächtigungen gegen Flüchtlinge den Boden ziehen
Doch jetzt lenkt der in Freiburg gelöste Fall die Diskussion darauf, dass die DNA viel mehr Informationen liefern könnte, als in Deutschland bisher erlaubt ist. Der eng gefasste Paragraf 81g der Strafprozessordnung schränkt die Verwertung stark ein. DNA-Proben – gewonnen aus einer Hautschuppe, einem Haar, einem Tropfen Körperflüssigkeit – könnten auch Rückschlüsse auf die Farbe von Augen, Haut oder Haaren zulassen. Aber dies und Rückschlüsse auf die ethnische Zugehörigkeit von Tätern wären ein Eingriff in Grundrechte. „Mehrere äußerlich sichtbare Körpermerkmale“, bestätigt das Stuttgarter Innenministerium, könnten „mit einer relativ hohen Vorhersagegenauigkeit bestimmt werden“. Bei der Augenfarbe liege die Trefferquote bei 90 bis 95 Prozent, bei den Haarfarben bei 75 bis 90 Prozent. Die Hautfarbe – hell oder dunkel – lasse sich sogar mit 98-prozentiger Sicherheit ermitteln.
Zudem lasse das Erbgut recht verlässliche Rückschlüsse auf die „biogeografische Herkunft“ zu. Möglich seien Erkenntnisse zum Kontinent, im besten Fall eine regionale Zuordnung – etwa nach West-, Ost- oder Südeuropa. Zumindest eine „Wahrscheinlichkeitsaussage“ sei möglich.
Das könnte – wie beim Mordversuch an einer jungen Frau im Schlosspark in Wiesentheid (Lkr. Kitzingen) – falschen Verdächtigungen gegen Flüchtlinge den Boden entziehen. Es würde aber auch – wie jetzt bei dem Afghanen in Freiburg oder in Bochum im Fall eines mutmaßlichen zweifachen Vergewaltigers aus dem Irak – die Ermittlung erleichtern.
Die Stimmung gegen kriminelle Flüchtlinge heizte das so an, dass selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Mord in der Provinz Stellung nehmen muss. „Wenn sich herausstellen sollte, dass es ein afghanischer Flüchtling war, dann ist das absolut zu verurteilen, genauso wie bei jedem anderen Mörder, aber auch ganz deutlich zu benennen.“ Merkel warnte, „dass damit aber nicht die Ablehnung einer ganzen Gruppe verbunden sein kann, so wie wir auch sonst nicht von einem auf eine ganze Gruppe schließen können“.
Schon werden Forderungen nach einer stärkeren Nutzung verfügbarer Informationen aus der DNA laut – trotz der Möglichkeit von Irrtümern. In den Niederlanden sind erweiterte DNA-Tests erlaubt. Der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU) setzt sich dafür ein, auch hier die Strafprozessordnung zu ändern.
Auch Freiburgs Polizeipräsident Bernhard Rotzinger sagt: „Wir hätten wesentlich konzentrierter die Ermittlungen vorantreiben können.“ In seinem Bereich ist ein zweiter Mord – der mit dem jetzt gelösten Fall in keinem erkennbaren Zusammenhang steht – unaufgeklärt: Drei Wochen nach der Studentin Maria L. wurde eine 27 Jahre alte Joggerin in Endingen, 20 Kilometer nördlich von Freiburg, Opfer eines tödlichen Sexualverbrechens. Der Mörder ist bisher unbekannt.