Das Motorengeräusch des Busses, der stadtauswärts durchs Oeggtor fährt, ist in der Vinothek des Staatlichen Hofkellers Würzburg kaum zu hören. Drinnen spielen gerade der Würzburger Pianist und Musikhochschulprofessor Martin Dombrowski sowie der Neurologe, Medizinprofessor, Geiger und Musikmäzen Klaus Toyka das Menuett aus Mozarts e-Moll-Violinsonate.
„Es ist ein von Melancholie durchzogener Satz“, erläutert der Pianist den Zuhörern in der sehr gut besuchten zweiten Konzertlesung der neuen, von Professor Ulrich Konrad initiierten und von Mozartfest-Intendantin Evelyn Meining moderierten Reihe „Allzeit ein Buch“. Mozart habe das Stück im Jahr 1778 nach der erfolglosen Bewerbung in Mannheim und dem Tod seiner Mutter in Paris komponiert, so Dombrowski.
Da liegt es nahe zwischen Mozarts Schicksalsschlägen und der traurigen Grundstimmung des Stückes eine Verbindung anzunehmen. Aber mit diesem Klischee räumt der Musikhochschulprofessor auf: „Es gibt nicht einen einzigen schriftlichen Hinweis, dass Mozart sich irgendwann mal etwas von der Seele komponiert hätte.“ Es gebe bei Mozart keine Ursächlichkeit zwischen persönlichen Erlebnissen und Kompositionen. Ein guter Komponist könne, unabhängig von den eigenen Erlebnissen, jederzeit „den menschlichen Stimmungen Töne verleihen“, so Dombrowski.
Ein Komponist sei nicht davon abhängig, bestimmte Lebensschicksale erlitten zu haben, um sie ausdrücken zu können. Die Vorstellungskraft ersetze die reale Erfahrung: „Man muss ja auch nicht als Arzt sämtliche Krankheiten gehabt haben, die man heilen will.“ Zur Untermauerung seiner Aussagen interpretiert der famose Pianist noch das elegische h-Moll-Adagio und das scharf dissonante D-Dur-Menuett.
Die subjektive Deutung von Mozarts Musik durch den Hörer sei hiervon unbenommen, unterstreicht der Musikprofessor. Mediziner Klaus Toyka greift diesen Ball auf: „Jede Deutung kann wahrhaftig sein, aber ob sie auch wahr ist, das steht in den Sternen.“ Der Neurologe vertieft die Kernfrage des Abends, nämlich die Frage nach den möglichen Zusammenhängen zwischen Mozarts Krankheiten und seelischen Belastungen auf der einen Seite und Mozarts Werk auf der anderen Seite.
Der Mediziner attestiert Mozart „eine robuste Gesundheit“. Er habe in der Kindheit alle damals grassierenden Erkrankungen gut überstanden – darunter beispielsweise Paratyphus, Echte Pocken und Hepatitis A. Vater Leopold Mozart habe eine für die damalige Zeit gut ausgestattete Reiseapotheke gehabt. Zu den angewandten Mitteln meint Toyka: „Es scheint Mozart zumindest nicht geschadet zu haben.“
Und in Sachen seelische Belastungen des Komponisten erinnert der Neurologe daran, dass im Laufe der vergangenen 200 Jahre bei Mozart – neben 140 unterschiedlichen Todesursachen – auch 27 Geisteskrankheiten ins Spiel gebracht worden seien. Aber Toyka betont: „Es gibt keinen einzigen Hinweis auf eine lebenslang bestehende psychische Erkrankung bei Mozart.“ Mozart habe sicher seine eigenen charakterlichen Eigenschaften gehabt, die aber in das breite Spektrum der menschlichen Charaktere gehören würden. Alles andere seien Spekulationen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Pianist und Geiger, Musikhochschulprofessor und Medizinprofessor, Dombrowski und Toyka sind sich einig: Die Gleichung von Biografie und musikalischem Werk geht bei Wolfgang Amadeus Mozart nicht auf.
Nun ist Mozart aber noch nicht einmal 36 Jahre alt geworden. „Wenn er denn eine so robuste Gesundheit hatte, wieso ist er dann so jung gestorben?“, lautet eine Zuhörerfrage. Antwort von Klaus Toyka: Wahrscheinlich hatte sich Mozart eine Virusinfektion eingefangen, auf die sich eine bakterielle Infektion setzte. Das dürfte zu einer Blutvergiftung geführt haben, an der er dann gestorben sein dürfte. Derartige Infektionen waren damals laut Toyka häufig. Und die Behandlung mit Quecksilbersalzen und Aderlässen könnte zum tödlichen Verlauf beigetragen haben. Was der Miloš-Forman-Film „Amadeus“ zum Tod Mozarts transportiert habe, gehört alles ins Reich der Märchen, sagt Toyka.
Absage: Die für den 24. Juni vorgesehene dritte Veranstaltung der Reihe „Allzeit ein Buch“ mit Gerold Huber muss aus Termingründen entfallen. Sie soll beim Mozartfest 2015 nachgeholt werden.