Es kann einen zur Verzweiflung treiben. Gefühlte Stunden dreht und steckt man mit den Fingern die kleinen runden Holzscheiben hin und her - und die letzte Scheibe passt dann doch nicht in den würfelförmigen Behälter. Oder die sechs vertrackten Kugeln: Irgendwie müssen sie ja durch die Löcher in den hohlen Würfel, in den "Tower of London", hineingekommen sein. Wie aber bringt man sie heraus? Bei den einen Verzweiflung, bei anderen der Glücksmoment - dann, wenn einem die Lösung plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt. Heureka!!
Aber wer, um Himmels willen, denkt sich solche Rätsel, solche Probleme, solche millimetergenau geschnittenen Holzteile aus, die sich nur mit dem einen richtigen Kniff richtig aneinanderreihen lassen? Was wie ein Geniestreich in den Händen liegt, ist das Ergebnis manchmal jahrelangen Grübelns - besser gesagt: das Ergebnis eines Denkens, das Kreativität und Logik verbindet. Mechanische Denkspiele: Es gibt eine weltweite Fangemeinde dafür.
Im Hauptberuf Referatsleiter an der Universität Würzburg
Einer ihrer erfolgreichsten Erfinder und Entwickler lebt in Würzburg. Hier hat Volker Latussek auch in seinem Hauptberuf nicht selten Unmögliches möglich zu machen. Der 54-Jährige leitet das Referat Planung und Berichtswesen an der Universität, hat endliche Ressourcen auf bisweilen unendliche Bedürfnisse der verschiedenen Fakultäten abzustimmen. Als promovierter Physiker leitete er zunächst die Institutsverwaltung, wechselte dann in die Zentralverwaltung. Und der gebürtige Westfale weiß auch mit Computern umzugehen - für sein ausgefallenes Hobby nicht unwesentlich.
Schon im Studium hatte Latussek die Programmiersprache Fortran gelernt. Damit kann er heute eigene Programme schreiben und Berechnungen anstellen, ob ein neues Holzpuzzle bzw. ein Denkspiel überhaupt funktioniert und wie groß bestimmte Teile oder Ausschnitte sein müssen.
Im Urlaub auf neue Spielideen kommen
Ganz am Anfang aber steht die Idee. Und die kommt ihm gerne im Urlaub, wenn Muße ist, Zeit für Kreativität und freies Dahindenken. Aus alltäglichen Beobachtungen entwickelt er ein Denkproblem: "Manches", sagt Latussek, "geht in wenigen Minuten, anderes über Jahre." So wie Casino, sein jüngstes und bislang erfolgreichstes Spiel.
Dieses "Ei" hat der Erfinder lange ausgebrütet - und die Spielewelt ist begeistert. Beim globalen Jahrestreffen der Denkspielsammler im vergangenen Jahr in San Diego (USA) bekam Latussek den Jurypreis und den Publikumspreis als "Puzzle of the Year" verliehen. Und gerade erreichte ihn eine Anfrage aus Japan, wo das Spiel in einem Antidemenzprogramm eingesetzt werden soll. Auch in Australien und Großbritannien gibt ist eine starke Resonanz.
Kritiker überschlagen sich förmlich vor Lob und Faszination darüber, wie gleichzeitig simpel ein Spiel gestaltet und wie kniffelig doch die Lösung sein kann. Sechs gleich große Holzscheiben, ein hohler Würfel mit zwei Stegen an der offenen Seite - das ist alles. Aber nur ein spezieller Denkschritt bringt den Erfolg und die Scheiben bündig in den Behälter. Die Schlichtheit, die Reduziertheit hat Latussek zu seinem Prinzip gemacht, im eigenen Alltag und beim Erfinden der Spiele.
Latusseks Prinzip: Einfache Spiele, knifflige Lösung
Wo diese ansonsten immer komplizierter daherkommen, setzt der bescheidene Westfale genau aufs Gegenteil: "Einfach, einfach, einfach. Möglichst wenige Teile und möglichst die gleichen Teile", das ist sein Credo. Latussek ist überzeugt, dass die Beschäftigung mit mechanischen Denkspielen die Problemlösungskompetenz der Spieler fördert.
Zwar seien Denkspiele in den vergangenen Jahren angesichts fortschreitender Digitalisierung etwas aus der Mode gekommen. Aber es scheint Zeit für den Gegentrend: "Die Leute wollen wieder mehr anfassen, schätzen das haptische Erlebnis", so seine Beobachtung. Das schönste Kompliment für "Casino" bekam der Physiker von einer Uni-Kollegin: Deren 16-jähriger Sohn habe zwei Stunden lang an der Lösung getüftelt - und in dieser Zeit das Smartphone tatsächlich still in der Ecke liegen lassen.
Nein, "quälen" will Latussek die Spieler mit seinen Puzzle nicht. Fordern dagegen wohl. "Ja, es soll eine Herausforderung sein", lacht der Physiker, der um einen flotten Spruch nie verlegen ist. "In ein gutes Denkspiel sollte man schon eine halbe Stunde investieren müssen." Wer die Geduld aufbringt, "wird mit einem Glücksgefühl belohnt."
Mathematisches Verständnis? Braucht nur der Entwickler. Vom Spieler gefordert sind neben Geduld und dem Grundinteresse eine gewisse Fähigkeit, Probleme zu lösen, eine gute Vorstellung von Raum, Ablauf und Bewegung sowie "ein Gefühl für Formen". Alter oder Geschlecht spielten dabei keine Rolle. Und wie überprüft der 54-Jährige den Schwierigkeitsgrad eigener Erfindungen, bevor sie auf den Markt kommen? Dafür habe er mit seiner Frau eine verlässliche Testperson, sagt er. Ist das Spiel zu schnell gelöst, fliegt es in die Tonne.
Die nächsten Spiele sind schon in Vorbereitung
Wer nun glaubt, die Wohnung der Latusseks würde vor Spielen überquellen, täuscht sich. 17 eigene Denkspiele hat der Physiker inzwischen entwickelt, die nächsten Ideen stehen bereits, unter anderem zum Röntgen-Jubiläum im nächsten Jahr. Doch die Erfinderstube zuhause besteht nur aus dem Küchentisch, dem Rechner und: der Wohnzimmerschublade. Die ist voll mit Legosteinen. Damit stellt Latussek als erstes die Idee für ein Denkspiel nach. Funktioniert es, schreibt er die Pläne dazu und lässt das Puzzle - quasi als Prototyp - über einen 3D-Drucker herstellen.
Von seinen 17 Erfindungen sind derzeit zehn Spiele im richtigen Handel, vertrieben werden sie über Rombol, einen Spezialverlag für Holzspiele. Für den "Tower of London" - in der Urfassung hieß er "Murmelkäfig" - heimste Latussek 2016 beim Sammlertreffen in Kyoto bereits den "Grand Prize" als höchste Auszeichnung der internationalen Jury ein. Zwei Jahre zuvor hatte er - auf Helgoland - die Idee, den aus sieben Teilen bestehenden Soma-Würfel zu "verpacken": Die Kunst ist es, den Würfel innerhalb eines Holzbehälters zusammenzubauen, wobei sich die Teile nur über zwei schmale Öffnungen einfügen lassen. Die Universität Würzburg nutzt den "Uni-Würfel" heute als pfiffigen Werbeträger.
Es geht nicht um den finanziellen Erfolg
Der "Soma-Pack" war in Deutschland das erste käufliche Puzzle des Erfinders, andere Spiele entwickelte Latussek schon seit 2010. Der Mann ist reich an Ideen, wirtschaftlich lohnt sich sein Erfindergeist bislang nicht. Er hat viel mehr Aufwand hineingesteckt als an kleinen Erträgen herauskommt.
Patente auf solche Spielideen anzumelden, sei nicht möglich. Aber die Community der Denkspieler ist verschworen, Plagiate würden schnell auffliegen und den Produzenten ins Abseits befördern. Volker Latussek geht es ohnehin nicht um den finanziellen Erfolg. Er ist glücklich, wenn andere über seinen Spielen grübeln - und schließlich ihre eigenen Glücksmomente erleben.
Die mechanischen Denkspiele von Volker Latussek sind erhältlich bei Rombol: www.rombol.de/denkspiele