
Udo Breitenbach montiert Trödel und Antiquitäten zu Kunstwerken. Die werden nun unter dem Titel "diE GaNzE WaHRHeiT" im Spitäle ausgestellt. Und natürlich ergriff der Künstler die Gelegenheit und nutzte diesen historischen Kirchenraum selbst als Material. "Selbst" im wörtlichen Sinn. Denn in der Apsis, dem "Ort des Allerheiligsten", so Breitenbach, steht sein raumgreifendstes Werk "Das Orakel von Selfie". Betreten erlaubt! Besucher sollen sogar in den kreisförmig markierten Selfie Point treten und sich mit dem markanten umgedrehten roten Tropfen im Hintergrund selbst ablichten. Ob sie sich auf diese Weise selbst erkennen, wie es das ähnlichnamige griechische Orakel forderte, bleibt bewusst weit offen.

Dem rot-orange-farbigen Ring des Selfie Point entspricht ganz vorn im Saal der Abstandhalter um den elektrischen Heizkörper, der da klagt, ihm fehle die menschliche Wärme. Das Gerät steht auf einem Schaufensterpuppen-Unterleib, dessen Beine ähnlich weit ausschreiten wie die der "Corona-Phalanx" weiter hinten im Spitäle. Diese Bewegungen längs durchs Spitäle steuern eine weitere Klammer zur formalen Einheit der "GaNzEn WaHRHeiT" bei.
Die Wände links und rechts zeigen "zwei Argumentationsstränge"; mit dieser Wortwahl bleibt der Künstler bei seiner Führung (sonntags, 15 Uhr) dem Wahrheitsthema treu. Links stehen neuere tagespolitische Arbeiten, rechts geht es um die "individuell-psychologische Wahrheitsfindung". Auf beiden Seiten spüren die Zuschauenden eine kritische Grundhaltung. Im Prinzip illustriert Udo Breitenbach oft bildhafte Redewendungen mit genau den Gegenständen, die in der Sprache zum Vergleich dienen. Er nimmt Sprache wörtlich. Wundersamerweise fällt dieses Verfahren, das gezeichnete Cartoons fast immer öd und flach macht, hier witzig bis geheimnisvoll und schön aus. Man kann sich an den Bildern freuen, ohne das Bilderrätsel zu lösen.
Zum Gelingen trägt das wertige Material dieser Plastiken bei. Aus Plastik ist da wenig. Insgesamt strahlen die Werke eine Atmosphäre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus, genauer von 1916 bis Ende der 1920er Jahre. Sie stehen dem Dada und dem Surrealismus nahe. Und umgedreht: Die heutigen Ausstellungsbesuchenden gewinnen wohl kaum den ersten Eindruck, in eine kunsthistorische Schau geraten zu sein. Das ist alles sehr gegenwärtig. Und dass die missratenen Väter Max Ernst und René Magritte 2022 mitreden dürfen, spricht nur für die – oft als allzu modisch aufgefassten – Stile Dada und Surrealismus. Dass die Ausstellung mit ihrer drohenden Exponaten-Überfülle so gut gelang, liegt aber auch an jahrzehntelangen Erfahrungen des Diplom-Kommunikationsdesigners Breitenbach als Museumsraum-Gestalter.
5. bis 27. Februar Di. bis So. 11 bis 18 Uhr. Sonntags ist der Künstler anwesend.

