Seit genau 100 Jahren ist die Würzburger Volkshochschule (vhs) für alle Menschen da, die Lust haben, in ihrer Freizeit Neues zu lernen. Alte und Junge, Männer und Frauen, Menschen mit und ohne Handicap sollen hier spannende Angebote finden. Soweit die Theorie. Tatsächlich besuchen Menschen, die im Rollstuhl sitzen, die blind oder kognitiv beeinträchtigt sind, die Volkshochschule eher selten. Das soll sich ändern. Ein erstes Pilotprojekt zeigt, was getan werden muss, damit die vhs inklusiver wird.
Fünf Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen nahmen im vergangenen Semester, begleitet von FH-Studentin Elisabeth Schwab, an verschiedenen Kursen teil. Einer fand Gefallen am Kochen, ein anderer an Yoga. „Ich habe einen Meditationskurs besucht“, sagt Ralf Wocher. Das war für den 53-Jährigen, der bei einem Unfall eine Hirnverletzung erlitt und dadurch kognitiv beeinträchtigt ist, eine interessante Erfahrung. Dass es dem Dozenten sofort gelingen würde, die Teilnehmer zum Meditieren zu bringen, das hätte Ralf Wocher nie gedacht.
Schwere Eingangstür macht Probleme
Aufgrund seiner Beeinträchtigungen geht Wocher schon lange keiner regulären Arbeit mehr nach. Dennoch hat er Lust, seine Freizeit aktiv zu verbringen. Vor über zehn Jahren entdeckte der Würzburger die Offene Behindertenarbeit (OBA) der Diakonie als Anlaufstelle. Hier treffen sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Einschränkungen. Sie kochen zusammen, lernen miteinander Englisch oder musizieren gemeinsam. Die Angebote werden stark nachgefragt, sagt OBA-Leiterin Silke Trost: „Doch letztlich wäre es uns am liebsten, wenn es unser Programm nicht mehr bräuchte, weil sich die etablierten Bildungseinrichtungen in der Stadt geöffnet haben.“
Dass die vhs grundsätzlich offen ist für alle Menschen, das erfuhr nicht nur Ralf Wocher. Auch Steffen Götz machte während des Pilotprojekts gute Erfahrungen. Der 39 Jahre alte Rollstuhlfahrer nahm an einem Englischkurs teil: „Das war das erste Mal, dass ich in der vhs war, obwohl ich aus Würzburg bin.“ Hilfreich war für Götz, dass Elisabeth Schwab ihn begleitete. Denn der Bildungszugang scheiterte in seinem Fall bereits am Eingang. Die schwere Tür zu öffnen, war ihm als Rollstuhlfahrer nahezu unmöglich. Von Schwab begleitet zu werden, war für Götz aber auch mit Blick auf die anderen Kursteilnehmer wichtig: „Dadurch kommt man leichter in Kontakt.“
Anmeldeverfahren zu komplex
Steffen Götz hat schon oft erlebt, dass Menschen, die keine Behinderung haben, ihm gegenüber befangen sind. Sollen sie ihm Hilfe anbieten? Oder fühlt sich Götz dadurch bedrängt? Was dürfen sie fragen? Was auf keinen Fall? Steffen Götz ist es am liebsten, wenn Nichtbehinderte völlig unbefangen mit ihm umgehen. Was er aber nicht immer spontan ausdrücken kann. Elisabeth Schwab als Assistentin unterstützte ihn während des Englischkurses dabei, kommunikative Brücken zu schlagen.
Wer allen Menschen den Zugang zur Erwachsenenbildung ermöglichen möchte, kommt an Assistenzleistungen nicht vorbei: Das gehört zu Schwabs wichtigsten Erkenntnissen in ihrer 150 Seiten starken Bachelorarbeit, die übrigens mit der Note „Eins“ bewertet wurde. Bereits vor dem Kursbesuch ist Unterstützung notwendig. Denn Menschen mit einer Lernbehinderung sind mit dem dicken vhs-Programm, das 2500 Kurse auflistet, überfordert. Programme in leichter Sprache existieren noch nicht. Auch das Anmeldeverfahren ist oft nur mit Assistenz zu bewältigen.
Programm in leichter Sprache anbieten
Für Sebastian Kestler-Joosten, Pädagogischer Mitarbeiter im Fachbereich Gesundheit und stellvertretender vhs-Geschäftsführer, sind die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt sehr wichtig. Sein Ziel ist es, die Volkshochschule nach und nach inklusiver zu gestalten. Die Stadt will ihren Teil dazu beitragen, indem sie das Hauptgebäude barrierefrei umbaut. Auch wird überlegt, wie das Programm in leichterer Sprache angeboten werden kann. In Bamberg schaffte es die vhs in Kooperation mit der Lebenshilfe, ein 60-seitiges Programmheft in leichter Sprache zu kreieren.
Der größte Knackpunkt bleibt die Notwendigkeit, Assistenz anzubieten. Für Kinder und Jugendliche, so Silke Trost, gibt es Schulbegleiter, die auch öffentlich finanziert werden. Assistenten für bildungsdurstige Erwachsene werden noch nicht gefördert. Was sich möglicherweise aber bald ändern wird. Denn das Bundesteilhabegesetz fordert auch Teilhabe im Freizeitbereich. Der Bezirk Unterfranken reagierte auf diesen Rechtsanspruch vor wenigen Tagen, indem er beschloss, ein Teilhabegeld für Freizeit und Erwachsenenbildung auf den Weg zu bringen.