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Die Provinz lebt - und mordet
Würzburg Immer öfter tauchen sie in Buchläden auf: Krimis, die nicht in Weltstädten wie New-York, London oder Berlin spielen, sondern zum Beispiel in Würzburg. Regionalkrimis werden immer beliebter. Nicht nur in der Provinz.
Von unserem Redaktionsmitglied Susanne Vankeirsbilck
 |  aktualisiert: 07.09.2017 12:06 Uhr
"Das überrascht mich nicht", sagt Prof. Gerhard Wagner vom Würzburger Institut für Soziologie und spricht von der "Glokalisierung". Seit etwa 20 Jahren gebe es einen Trend der Vereinheitlichung, Grenzen lösten sich auf, Nationen rückten näher zusammen. Das rufe seit den 1990er Jahren eine Gegenbewegung auf den Plan: die Besinnung auf das Nationale, Regionale, Lokale. "Wenn immer mehr vernetzt wird, wächst das Bedürfnis nach etwas Eigenem, nach Vertrautem. Das Lokale gewinnt einen neuen Wert."

In den 50iger Jahren, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, habe man sich auf die Heimat besonnen. "Was sich vor allem in Heimatfilmen niederschlug", sagt Wagner. Es folgte der Aufbruch der 60er und 70er. "Da wollte man das Exotische. Heute haben wir dank unzähliger TV-Kanäle und Internet jederzeit die ganze Welt zuhause." Krimis, denen die eigene Stadt als Kulisse dient, sind da ein greifbares Stück Lokalität.

Weit mehr als Lokalkolorit

Und doch wehren sich viele Autoren selbst gegen den Begriff "Regionalkrimi". Das liegt wohl vor allem darin begründet, dass nicht selten der Fehler begangen wird, den Regionalkrimi mit Krimis lediglich von regionaler Bedeutung zu verwechseln, oder gar mit Heimatromanen gleichzusetzen. Ein anspruchsvoller Regionalkrimi aber ist mehr als Lokalkolorit. Es reicht eben nicht, dass man den Vorgarten des Bürgermeisters mit Leichen pflastert.

"Krimis funktionieren vor allem auf der psychischen Schiene", erklärt Prof. Christoph Daxelmüller vom Würzburger Lehrstuhl für Volkskunde. "Das Geschehen muss so real sein, dass der Leser sich mit dem Geschehen identifizieren kann, und gleichzeitig denkt ,Zum Glück passiert mir das nicht'. Es könnte aber theoretisch passieren." Und dieses Spannungsfeld wird gerade dadurch verstärkt, dass sich der Roman in einem lokalen Umfeld bewegt. "Der Leser von Regionalkrimis geht durch eine real existierende Stadt." Im besten Fall erkennt er sie wieder.

Dass ein Autor für sein Verbrechen die Heimatstadt wählt, erscheint bei so viel nötigem Detailwissen logisch. Das spart Recherchearbeit. Ein kleines Dorf aber reicht freilich nicht aus. Schließlich braucht der Leser ein paar markante Punkte, um sich zurecht zu finden. In Würzburg sind das die Alte Mainbrücke, die Resident, die Festung und natürlich der Main. So haben selbst jene, die Würzburg nur aus touristischer Sicht kennen, eine konkrete Vorstellung davon, "ein fühlbares Bild. Ohne das ist der Hintergrund, vor dem ein Verbrechen stattfindet, blass", sagt Daxelmüller. Selbstredend bleiben auch menschliche Eigenarten der jeweiligen Region im Krimi nicht außen vor. Würzburger Roman-Kommissare trinken Schoppen - was sonst.

Dass in Krimis auch lokale Staus, Baustellen und Schlaglöcher ihren Niederschlag finden, die nur den Einwohnern ein Begriff sein dürften, stört dabei nicht. "Im Gegenteil", sagt Daxelmüller. "Das erlebt jeder Leser täglich in seiner eigenen Stadt. Hier treffen sich Leidgeplagte."

Doch Wiedererkennen, Detailtreue und Lokalkolorit machen freilich noch keine gelungene Kriminalgeschichte aus. Die Handlung selbst muss auch stimmen; logisch aufgebaut, spannend geschrieben, zum mit ermitteln und -leben. Das aber gilt für jeden Krimi. Ganz gleich ob er nun in New-York spielt, London, Berlin - oder eben Würzburg.

 
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