Es ist noch gar nicht so lange her, da war es als Würzburger völlig normal, uniformierten Amerikanern zu begegnen. Schon seit 1945 waren US-Soldaten in Würzburg stationiert, nahmen den 1936 errichteten Fliegerhorst der Reichs-Luftwaffe in Besitz. Aus diesem entstanden die Leighton Barracks, in denen zeitweise das Hauptquartier der „Big Red One“ (der 1. US-Infanteriedivision) stationiert war.
Nach Abzug der US-Army im Jahre 2008 wurde 2012 das Gelände schließlich an die Stadt Würzburg übergeben. Vieles hat sich seither getan, Straßennamen wurden geändert, Gebäude abgerissen – großenteils wegen verbauten Asbests. Neue Wohnungen werden gebaut und auch die Universität drückt der ehemaligen Kaserne zunehmend ihren Stempel auf. Doch man irrt, wenn man glaubt, dass für viele beschäftigten Amerikaner die Kaserne lediglich ein Arbeitsort war. Viele sahen es als ihr Zuhause an, schauen auch heute noch auf aktuelle Entwicklungen in ihrer ehemaligen zweiten Heimat. Natürlich mit gemischten Gefühlen: einerseits froh, dass das Gelände weiterhin sinnvoll genutzt wird, andererseits etwas wehmütig wegen der umfangreichen Neugestaltung.
Ein Stück Geschichte geht verloren
„Die Leighton Barracks waren immer Teil von Würzburg. Aber nachdem das Grundstück von den Amerikanern nicht mehr gebraucht wird, halte ich es für einen tollen Ort, um den Campus zu erweitern“, meint beispielsweise Michael Leno, der in Würzburg als High-School Lehrer tätig war und mittlerweile in Jacksonville/Oregon lebt. Das finden auch seine ehemaligen Kollegen Ralph Henson-Lukas (1979-2008, mittlerweile Licking/Missouri) und Carol O?Donnell-Knych (1968-1994, mittlerweile Tucson/Arizona), die aber anmerkt: „Ich finde es gut, dass die Universität viele Gebäude, die wir hinterlassen haben, nun nutzt. Aber ich bin natürlich traurig, dass so vieles auch abgerissen werden musste.“
Auch der ehemalige Canon Crew Member (Artillerie) Jonathan Wooden, der in Würzburg ein Geschäft betreibt, sieht das ähnlich: „Ich wünschte mir ein wenig mehr wäre erhalten geblieben, beispielsweise mehr Schlüsselgebäude oder Straßennamen. Es geht hier schon ein Stück Geschichte verloren. Außerdem fühlt es sich an, als würde mir jemand einen Teil meines Herzens nehmen.“
Wertvoller Erfahrungsaustausch
Diese Geschichte ist eine, die die Amerikaner und Deutschen in Würzburg zusammenbrachte. „Es war ein toller Ort, den man Heimat nennen konnte. Wir haben wundervolle Erinnerungen und Freunde gewonnen. Aber wo finde ich einen Exporteur für diese feinen fränkischen Weine?“, erinnert sich der von 1992-2008 ebenfalls als Lehrer tätig gewesene Philipp Seidner (mittlerweile Petaluma, Kalifornien) an seine Zeit in Franken. „Mein wirkliches Kennenlernen der deutschen Kultur begann mit meiner Ankunft hier. Bücher und Kurse sind einfach kein Ersatz für die persönliche Erfahrung.“ Wooden sieht sogar viele Nachteile im Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Würzburg: „Ich glaube, dass der hier stattgefundene Erfahrungsaustausch sowohl für Amerikaner als auch für Deutsche sehr wichtig war. Wir haben Dinge, die ihr nicht habt und umgekehrt. Ich denke, dass dies eine Bereicherung für beide Kulturen bedeutet. Es war eine wirkliche Partnerschaft und die Leute liebten unsere Hamburger und Eiscreme – beispielsweise in der deutsch-amerikanischen Freundschaftswoche in den Leightons.“
So wurde Würzburg für viele Amerikaner zu weitaus mehr als ein reiner Arbeitsplatz, es wurde ein Stück Heimat, nicht das nur für die Erwachsenen, auch für deren Kinder. „Meine schönste Erfahrung in Würzburg war, dass meine Kinder ebenfalls dort waren. Alle meine fünf Kinder waren in Deutschland im Kindergarten und in der Schule. Die Abschlussfeier meiner Tochter an der deutschen Universität fand 1981 statt“, erinnert sich O?Donnell-Knych. Doch darf man laut Leno nicht vergessen, „dass viele Soldaten sich nicht mit der Kultur beschäftigten. Sie waren lediglich eine kurze Zeitperiode hier. Vielmehr waren die zivilen Mitarbeiter wie wir Lehrer in die örtliche Gesellschaft integriert. Meine Frau und ich beispielsweise waren über 20 Jahre in Deutschland.“
College für Sozialgeschichte
Umso positiver sehen die ehemaligen Bewohner der Leighton Barracks Ansätze, den kulturellen Transfer und Dialog zwischen zivilen und unpolitischen Teilen der Bevölkerung beider Länder aufrechtzuerhalten. Angesprochen auf die Idee, ein Research and Teaching Center auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne einzurichten, meint Leno: „Ich kenne Flagler College als ein exzellentes College für Kulturwissenschaften.
Ich finde es gut, wenn sie in Richtung Sozialgeschichte expandieren und hierzu eine Partnerschaft mit der Universität Würzburg eingehen.“
Einig sind sich alle über die überaus positiven Eindrücke, die sie aus Würzburg mitnehmen. „Wir haben nie eine schlechte Erfahrung mit Deutschen gemacht. Ich war nur überrascht, welch eine verzerrte Sicht die deutschen Schüler über ihre eigene Vergangenheit habe. Deutschland war nicht nur böse, es hat eine lange Geschichte und viel Wertvolles für die Welt beigetragen, auch das sollte und muss man sehen. Gott segne Deutschland und alle deutschen Staatsbürger“, sendet Leno beste Wünsche über den Atlantik ins ferne Würzburg.