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Die große Fastnachtsfamilie
Fastnacht in Franken: Wieder sahen fast vier Millionen TV-Zuschauer die bunte Narrenshow aus Veitshöchheim. Was ist das Geheimnis des Erfolgs? Eine Suche nach Antworten inmitten von Politik-Granden, Faschingsstars und Bockwurstduft.
Achim Muth
 |  aktualisiert: 03.02.2016 03:32 Uhr

Vergangener Dienstag. In den Mainfrankensälen in Veitshöchheim wird noch gehämmert, aber die Rokokokulisse ist schon fertig, die Putten stehen auf ihrem Platz. Im Saal herrscht Gewusel, Kameraleute besprechen Ablaufpläne, Techniker verlegen Kabel. In einem Nebenraum des Foyers haben der Bayerische Rundfunk (BR) und der Fastnacht-Verband Franken zu einer Pressekonferenz geladen. Es gibt Krapfen. Volker Heißmann und Martin Rassau sind da, klar, Bernd Händel auch, der Sitzungspräsident, dazu Bauchredner Sebastian Reich. Es geht um Erwartungen, Hoffnungen, und als Sänger Matthias Walz aus Karlstadt gefragt wird, was diese Sendung für ihn bedeute, da sagt er einen bemerkenswerten Satz: „Natürlich steigert ,Fastnacht in Franken‘ den Bekanntheitsgrad eines Künstlers enorm. Aber es macht hier auch unheimlich Spaß. Dieses Miteinander, und das ist keine Floskel, ist wirklich wie in einer großen Familie.“

Familie. Wer sich auf Spurensuche nach dem Geheimnis dieser fast 30 Jahre alten Fastnachtssendung begibt und eintaucht in die Welt aus Konfetti und Narrenkappe, der wird dieses Wort noch öfter zu hören bekommen. Draußen ist derweil Oti Schmelzer aus Oberschwappach angekommen, der fränkische Lappe mit der Quetschkommode. Er verteilt an die Helfer erst einmal eine Runde Schokolade.

Natürlich ist die Kultsendung auch ein gnadenloser Kampf. Millionenquote. Berichterstattung. Promiauflauf. Viele Künstler drängen auf diese größte Bühne, die der BR zu bieten hat. Nur wenige schaffen es, und das hat auch damit zu tun, dass der Fastnacht-Verband großen Wert auf Casting legt. Wenn Bernhard Schlereth, Präsident des Fastnacht-Verbandes Franken, einen Tipp erhält, schaut er sich den Anwärter ein-, zweimal an. Kandidaten müssen sich zudem bewähren in internen Sitzungen oder kleineren Aufzeichnungen wie der „Närrischen Weinprobe“ im Hofkeller der Residenz in Würzburg. Oft dauert es Jahre, bis sich die Chance auftut und der Ruf nach Veitshöchheim ertönt. Der Ritterschlag. Oti Schmelzer ging das so, Fredi Breunig (Salz, Lkr. Rhön-Grabfeld) genauso. Nicht selten dann ist die Kultsitzung der Startschuss für eine Karriere abseits der Dorfprunksitzungen im tiefen Spessart oder der Hohen Rhön.

Michl Müller (Garitz, Lkr. Bad Kissingen) wird längst auf Kabarettbühnen in ganz Deutschland gebucht, er füllt große Hallen, sein Programm läuft abends in der ARD. Auch Bauchredner Sebastian Reich (Höchberg, Lkr. Würzburg) und seine Amanda haben ein eigenes Management, neulich waren sie bei RTL zu sehen. Oder die Altneihauser Feierwehrkapell?n. Ohne die Fastnacht würde die urige Spritzenhaus-Combo wahrscheinlich noch in den Oberpfälzer Wäldern die Wölfe unterhalten. Heute führt ihr Chef Norbert Neugirg als Moderator durch BR-Sendungen und schreibt Bücher.

Erfolg macht auch Prunksitzungen sexy. Oliver Tissot aus Nürnberg beispielsweise, dieser Wortakrobat, besitzt keinen närrischen Migrationshintergrund – wirkt aber trotzdem nicht wie ein Fremdkörper. Er hat sich eingelassen auf die Fastnacht, und wenn er über Veitshöchheim spricht, dann fällt auch bei ihm das Wort „familiär“.

Selbst wenn also an manchen Protagonisten des Narrenfrohsinns das Papperl mit der Aufschrift „Star“ klebt, Allüren, die Geschwüre des Erfolgs, schlagen eher selten durch. Natürlich schreitet die Managerin von Michl Müller schon mal lautstark ein, wenn reifere Damen beim Selfie mit dem „Dreggsagg“ nach der Sendung zu aufdringlich werden. Aber es ist auch beeindruckend, wie geduldig Müller oder Sebastian Reich oder Volker Heißmann auch noch jeden Fotowunsch der Fans erfüllen. Lächeln bitte. Sie können das auf Knopfdruck, und sie wissen, was sie der Sendung zu verdanken haben.

Im Saal sind die Kameras längst aus, und natürlich wissen auch die Granden der bayerischen Politik, was die Franken hören wollen. Das Publikum ist noch da, da ergreift Ministerpräsident Horst Seehofer auf der Bühne das Mikrofon. „Es gibt Paris, London, München, aber nur ein Veitshöchheim“, sagt er und bleibt weiter im Superlativ-Modus: „Früher habe ich mal gesagt, das hier ist Champions League. Das reicht nicht mehr, diese Sitzung ist Weltklasse.“

Da johlen die Franken, und später, beim Hinausgehen, da sagt der CSU-Chef noch: „Wenn ich hierherkomme, weiß ich natürlich, dass ich auch Zielscheibe bin. Aber hier ist Opfer sein eine vergnügliche Sache, weil das Niveau sehr hoch ist.“ Freilich hat ihm nicht alles gefallen, oft blieben seine Hände auffällig ruhig, wenn das Publikum gerade nach politischen Pointen kräftig klatschte.

Auch Finanzminister Markus Söder, bekannt für seine überraschenden Verkleidungen, steht im Mittelpunkt des Spotts. Doch auch er ist voll des Lobes: Er sei in der Vorwoche in Aachen bei der Ordensverleihung wider den tierischen Ernst gewesen, „aber Veitshöchheim ist viel besser“. Er findet den fränkischen Humor hintergründig, liebevoll, „manchmal auch deftig“, auch Söder spricht vom hohen Niveau. Wenn Seehofer nicht klatscht, rührt auch er keinen Finger.

Es hätte schlimmer kommen können für die CSU und die Opposition. Vielleicht hatte mancher in diesem Jahr angesichts der Themen der Zeit mehr Schärfe aus dem Künstlermund erwartet, aber vielleicht ist auch das ein Erfolg der Sendung: Sie ist immer eine Handbreit über der Gürtellinie. Florett statt Fallbeil.

Wer eine Einladung besitzt, für den geht der Abend mit dem Finale auf der Bühne nicht zu Ende. Im Haus der Begegnung am Rathaus gibt es einen Empfang. Es riecht nach Bockwurst. Es ist eng. Es ist warm. Zwei Männer erleiden einen Schwächeanfall, erholen sich aber dank der schnellen Hilfe. Ein Rettungswagen parkt vor dem Bau. Hier mischen sich Publikum und Promis. Oberbürgermeister, Landräte, Innenminister Joachim Herrmann, Justizminister Winfried Bausback, alle sind sie da.

Margit Sponheimer trägt sich ins Goldene Buch der Gemeinde ein und holt sich dann ein Glas Weißwein. Die Mainzer Sängerin war das erste Mal zu Gast in Veitshöchheim, ihr live gesungenes „Am Rosenmontag bin ich geboren“ war einer der Höhepunkte der Sendung. Sie wird in wenigen Tagen 73 Jahre alt, sie hat fast ein ganzes Leben Fastnacht hinter sich, schon mit 16 Jahren stand sie auf der Bühne. Aber ihre Augen leuchten, sie sagt: „Das war toll. Das war ursprünglich, herrlich.“

Auch Landtagspräsidentin Barbara Stamm ist da, natürlich. Auch sie hat dieses Leuchten, wenn sie von Veitshöchheim spricht. „Ich bin froh, dass ich hier dazugehören darf. Das ist wie eine Familie.“ Da ist es wieder. Dieses Wort.

Bernhard Schlereth und Norbert Baumann, verantwortlicher BR-Redakteur, sind zufrieden. Sie haben sich eingesetzt dafür, das Programm rasanter zu machen. Nummern wurden gekürzt, Programmpunkte umgestellt, es gab mehr Überraschendes als in den vergangenen Jahren. Den Menschen ringsherum scheint?s gefallen zu haben. Irgendwann zieht der harte Kern vom Haus der Begegnung weiter. In ein Hotel. In eine Kneipe. In eine Bäckerei. Und dann ist es Samstagmorgen und die Quote ist da.

3,90 Millionen TV-Zuschauer haben wieder eingeschaltet, „und das trotz Handball-EM-Halbfinale“, sagt Bernhard Schlereth. In der Spitze, gegen 22 Uhr, als Michl Müller die Bühne rockte, waren es sogar fast fünf Millionen Zuschauer. „Das ist ein Traumergebnis.“ In Bayern allein sahen 2,33 Millionen Menschen zu, nur einmal waren es mehr (2015: 2,39 Millionen), der Marktanteil im Freistaat lag bei 47,2 Prozent. Damit wird „Fastnacht in Franken“ erneut die erfolgreichste Sendung des BR im Jahr 2016 sein.

 
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