„Mit oder ohne?“ Silvia King steht im weißen Kittel hinter der Theke, knickt eine Bratwurst nach der anderen und legt sie ins Brötchen. Es ist ein lauer Frühlingsmittag in der Würzburger Innenstadt und vor dem orangefarbenen Stand stehen mit Einkaufstüten bepackte Passanten Schlange. Während drinnen die Wurst brutzelt, kommt von draußen die Bestellung in Kurzform. „Mit“, wünscht sich eine Dame und Silvia King tunkt das Messer beherzt in den Senftopf.
„Ketchup gab's bei uns nie“, sagt ihre Mutter Hedwig Knüpfing, „und das bleibt auch so.“ Vor 46 Jahren hat die heute 78-jährige mit ihrem Ehemann Karl den Bratwurststand auf dem Markt ins Leben gerufen. Als der Metzger 2005 verunglückt, greifen ihr Tochter und Enkelin unter die Arme – bis heute. Während sich die 55-jährige Silvia King um den Verkauf kümmert, stellt die 33-jährige Charlene King-Demling die Wurst nach altem Familienrezept her. So einig wie beim Ketchup-Tabu sind sie sich die Frauen allerdings nicht immer.
„Wo andere den Raum verlassen und Contenance behalten, da scheppert es bei uns!“ Gekicher. Die quirligen Damen sitzen an einem ihrer wenigen freien Vormittage im Estenfelder Wohnhaus neben der Wurstküche zusammen, trinken Kaffee und diskutieren. „Wir halten quasi jeden Tag Betriebsrat“, sagt Charlene King-Demling über die Drei-Generationen-Leitung. Sowohl privat als auch beruflich motivieren und bremsen die Frauen einander. „Wir sind miteinander verklebt“, verdeutlicht die Jüngste im Bunde, die mit Mann und zwei Töchtern ein Stockwerk höher wohnt. Man pflege einen freundlichen, aber direkten Umgang. Die Diskussionen seien emotional, aber gäben immer neue Kraft. Besonders seit dem Tod des Großvaters vor elf Jahren.
Als ihr Großvater verunglückt, übernimmt die Enkelin am gleichen Tag die Wurstküche.
„Er ist unser Schutzengel“, sagt seine Witwe und blättert durch die Fotos: Karl und Hedwig hinter der Theke, Karl und Charlene in der Küche, Karl und Silvia bei einem Ausflug. Als der Metzgermeister 1970 mit seiner Frau einen Bratwurststand unter drei Bäumen hinter dem Dom eröffnete, war die Nachfrage gering. „Es war schwierig, niemand kannte uns“, erinnert sich die 78-Jährige an die Anfänge. Doch nach und nach holten sich mehr Würzburger eine „Geknickte mit oder ohne“, Ende 2000 eröffnete das Paar dann den orangefarbenen Stand auf dem unteren Markt. Das Leben sei schön gewesen, sagt Knüpfing. Bis zu dem einen Tag im Oktober 2005.
„Uns war klar, entweder wir packen das zusammen oder gar nicht“, verdeutlicht Charlene King-Demling. An dem Tag, an dem ihr 66-jähriger Großvater bei einem Betriebsunfall ums Leben kommt, übernimmt sie die Leitung der Wurstküche – mit 22 Jahren. „Wir haben schnell unseren Platz gefunden, aber es war schwierig die Trauer zu bewältigen“, meint die Metzgermeisterin heute. Ihre Mutter Silvia wird von der gelernten Erzieherin zur Verkäuferin und Managerin des Familienbetriebs, Großmutter Hedwig steht ihrem Nachwuchs bei – so gut es geht. „Der Arzt hat zu mir gesagt: Gehen Sie auf den Markt, das ist die beste Therapie.“
Die Frauen halten sich an den Rat, schlüpfen in ihre Kittel und machen weiter – für Karl, füreinander. „Mama und Oma bedeuten mir alles“, schwärmt Charlene King-Demling, „sie sind meine besten Freundinnen und Beraterinnen“. Ohne die beiden hätte sie das alles, die Leitungsposition in so jungen Jahren, nicht geschafft. „Manchmal bremse ich sie zwar und sage, es ist genug der Fürsorge, aber sie geben mir Sicherheit.“ Auch wenn es Momente gab, in denen sich die 33-Jährige ein anderes Leben gewünscht hätte.
Alle drei sind Mütter von Töchtern, motivieren und bremsen einander.
„Manches kam zu schnell, manchmal hatte ich Zweifel“, sagt sie rückblickend. Während ihre Schulkameraden verschiedene Hobbies ausprobierten, um die Welt reisten und rebellierten, sei sie in den Familienbetrieb eingearbeitet worden. Etwas weniger Verantwortung, etwas mehr Freiheit wäre schön gewesen, meint die Metzgermeisterin. Aber wenn sie heute sehe, wie verloren manche dieser Frauen seien, wolle sie nie tauschen – „Dann bin ich dankbar, dass in meinem Leben Klarheit herrscht.“ Silvia King nickt. „Wenn man einen Familienbetrieb hat, ist man nie frei“, sagt sie. Hedwig Knüpfing nimmt liebevoll die Hand ihrer Tochter und lächelt ihr zu.
Dass das Geschäft, das Erbe ihres Mannes weitergeführt wird, freue sie. Auch wenn das Marktleben heute ein anderes sei. „Vieles hat keinen Bestand mehr, aber wir sind immer noch da.“ Ab und an steht sie noch hinter der Theke, begrüßt mittlerweile die Enkel ihrer ersten Kunden. Die Nähe zur Familie, beruflich und privat, stärkt die 78-Jährige. „Ich bin froh, dass wir zu dritt sind.“
Bald könnte im Bratwursthause Knüpfing noch eine vierte Helferin dazukommen. Denn die dreijährige Tochter von Charlene ist schon „ein richtiger Wurstküchenmensch“. Falls sich die Kleine umentscheidet, könnte die Familientradition trotzdem fortgeführt werden. Denn Charlene King-Demling ist wieder schwanger – mit einem Mädchen.
Auf BR 1 habe ich mal die Frage von einem Münchner Moderator an einen Würzburger Anrufer gehört: "Gibt`s die Super-Bratwürscht am Markt noch?" Der Anrufer konnte das mit einem "Ja, natürlich!" bestätigen. Hoffen wir, dass es noch viele Generationen so bleibt!
Vielen Dank an die drei Damen vom Grill!
Ich erinnere mich, dass vor vielen Jahren eine Gruppe französich sprechender Jugendlicher von ihrem Reiseführer an den beliebtesten Würzburger Bratwurststand gebracht wurde. Nach vorherigen Infos lauteten die Bestellungen "mit" oder "ohne"... bis eine Jugendliche nach Ketchup verlangte. Die Antwort von Fr. Knüpfing sen. habe ich noch heute im Kopf:
"Würzburcher Bradwürschd un Kedschab - im Läääwe nid"