Sie war mal die Galionsfigur der Grünen. Die Ikone der Friedensbewegung. Eine radikale Idealistin. Frauenrechtlerin. Aktivistin. Pazifistin. Missionarin. Heute ist sie nur noch die prominenteste Tote auf dem Würzburger Waldfriedhof. Am 1. Oktober ist es 25 Jahre her, dass Petra Kelly von ihrem Lebensgefährten Gert Bastian erschossen wurde.
Eine steinerne Kerze thront auf den drei Quadratmetern Waldfriedhof, wo Petra Kelly, hoffentlich, ihre letzte Ruhe gefunden hat. Darauf eine drehbare Weltkugel, dekoriert mit symbolhaften Bildern aus dem Leben der Frau, die nur 44 Jahre alt wurde. Die Inschrift: „Mit dem Herzen denken“.
Die Worte passen zu ihr. Petra Kelly, geboren am 29. November 1947 im schwäbischen Günzburg, hat immer ein offenes Ohr für die Nöte anderer. Sie engagiert sich: Für den Weltfrieden und gegen Atomwaffen, für Frauenrechte und gegen Unterdrückung, für australische Aborigines und amerikanische Indianer, für das Selbstbestimmungsrecht der Tibeter, für die Krebsforschung . . .
In den 60-er Jahren, während ihres Studiums in den USA, ist sie Wahlhelferin von Robert F. Kennedy, in den 70-ern tritt sie mit einem offenen Brief an Helmut Schmidt aus der SPD aus, in den 80-ern führt sie in Bonn die „Demonstration der 400 000“ gegen die atomare Aufrüstung an, initiiert im Bundestag eine Protestaktion gegen Helmut Kohl, fordert beim DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker die Freilassung der Verhafteten der dortigen Friedensbewegung. Und Petra Kelly ist Gründungsmitglied der Grünen, im Bundesvorstand. Eine kluge, rastlose Frau, getrieben von der Utopie einer Welt ohne Waffen und eines Lebens im Frieden mit der Natur. Eine, die jeden und alles retten und immer ein bisschen zu viel will – und das zu schnell.
Petra Kellys Einfluss schwindet. 1988 wird ihr eine Kandidatur für das Europarlament versagt, 1990 bekommt sie keinen Listenplatz für die Bundestagswahl und bei der Wahl der neuen grünen Parteispitze stimmt nur noch eine klägliche Minderheit für sie. Die Grünen und Petra Kelly sind sich fremd geworden.
Trost findet sie bei Gert Bastian. Seit Anfang der 80-er Jahre sind die beiden ein Paar: Sie, die kompromisslose Entweder-Oder-Frau, er, der konvertierte Generalmajor, der 1980 als Kommandeur der 12. Panzerdivision in Veitshöchheim abberufen wurde, weil er die Nato-Nachrüstung kritisiert hatte. Freunde beschreiben die Beziehung zwischen der sich selbst und andere oft bis zur Erschöpfung überfordernden Petra Kelly und dem an Depressionen leidenden Gerd Bastian als „symbiotisch“. Ein Kompliment ist das nicht.
Petra Kellys Stern verliert zunehmend seinen Glanz. Gert Bastian, 24 Jahre älter als sie, verliert bei seinen Versuchen, mit ihrem Tempo Schritt zu halten, seine Kraft. Die beiden kämpfen nicht mehr nur für den Weltfrieden. Sie kämpfen auch miteinander und umeinander.
Politisch ist Petra Kelly bedeutungslos geworden. Als Moderatorin eines Umweltmagazins auf SAT 1 kommt sie nicht zurecht. Sie ist nicht gemacht für den Journalismus, kann schlecht umgehen mit Kritik, professionelle Distanz ist ein Fremdwort für sie. Nervenzusammenbrüche zwingen sie in Kliniken, Phobien katapultieren sie in die Hilflosigkeit. Ihre Schultern sind zu schmal für das Leid der ganzen Welt, das sie sich aufgebürdet hat. Gert Bastian, inzwischen 69, hat einen schweren Unfall, eine schwere Operation, geht an Krücken.
In einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Bonn heißt es, dass Gert Bastian am 1. Oktober 1992 seine Lebensgefährtin umgebracht hat. „Mit seiner Pistole Derringer, die er seit 1963 besaß, tötete er die im Bett liegende Petra Kelly mit einem aufgesetzten Schuss in die Schläfe. Anschließend nahm er sich selbst mit einem am Scheitel aufgesetzten Kopfschuss das Leben.“ Bis heute halten sich Zweifel an dieser Darstellung, wird gemutmaßt, die Stasi, die Atommafia oder Neonazis hätten das Paar ermordet.
Fast drei Wochen lang vermisst niemand Petra Kelly und Gert Bastian. Als ihre Leichen gefunden werden, gibt es keinen Abschiedsbrief, keine politische Botschaft, keine Tagebucheinträge.
Petra Kelly wird am 26. Oktober 1992 auf dem Würzburger Waldfriedhof beigesetzt. Neben ihrer geliebten Halbschwester Grace, die mit zehn Jahren an Krebs starb. Es ist ein Familiengrab. Kellys deutsche Mutter und ihr Stiefvater, ein Offizier der US-Armee, lebten von 1967 bis 1969 in den Würzburger Leighton Barracks.
Gert Bastian hat seine letzte Ruhestätte auf dem Nordfriedhof in München.
Am Sonntag, 1. Oktober um 14 Uhr gedenkt die Regionalgruppe Würzburg der Tibet-Initiative der Lebensleistung von Petra Kelly. Bernd J. Fertig hält an ihrem Grab auf dem Waldfriedhof einen Vortrag über die Frau, die als erste den Dalai Lama nach Deutschland eingeladen hat.