Nein, für Eilige ist das nichts. Aber so gar nichts. Wer auf schnelle Erfolge aus ist, braucht gar nicht erst anzufangen. Wer keine Geduld hat, sollte die Finger davon lassen, und ist der Daumen noch so grün. Und wer sich mit Demut schwertut - der sucht sich besser auch eine andere Passion. "Ja, das geht nicht von heute auf morgen", sagt Matthias Hübner lächelnd und zupft nebenbei an einem kleinen Olivenbäumchenzweig.
Aber was heißt Olivenbäumchen. Olivenbaum-Bonsai. Der steht hinter einem Urweltmammutbaum-Bonsai auf dem großen Gartentisch neben einem Ahorn-Bonsai, einem Steinweichsel-Bonsai, einem Bonsai-Pfaffenhütchen, einer winzigen chinesischen Lärche . . . und mindestens vier Dutzend anderen Bäumchen in Schalen und flachen Töpfchen.
Geduld also. Und Demut. "Mit der haben viele ein Problem", sagt Hübner und lässt den Blick über seine Bonsais wandern. In Asien, wo vor Jahrhunderten die Kunst entstand, Sträucher und Bäume in kleinen Gefäßen zu ziehen und durchzuformen ganz nach den Proportionen der Natur, da denke man in Generationen: "Der Japaner sagt nicht, das wird ein schöner Baum für den Sohn. Er sagt: Das wird ein schöner Baum für deinen Enkel." Hübner ist Vertriebsingenieur von Beruf. Und Bonsai-Gärtner aus so was wie Berufung. Jedenfalls erzählt er beim Rundgang durch sein kleines grünes Paradies hinter dem Haus, dass er Bonsai "schon sehr, sehr lange" macht.
Ein Onkel seines besten Freundes zog und kultivierte damals in den 80er Jahren, als das mit der fernöstlichen Gartenkunst in Deutschland ganz allmählich begann, Bonsai-Bäume. Irgendwann begannen der beste Freund und Matthias Hübner, sich darum zu kümmern. Und, erzählt Hübner und streicht über die Blättchen einer Akazie, spätestens beim Besuch einer großen Ausstellung in den Veitshöchheimer Mainfrankensälen vor 20 Jahren, sei's dann "gänzlich um mich geschehen" gewesen. Heute ist Hübner 44 - und in der Szene immer noch "ganz untypisch".
Der Würzburger schmunzelt selbst über das Klischee: "Bonsai machen nur ältere Männer." Aber ein bisschen stimme es ja schon: "Es gibt wenige Frauen, fragen Sie mich nicht warum. Eigentlich gibt es ja auch blühende Bonsai." Wie auch immer, die weiblichen Pflanzenfreunde seien mehr für Kusamono und Shitakusa zuständig, für die Begleitpflanzen der Bonsai, also Gräser, Farne und Moose in den Keramikschalen. Und Ikebana, die japanische Kunst des Blumenarrangierens, sei "ausschließlich Frauensache".
Sache der Männer aber ist: Formschnitt, Wurzelschnitt, Blattschnitt, Drahtung. Als Matthias Hübner vor zehn Jahren herumfragte, wer "Lust hat, mitzuarbeiten" und den Bonsai Treff Würzburg gründete, da hätten andere Vereine und der Bonsai Club Deutschland e.V.ganz verblüfft nach Mainfranken geschaut: "Uns beneiden alle, dass wir so jung sind. Außer zweien alle unter 50. Völlig ungewöhnlich."
Warum er herumfragte und den Arbeitskreis startete? "Ohne Wissen geht es nicht. Irgendwann kommt man an einen Punkt, wo man viel Enttäuschung erlebt mit seinem Material", sagt Hübner in seinem Garten voller Schälchen, Töpfchen, Bäumen, in dem von Enttäuschung nichts zu sehen ist. "Die Dinger wachsen nicht von alleine dorthin, wo man den Baum haben will. Ich hab' etliches Geld verwelken sehen."
Eine Lektion, die der Anfänger ziemlich schnell lernt, heißt zum Beispiel: "Bonsai sind nichts für drinnen!" In geschlossenen Räumen zu sein, das "mögen die Bäume nicht so gerne", sagt Hübner mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht. Der Ficus zum Beispiel, der in so vielen Büros und Wohnzimmern vor sich hinkümmert - "der will auch raus". Der 44-Jährige holt im Herbst nur ein paar seiner tropischen Exemplare ins Zimmer, alle anderen kommen zum Schutz gegen Wind und Wetter ins unbeheizte Gewächshaus. "Die wenigsten Pflanzen erfrieren, die meisten vertrocknen im Winter."
Wer Bonsai hat, muss wissen, wann man gießt und wie man pflegt. Schneidetechniken beherrschen. Muss Erfahrung mit Kies, Lava, Bims oder anderem Substrat und mit Dünger haben. Muss wissen, wann und wie man Ästchen abnimmt, Blätter wachsen lässt oder Blüten wegzupft. Muss wissen, wo man Triebchen stutzt und kürzt. Auch beim Bonsai-Treff sei manchmal ein Kollege entsetzt, wenn Hübner rät, einen ganzen Ast abzuschneiden. "Dann hat man halt mal eine Zeit lang eine Lücke. Aber in drei bis fünf Jahren schaut das super aus!"
Der Vertriebsingenieur, der an der Blattfarbe schon sieht, ob es einer Pflanze gut geht, sagt, Bonsais müsse man "eigentlich als Haustier sehen". Vielleicht nicht gerade wie einen Hund, mit dem man beständig und regelmäßig Gassi gehen muss. Aber wie eine Katze, der man täglich Wasser und Futter hinstellt und "ab und zu das Fell bürschtelt".
Gesunde, fitte Pflanzen würden gut wegstecken, wenn sich in sie mal ein Pilz oder eine Laus verirrt. Und dann zeigt er seine Tamarinde, die mal wieder alle Blätter geworfen hat: "Eine ganz schlimme Zicke." Da ist sie wieder, die Sache mit der Demut. "Man sucht immer wieder die Fehler bei anderen. Aber bei Bonsai ist das ganz schlecht", meint der Treff-Chef. "Zu 99 Prozent hat man selbst was falsch gemacht."
Was es neben Erfahrung und Schnittkenntnissen noch braucht: große Vorstellungskraft. Der Bonsai-Gärtner muss wissen, wo er mit seinem Ahorn, der Kastanie, der Fichte, dem Ginkgo mal hin will, wie das Wuchsbild aussehen soll in ferner Zukunft, also in 15, 20 Jahren. Die Kunst ist es, dem manchmal nicht mal zehn oder 20 Zentimeter hohen Bonsai aussehen zu lassen wie den alten und großen Baum in der Natur. Mit dickem Stamm, urig-rissiger Borke und vielen, vielen winzigen Blättern. Auf den großen Bundesausstellungen, die die Mitglieder des Bonsai Treff Würzburg regelmäßig besuchen, stehen "Exemplare im Wert eines Mittelklassewagens".
Für die fernöstliche Gartenkunst kann man ein Vermögen ausgeben. Muss es aber nicht: Man kann in eine Baumschule gehen und sich eine Kiefer oder einen Fächerahorn kaufen und ihn klein halten. Oder irgendwo im Garten einen Wacholder ausgraben und beginnen mit dem Miniaturisieren. Auch aus Azaleen, die sonst strauchig wachsen, "kann man wunderschöne Bäume machen". Das Faszinierende: Für Bonsai eignen sich nahezu alle verholzenden, kleinblättrigen oder kleinnadligen Baum- und Straucharten. Die Möglichkeiten seien "nahezu unbegrenzt", sagt Hübner und zeigt auf seinen kleinen Feldulmen-Bonsai, der vor ein paar Jahren mal fünf, sechs Meter groß war.
Vor kurzem hat er irgendwo eine Hainbuche ausgebuddelt, die schon ein paar Jahre alt ist, aber noch sehr klein. Weil sie an einem Wildschwein-Trampelpfad wuchs und die Tiere beständig die Triebe abgefressen hatten. Die weitere ästhetische Verformung übernimmt Matthias Hübner jetzt in seinem Garten. Mit der Schere. Mit Vertrauen in die Natur. Und Geduld, bis die Hainbuche irgendwann in eine Schale passt.