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WÜRZBURG
Der wichtigste Deutsche in Havanna kommt aus Würzburg
Bundeswirtschaftsminister Gabriel in Kuba       -  Thomas Karl Neisinger bei der Arbeit: Hier beim Besuch von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in diesem Januar in Havanna.
Foto: KAY NIETFELD, DPA | Thomas Karl Neisinger bei der Arbeit: Hier beim Besuch von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in diesem Januar in Havanna.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 25.05.2016 03:26 Uhr

Deutscher Botschafter in Havanna? Es gibt sicher langweiligere Posten und unattraktivere Arbeitsplätze. Seit dem vergangenen Herbst ist der gebürtige Würzburger Thomas Karl Neisinger als oberster Diplomat und Vertreter der Bundesrepublik in Kuba. Die Beziehungen Deutschlands zum größten Karibikland sind alt. Die Erinnerung an die zwei längren Aufenthalte von Alexander von Humboldt kurz nach 1800 zum Beispiel sei dort noch immer lebendig, sagt Neisinger.

Kuba polarisiert. Und Kuba boomt: Im vergangenen Jahr reisten 175 000 deutsche Touristen nach Kuba – 26 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der Botschafter findet das gut: Es sei wichtig, auf Rundreisen und zu Besuch in Privatquartieren Land und Leute kennenzulernen. Denn viele Kubaner gingen im 58. Jahr der Revolution unverkrampft mit ihrer jüngeren Geschichte um und würden im persönlichen Gespräch offen ihre Meinung, ihre Sorgen und Wünsche äußern. Man spüre, dass die Periode der Sprachlosigkeit ein Ende hat, sagt der 61-jährige Diplomat. Die neue Qualität der Beziehungen ermögliche einen offenen Dialog – auch über schwierige Themen wie die Lage der Menschenrechte. Wie fühlt sich der Unterfranke selbst in Kuba?

Frage: Sie sind seit September deutscher Botschafter in Kuba. Haben Sie schon einen Lieblingsort in Havanna?

Thomas Karl Neisinger: Lieblingsorte . . . da fallen mir einige ein: Die Altstadt mit ihren wunderschön restaurierten Plätzen rund um die Kathedrale. Die Dachterrassen der privaten Restaurants, der Paladares, im Zentrum und der Altstadt, besonders schön, um den Sonnenuntergang zu erleben. Mein Lieblingsrestaurant, und zwar schon vor US-Präsident Obamas Besuch dort kürzlich: der Paladar „San Cristobal“ in der Straße San Rafael.

Für viele ist Kuba ein Traumziel. Sie sind nicht Tourist – was gefällt Ihnen dort besonders gut?

Neisinger: Die Lebensfreude der Menschen, die sich in bewundernswerter Weise mit ihren oft schwierigen Lebensbedingungen arrangieren. Und ihre Herzlichkeit im Umgang miteinander und mit Ausländern.

Mit welchen Erwartungen sind sie nach Havanna gegangen?

Neisinger: Mit dem Besuch von Bundesaußenminister Walter Steinmeier im Sommer 2015 haben wir einen Neuanfang in unseren Beziehungen mit Kuba unternommen. Daraus ergaben sich Erwartungen und Hoffnungen auf eine Intensivierung der Zusammenarbeit besonders bei Kultur und Wirtschaft. Zu deren Umsetzung wollen wir in der Deutschen Botschaft Havanna einen Beitrag leisten.

Was war dort bislang die größte Überraschung?

NEISINGER: Der Alltag in Kuba birgt viele Überraschungen, meistens positive. Was mich wirklich überrascht hat, ist die Gelassenheit, mit der die meisten Kubaner ihren Alltag bestreiten, sei es im Straßenverkehr oder beim Schlangestehen.

Ganz direkt gefragt: Wie ist die Lage der Menschenrechte auf Kuba derzeit?

Neisinger: Bei Meinungs- und Pressefreiheit gibt es nach wie vor gewichtige Meinungsunterschiede. Auch die Versammlungsfreiheit ist für politisch andersdenkende Personen nicht gewährleistet. Darüber wollen und müssen wir weiterhin mit der kubanischen Regierung sprechen.

Wie Sie schon gesagt haben: US-Präsident Barrack Obama war gerade da, die Rolling Stones haben gespielt, erstmals hat ein Kreuzfahrtschiff aus den USA angelegt. Was bedeutet dies alles für Kuba?

Neisinger: Dass die Rolling Stones in Havanna spielen und ein Schiff aus den USA anlegt, ist für uns Normalität. In Kuba sind diese Ereignisse Teil eines notwendigen Normalisierungsprozesses. Kuba und die USA haben den Kalten Krieg überwunden. Ich bin sicher, dass sie auch den Weg hin zu gut nachbarschaftlichen Beziehungen gemeinsam gehen werden.

Wie groß ist die Chance auf Wandel jetzt wirklich?

Neisinger: Wir erleben bereits seit einigen Jahren einen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Wandel, ausgelöst vor allem durch die Zulassung privatwirtschaftlicher Tätigkeit in verschiedenen begrenzten Bereichen, etwa bei privaten Restaurants. Diese Entwicklung wird weitergehen.

Gibt es „Normalität“ erst, wenn das Handelsembargo komplett aufgehoben ist?

Neisinger: Deutschland hat sich ja schon seit vielen Jahren für die Aufhebung des Embargos ausgesprochen. Ebenso wichtig sind aber innere Reformen in Kuba.

Welche Bedeutung hat Deutschland für Kuba? Wo und wie in Kuba kann Deutschland eine Rolle spielen?

Neisinger: Deutschland wird auf Kuba als größtes EU-Land bewusst wahrgenommen. Wir wollen auf politischem, wirtschaftlichem wie kulturellem Gebiet näher zusammenkommen und haben dazu bereits eine Reihe gemeinsamer Projekte vereinbart: Regelmäßige politische Konsultationen, den Abschluss eines Kulturabkommens und die Einrichtung eines Büros der deutschen Wirtschaft.

Im Januar war seit 15 Jahren wieder ein deutscher Wirtschaftsminister auf Kuba. Was bedeutet „Made in Germany“ dort? Was kann es bedeuten?

Neisinger: Deutsche Unternehmen genießen in Kuba einen guten Ruf wegen der hohen Qualität ihrer Produkte. Sie stehen auch für „deutsche Tugenden“ wie Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Pünktlichkeit. Die bislang auf Kuba unterrepräsentierten deutschen Unternehmen könnten daher mittel- und langfristig gute Chancen haben.

Was sollten wir unbedingt von Kuba wissen, was hier kaum bekannt ist?

Neisinger: Kuba ist nach Fläche und Bevölkerungszahl mit Abstand die größte Insel der Karibik, größer auch als manche zentralamerikanische Staaten, mit einer West-Ost-Ausdehnung von 1200 Kilometern und mehr als elf Millionen Einwohnern.

In welchen Bereichen ist Kuba „vorne“? Was können wir von Kuba lernen?

Neisinger: Kuba ist stolz auf Bildung, Gesundheit, Sport und Kultur. In all diesen Bereichen hat das Land nicht nur im regionalen Vergleich viel vorzuweisen. So weist zum Beispiel das kulturelle Angebot in Kuba, das für die ganze Bevölkerung zugänglich ist, eine beeindruckende Vielfalt und Qualität auf.

Auf dem Africa-Festival steht die Musik im Mittelpunkt. Von wie viel Musik ist der deutsche Botschafter in Havanna umgeben?

Neisinger: Musik ist nicht automatisch Teil des Alltags eines Botschafters. Wenn man aber durch die Altstadt Havannas geht, ist Musik allgegenwärtig. Deshalb ist der musikalische Austausch auch für uns eine ganz natürliche Brücke, um mit Kuba, den Kubanern und ihrer Kultur ins Gespräch zu kommen.

Ihr persönlicher musikalischer Tipp?

Neisinger: Hören Sie rein beim Africa-Festival und Sie werden nicht mehr loskommen vom kubanischen Musikfieber! Alle teilnehmenden Musiker und Bands aus Kuba sind Weltklasse. Meine persönlichen Tipps „außer Konkurrenz“: die in Deutschland lebende, wunderbare Jazzpianistin Marialy Pacheco. Und für alle, die das klassische Kuba mit Salsa, Rumba und Son lieben: das „Septeto Habanero“.

Noch eine Nachfrage zu Ihnen: Wie oft sind Sie heute noch in Würzburg? Und vermissen Sie in Havanna etwas aus der Heimat?

Neisinger: Leider bin ich nur noch selten, ein- bis zweimal im Jahr in meiner Heimatstadt und der meiner Frau, um meine Familie, die zum großen Teil noch in Würzburg und Umgebung lebt, zu besuchen. Den unverzichtbaren Schoppen Frankenwein kann man sich selbst nach Kuba schicken lassen. Nur beim Spargel und Würzburger Schoppenbrot kommen in Havanna kulinarisch-nostalgische Gefühle auf, die sich nur daheim stillen lassen.

Thomas Karl Neisinger

Der gebürtige Würzburger, Jahrgang 1955, ist deutscher Diplomat und seit September 2015 als Botschafter in Kuba im Einsatz. Neisinger studierte Jura und Philologie in Würzburg, Freiburg und Salamanca. Sein Interesse an der Welt jenseits deutscher Grenzen und die Aussicht, sie kennenzulernen und auch ein wenig mitgestalten zu können, brachte ihn zur Diplomatie. Nach dem Vorbereitungsdienst für den höheren Auswärtigen Dienst war der Jurist in verschiedenen Funktionen im Auswärtigen Amt sowie an den Botschaften in Argentinien und Polen tätig. Von 2008 bis 2012 war Neisinger ständiger Vertreter des Botschafters in Spanien, danach fungierte er im Range eines Botschafters als Regionalbeauftragter für Lateinamerika und Karibik im Auswärtigen Amt. Neisinger ist verheiratet und hat vier Kinder.

 
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