Am Nachmittag des 10. März 1969, ein Montag vor genau 51 Jahren, tötet der 49-jährige Ziegeleibesitzer Bruno S. aus Acholshausen (Lkr. Würzburg) den 42-jährigen Direktor der Kreissparkasse Ochsenfurt, Egmont Heim, in seinem Wohnzimmer durch einen Schuss in die Schläfe. Die Öffentlichkeit ist bestürzt. "Brutaler Mord in Acholshausen" titelt die Ochsenfurter Zeitung in ihrer folgenden Ausgabe. Über ein Jahr danach zeichnet die Gerichtsverhandlung gegen Bruno S. ein ganz anderes Bild von der Tat.
Finanziell steht dem Ziegeleibesitzer das Wasser bis zum Hals. Mit über 200 000 D-Mark ist der Betrieb bei der Kreissparkasse verschuldet. Als dann auch noch eine Würzburger Baufirma Konkurs anmeldet und Wechsel im Wert von 20 000 Mark platzen lässt, droht der Ziegelei die Pleite. Am Vormittag des 10. März meldet sich Sparkassendirektor Egmont Heim deshalb zu einem klärenden Gespräch bei Bruno S. an.
Zusätzliche Sicherheiten gefordert
Gegen 14 Uhr trifft Heim in der Ziegelei ein und wird von Bruno S. in dessen Wohnzimmer gebeten. Er nimmt an einem runden Couchtisch Platz. Vier Jahre zuvor hatte Heim, aus dem oberbayerischen Neumarkt-Sankt Veit stammend, die Leitung der Kreissparkasse Ochsenfurt übernommen. Jetzt fordert er von Bruno S. zusätzliche Sicherheiten für die ausgereichten Darlehen und konfrontiert den Ziegeleibesitzer mit dem Vorwurf, Vermögenswerte vor einem drohenden Konkurs beiseite schaffen zu wollen.
Im Lauf des Gesprächs ruft Bruno S. telefonisch seinen Ziegeleimeister hinzu. Als der gerade um die Ecke des Wohnhauses biegt, hört er im Wohnzimmer laute Stimmen und dann einen Schuss. Es ist genau 14.45 Uhr. Als Beamte der Landpolizei-Inspektion Ochsenfurt wenig später in der Ziegelei eintreffen, finden sie Egmont Heim, zusammengesunken in den niedrigen Sessel, mit einem Schriftstück in der Hand, an der rechten Schläfe eine blutende Schusswunde.
Keine Anzeichen von Gegenwehr
Der Tote zeigt keine Anzeichen von Gegenwehr oder Überraschung. Der Schuss hat ihn völlig unvorbereitet getroffen. Die Kugel stammt aus einer tschechischen Pistole, Kaliber 7,65. Wie die Main-Post später berichtet, hat sie sich Bruno S. auf Anraten der Polizei zugelegt, nachdem sein Name in den Notizen eines "Ganoven" aufgetaucht war.
Bruno S. erleidet einen Schock und lässt sich widerstandslos abführen. Er wird erst ins Ochsenfurter Kreiskrankenhaus und anschließend in eine Würzburger Nervenklinik gebracht. Mehrere Tage müssen Staatsanwalt und Kriminalpolizei warten, bis die Ärzte Bruno S. für vernehmungsfähig erklären. Am 13. März kritisiert die Ochsenfurter Zeitung die bis dahin spärlichen Informationen der Staatsanwaltschaft.
Während Bruno S. in der Untersuchungshaft seinem Prozess entgegensieht, steht für die Öffentlichkeit längst fest, dass er den Sparkassendirektor aus niederen Beweggründen umgebracht hat. Die überraschende Wendung in den Ermittlungen wird erst öffentlich bekannt, als im Frühjahr 1970 die Große Strafkammer des Landgerichts Würzburg über den Fall verhandelt.
Fast drei Promille intus
Eine Blutentnahme attestiert Bruno S. zum Tatzeitpunkt einen Alkoholspiegel zwischen 2,6 und 2,8 Promille. Dies bestätigt dessen Aussagen, wonach er am Vorabend während einer Weinprobe drei Liter Wein und zur Brotzeit am Vormittag einen weiteren Liter, zu Schorle gemixt, konsumiert habe.
Als er im Laufe des Gesprächs dem Sparkassendirektor anbot, sich seine Lebensversicherung auszahlen zu lassen, um wenigstens einen Teil der Schuld zu tilgen, habe der ablehnt. Daraufhin habe Bruno S. erregt geschrien: "Dann werde ich mich erschießen und Sie haben das Geld." Um seine Selbstmordabsicht zu unterstreichen, sei er aufgesprungen und zum Bücherschrank geeilt, wo die geladene und entsicherte Pistole in einem Blumenübertopf versteckt lag. Auf dem Weg zurück zu seinen Sitzplatz habe sich plötzlich der Schuss gelöst.
Die Richter glauben den Aussagen von Bruno S. Auch, weil er tatsächlich eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte, die ausdrücklich selbst im Falle eines Suizids 100 000 Mark ausgezahlt hätte. Sein Hausarzt bestätigt, dass Bruno S. Choleriker gewesen sei und leicht zu erregen. "Ich habe ihn in der Sprechstunde immer schimpfen lassen und ein bisschen mitgeschimpft; dann wurde er wieder ruhig - ganz ohne Spritze", zitiert die Main-Post die Aussage des Mediziners.
Unzurechnungsfähig
Schwerer wiegen vor Gericht die Aussagen eines Gerichtsmediziners und eines psychiatrischen Gutachters. Auch bei einem trinkfesten Menschen müsse ab zwei Promille zumindest von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen werden, lautet ihr Urteil. Der Alkohol habe die Erregung, die das Gespräch mit dem Sparkassen-Direktor hervorgerufen hat, in einer Weise verstärkt, dass sogar eine völlige Unzurechnungsfähigkeit nicht auszuschließen sei.
Das Gericht kommt deshalb zu der Auffassung, dass Bruno S. nicht wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden kann, sondern wegen seines fahrlässig herbeigeführten Vollrauschs. Der Ziegeleibesitzer wird zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, die er in der Würzburger Justizvollzugsanstalt verbüßt.