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WÜRZBURG
Der Tag, der die Illusion zerstörte
Lange war die Stadt von Angriffen der Alliierten verschont geblieben. Vor genau 70 Jahren töteten Bomben 178 Menschen.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 17.10.2017 11:43 Uhr

Wenn von der Zerstörung Würzburgs im Zweiten Weltkrieg die Rede ist, steht immer der 16. März 1945 im Mittelpunkt. Doch schon bei früheren Angriffen kamen Hunderte von Menschen ums Leben. Das schlimmste Bombardement ereignete sich vor 70 Jahren, am 23. Februar 1945. Damals starben 178 Menschen. Vorher hatte es lange so ausgesehen, als ob die Barockstadt den Krieg heil überstehen würde.

Bis weit ins Jahr 1944 hinein war Würzburg verschont geblieben. Lediglich am 21. Februar 1942 waren zwei Bomben kleineren Kalibers in das damals nur locker bebaute Frauenland gefallen. Opfer hatte es nicht gegeben und auch keine größeren Sachschäden.

Danach wurde es wieder ruhig. Die meisten Würzburger suchten nicht einmal die Luftschutzkeller auf, obwohl die Sirenen tags und nachts immer öfter heulten. Mitte 1944 hatten Schweinfurt und Nürnberg längst schwere Angriffe erlebt, doch viele Würzburger klammerten sich noch immer an falsche Gerüchte, beispielsweise dass Winston Churchill in Würzburg studiert habe.

Obwohl Teile der Kugellagerproduktion von Schweinfurt in die Sanderau verlagert worden waren und die Firma Noell Komponenten für U-Boote herstellte, hielten viele auch an der Illusion fest, Würzburg sei eine reine Lazarettstadt und werde daher nicht das Schicksal von Industriestädten teilen.

Am 21. Juli 1944 wankte das Gebäude aus Illusionen und falschen Hoffnungen zum ersten Mal: Am Tag nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler und wenige Wochen nach der Invasion der Alliierten in der Normandie erlebten die Würzburger, was es bedeutet, bombardiert zu werden.

Feindliche Flieger hatten tagsüber Schweinfurt attackiert. Plötzlich näherte sich ein kleiner Verband von etwa 20 Maschinen Würzburg von Osten her und warf rund 50 schwere Bomben auf das Gebiet um Löwenbrücke, Leistenstraße und Nikolausstraße ab. Möglicherweise wurden sie ein paar Sekunden zu spät ausgelöst und waren eigentlich für die Star Kugelhalter-Fabrik in der Sanderau oder eine der Mainbrücken gedacht gewesen.

42 Tote und zahlreiche Schwerverletzte wurden registriert. Die meisten Menschen hatten keinen Luftschutzkeller aufgesucht.

Wieder folgte eine längere Pause, bis am 4. Februar 1945 gegen 20 Uhr einzelne Bomben Grombühl und die Löwenbrücke trafen. In seinem Buch „Untergang in Flammen“ schrieb Hermann Knell später: „Alles wurde ausprobiert: der Empfang der Radiosignale aus England, um das Ziel zu orten, das Funktionieren des H2S-Radargerätes, das viele Bomber eingebaut hatten, um das Ziel unter sich zu sehen, die Auswirkungen der Wetterbedingungen und alles Übrige, was notwendig war, um einen Großangriff zu planen.“

Es konnte nie ermittelt werden, wie viele Menschen umkamen, denn auf der Brücke war viel Verkehr; man schätzte 20 Tote und 50 Verwundete. Der 16-jährige Albrecht Stock erlebte das Bombardement des 4. Februar in Grombühl. Danach, so erinnert er sich, begann sich Angst auszubreiten: „Mit der Selbstgefälligkeit war es vorbei. Würden wir doch noch drankommen?“

Zwei Wochen später, am 19. Februar, wurden das Juliusspital, das Sparkassengebäude am Kürschnerhof und einzelne Häuser in der Domstraße und in der Theaterstraße getroffen – wieder von Bomben aus englischen Maschinen; 112 Menschen starben.

Der 15-jährige Fritz Schäffer war Schüler an der Lehrerbildungsanstalt am Wittelsbacherplatz und lebte im Kloster in der St.-Benedikt-Straße, das zum Wohnheim umfunktioniert worden war. Im Laufschritt mussten er und die anderen Schüler in die Innenstadt rennen.

An der Ecke Theater-/Eichhornstraße stand das Kaufhaus Rom & Wagner. Schäffer: „Wir hatten Befehl, die Kleider von den langen Stangen und aus den Regalen zu bergen und durch die zerstörten Schaufenster ins Freien zu transportieren. Als ich einen Arm voll Kleider an einem umgestürzten Gestell zusammenpacken wollte, merkte ich zu meinem Entsetzen, dass ich einen toten Soldaten im Arm hatte. Anscheinend war er durch das Fenster hereingeschleudert worden.“

In seinem Standardwerk „Der Untergang des alten Würzburg im Luftkrieg gegen die deutschen Großstädte“ beschreibt Max Domarus, wie die Altstadt nach diesem Angriff aussah: „Es gab kaum eine ganze Fensterscheibe mehr. Die Kaufläden mussten zum großen Teil schließen. Die Straßenbahn fuhr nur noch bis Neubaustraße bzw. Juliusspital oder Mariengasse. Es war angesichts der vielen Fenster- und Türschäden noch ein Glück, dass die Januarkälte vorbei und das Wetter mild war.“

Die Sonne strahlte vom Himmel, als am Vormittag des 23. Februar am Kriegerdenkmal eine Trauerfeier für die Toten stattfand. Während in der Luft das Brummen feindlicher Flugzeuge zu hören war, schwadronierten Nazibonzen inmitten von Hakenkreuzfahnen vom kommenden Sieg.

Wenig später folgte der nächste schwere Angriff; diesmal war das Bahnhofsgelände dran. Drei amerikanische Bomberverbände mit jeweils 16 bis 18 Flugzeugen warfen kurz vor 13 Uhr rund 250 schwere Bomben ab. Sie zerstörten das gesamte Areal zwischen Grombühlbrücke und Bahnpostamt (heute Post-Hochhaus) einschließlich des Bahnhofsgebäudes und der Güterhallen.

Wieder rückten Fritz Schäffer und seine Kameraden mit Schaufeln und Spaten aus. „Eine dichte Staub- und Rauchwolke hing über den Bahnanlagen“, erinnerte er sich später. „Wir drangen in die Unterführungen ein, die zum größten Teil erhalten waren. Verletzte und Tote lagen auf Treppen und in Durchgängen. Wir trugen die Verletzten auf den Bahnhofsplatz; die Toten legten wir in eine Reihe in die Anlagen neben dem Bahnhof.“

Hier sah der 15-Jährige etwas, das ihn noch Jahrzehnte später beschäftigte: Ein Soldat, der einen Eisenbahnwagen geplündert hatte, wurde vor ihren Augen standrechtlich erschossen.

Auch nördlich der Bahn hatten Bomben Wohngebäude zwischen Rimparer- und Neumannstraße und zwischen Kohlenhof- und Wagnerstraße getroffen, ebenso südlich in der Haugerglacis- und Neutorstraße. Fritz Schäffer und die anderen Jungen wurden nach dem Einsatz am Bahnhof nach Grombühl beordert. Wieder sahen sie zahlreiche Bombenopfer. Das Würzburger Standesamt registrierte für den 23. Februar 178 Tote.

Die Folgen des Angriffs waren gravierend. Die 17-jährige Ilse Schiborr beschrieb sie in ihren Erinnerungen: „Da auch das Elektrizitätswerk getroffen war, hatten wir tagelang keinen Strom.“ Es schien ihr, als sei keine Steigerung des Elends mehr möglich. „Doch weit gefehlt“, schrieb sie weiter. „Diese Erfahrung sollte uns der 16. März bringen.“

Stadtgespräch am 16. März

70 Jahre danach: Bis heute prägt die Zerstörung Würzburgs am 16.März 1945 das kollektive Gedächtnis der Stadt. Warum darf die Erinnerung nicht mit dem Tod der letzten Zeitzeugen erlöschen? Welche Mitverantwortung hat die jüngere Generation für die Erinnerungskultur? Zum Gespräch darüber laden am Jahrestag, 16. März, um 20 Uhr das Rudolf-Alexander-Schröder-Haus und die Main-Post. Teilnehmer sind Zeitzeugin Ilse Schiborr, Hochschulpfarrer Burkhard Hose, Pfarrerin Angelika Wagner (Gemeinschaft Sant' Egidio), Stadtheimatpfleger Hans Steidle und Kulturreferent Muchtar Al Ghusain.

Täglich Augenzeugenberichte

Auf seiner Facebook-Seite "Würzburg vor 70 und 100 Jahren" veröffentlicht Roland Flade täglich Augenzeugenberichte aus dem Jahr 1915 bzw. 1945. 
 

Fritz Schäffer: „Am 23. Februar legten wir die Toten in die Anlagen neben dem Bahnhof.“
Foto: Privat | Fritz Schäffer: „Am 23. Februar legten wir die Toten in die Anlagen neben dem Bahnhof.“
Hermann Knell: „Am 4. Februar 1945 wurde alles für einen Großangriff ausprobiert.“
Foto: P. Wötzel | Hermann Knell: „Am 4. Februar 1945 wurde alles für einen Großangriff ausprobiert.“
Tod im Stadtzentrum: Schon vor dem 16. März 1945 starben bei Bombenangriffen auf Würzburg mehrere Hundert Menschen. Am 19. Februar 1945 wurden 112 Opfer registriert. Unser Foto zeigt Kürschnerhof und Blasiusgasse nach dem Bombardement; der Blick geht vom Neumünster (links) zur Domstraße.
Foto: Stadtbildstelle | Tod im Stadtzentrum: Schon vor dem 16. März 1945 starben bei Bombenangriffen auf Würzburg mehrere Hundert Menschen. Am 19. Februar 1945 wurden 112 Opfer registriert.
Vergebliche Löschversuche: Am 23. Februar 1945 wurde der Hauptbahnhof schwer verwüstet. Ab diesem Tag konnten keine Züge mehr einfahren.
Foto: Privat | Vergebliche Löschversuche: Am 23. Februar 1945 wurde der Hauptbahnhof schwer verwüstet. Ab diesem Tag konnten keine Züge mehr einfahren.
Albrecht Stock:  „Nach dem 4. Februar 1945 war es mit der Selbstgerechtigkeit vorbei.“
Foto: Privat | Albrecht Stock: „Nach dem 4. Februar 1945 war es mit der Selbstgerechtigkeit vorbei.“
 
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