Hans Steidle, der Stadtheimatpfleger, war 17 Jahre alt, als die 68er durch ein muffiges Deutschland wirbelten. Er war Gymnasiast, ein, sagt er: „guter Schüler, immer“, und ließ sich mitreißen. Die Kritik an überkommenen Autoritäten, eine neue Aufklärung, die Auseinandersetzung mit dem Nazi-Deutschland der Väter- und Großväter-Generation – das war sehr nach dem Geschmack des jungen Steidle. Eine Parole aus seinen Teenager-Jahren lautet: „Trau keinem über 30!“ An diesem Dienstag, 20. September,wird er 60 Jahre alt.
Er hatte einen Deutschlehrer, der Schüler zu sich einlud, um mit ihnen, so erinnert sich Steidle, „bei Rotwein und Gauloises“ über Literatur zu diskutieren. Ein super Lehrer sei das gewesen. Der Schüler Steidle ist selbst Gymnasiallehrer geworden, für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde.
Er sagt, er wisse nicht mehr genau, wer aus dem Rathaus ihn gefragt hat, ob er Stadtheimatpfleger werden wolle. Sein Traumamt sei es nicht gewesen. Angenommen habe er, weil er meinte, er könne die, so sagt er: „Sachen“, die er vor schon machte, weitermachen.
Hans Steidle und seine „Sachen“: Er ist ein promovierter Historiker, hat sich tief hineingeforscht in die Würzburger Geschichte und mehrere Bücher darüber geschrieben, monothematische wie allgemeine. Die lokale jüdische Geschichte war einer seiner Forschungsschwerpunkte, seit 20 Jahren untersucht er Leben und Werk des Würzburger Schriftstellers Leonhard Frank.
Als Stadtheimatpfleger ist er von Amts wegen ein Konservativer, ein Bewahrer und Beschützer. Er waltet seines Amtes im Geiste der 68er; Heimat ist mehr als die Architektur und das Offensichtliche – die Geschichte und das Leben von Minderheiten und armen Schluckern gehören bei Steidle dazu. Eine „kritische Betrachtung, zweifeln, nicht alles glauben – das ist schon wichtig“. Er ist überzeugt davon, dass es eine neutrale Geschichtsschreibung nicht gibt und legt Wert auf seine Subjektivität. Dabei versuche er, der Intellektuelle, „einigermaßen sinnvoll zu begründen“, was er denkt und was er fühlt.
Steidle und Frank
Dass er sich sich so lange am Schriftsteller Frank abarbeitet, verrät viel über ihn und seine Ideale. Sympathisch sei ihm Frank, der Sozialist, weil er „eine gerade und ehrliche Haut“ war. Steidle findet in Franks Werk bis heute große und herausfordernde Gedanken: „Gibt's die große Liebe wirklich? Können die Menschen Verhältnisse schaffen, in denen sie wirklich gut sind? Sind Kinder wirklich gerechter als Erwachsene? Wann ist ein Mensch verrückt?“
Natürlich, erzählt er, „möchte ich etwas mitteilen und aufklären“. Hat er Sendungsbewusstsein? Steidle verneint. Ein bisschen Eitelkeit räumt er ein. Ein wacher Kopfmensch ist er, ziemlich überzeugt von sich, und einer, der das, was er macht, mit Lust macht. Beweglich halten ihn seine Schüler. Immer wieder stelle er durch sie fest, dass andere Argumente besser sind als seine. „Wenn du einigermaßen offen bist“, sagt der Historiker, „erfährst du jeden Tag was Neues.“