zurück
Weikersheim
Der Kammerkassier: Lieblingsstücke und ihre Geschichten
Jeder Zwerg trägt Gegenstände mit sich, die seine Zuordnung zweifelsfrei klären. Der Zwerg Kammerkassier, im Bild  mit Schlossführer Walter Kaltdorf, trägt eine Geldkassette in der Hand.
Foto: Peter Keßler | Jeder Zwerg trägt Gegenstände mit sich, die seine Zuordnung zweifelsfrei klären. Der Zwerg Kammerkassier, im Bild  mit Schlossführer Walter Kaltdorf, trägt eine Geldkassette in der Hand.
Bearbeitet von Lena Berger
 |  aktualisiert: 14.04.2021 02:15 Uhr

Schloss und Schlossgarten Weikersheim sind voller Geschichten und Schätze – und das seit Jahrhunderten. Wie die meisten Monumente im Land ist die einstige Grafenresidenz derzeit wegen der Corona-Pandemie geschlossen und nur das Weikersheimer Team der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg ist jeden Tag in Schloss und Garten unterwegs. Wenn man fragt, stellt man fest: Alle haben ihre Lieblingsstücke. Schlossführer Walter Kaltdorf etwa ist begeistert vom „Kammerkassier“, einer Figur im Schlossgarten – und das hat laut einer Pressemitteilung des Weikersheimer Schloss-Teams ganz persönliche Gründe.

Das Team in Weikersheim kennt die Schätze des Schlosses natürlich im Detail – und hat zum Teil ganz ungewöhnliche Vorlieben. Für Walter Kaltdorf steht sein Lieblingsstück im Schlossgarten von Weikersheim. Es ist eine der Figuren der berühmten Zwergengalerie. „Die Figur des gräflichen Kammerkassiers hat mich immer schon beeindruckt“, erklärt Walter Kaltdorf. Er ist Schlossführer – und vor allem zuständig für das Kassenbüro.

Sandsteinfiguren im Original erhalten

Graf Carl Ludwig von Hohenlohe-Weikersheim und seine Frau Elisabeth Friederike, geborene Fürstin Öttingen-Öttingen – das war das Herrscherpaar, das den barocken Schlossgarten in Auftrag gab. Und sie waren auch die Auftraggeber für den grandiosen Figurenschmuck im Garten mit über hundert Skulpturen aus Sandstein. Sie machen, zusammen mit den Brunnen und Becken, farbenprächtigen Rabatten und eleganten Kübelpflanzen, und vor allem mit der berühmten Orangerie den besonderen Reichtum des Barockgartens aus. Die Gruppe der berühmten Zwerge stammt auch aus dieser Zeit am Beginn des 18. Jahrhunderts.

Die Zwergengalerie von Weikersheim ist berühmt – und im vornehmen barocken Schlossgarten hat sie ganz besonders verblüffende Wirkung. Denn die ganze Umgebung ist auf etwas ganz Anderes eingestimmt: Helden der antiken Sagenwelt, Göttinnen und Götter des Olymp, Gestirne und Winde: Das sind die Hauptdarsteller im Garten. Die über 100 Steinskulpturen aus den Händen der Bildhauerfamilie Sommer entstanden alle im frühen 18. Jahrhundert. Und dass sie bis heute so perfekt und im Original erhalten sind, ist eine absolute Rarität.

Realismus im gräflichen Garten

Wie auch die „Gartenzwerge“, die auf der Balustrade an der Schlossterrasse stehen – Figuren, weit entfernt von den schönen nackten Göttinnen und Helden. Sie sind durchaus realistisch und tragen Kostüme der Zeit und lassen durch die Gegenstände, die sie mit sich tragen, erkennen, dass sie ganz präzise zugeordnet werden sollen: als Gärtnerin oder Braumeister, als Köchin oder als Hofnarr. „Das Grafenpaar hat hier diejenigen Menschen portraitieren lassen, ohne die die Hofhaltung nicht funktionieren konnte“, erklärt Walter Kaltdorf.

Walter Kaltdorf hat sich sein Weikersheimer Lieblingsstück genau angeschaut: „Die Geldkassette hat der Kammerkassier fest in seiner Hand und damit macht er sehr deutlich, dass er die Macht über die Finanzen seines Herrn hat. Man sieht ihm an, wie ihm das innere Befriedigung gibt. Er hat etwas zu sagen, will er ausdrücken. Mein Herr vertraut mir, zeigt er, ich bin wichtig dafür, dass es dem Hof nicht an Geld mangelt, um standesgemäß zu leben und auch den großen Garten als „Versailles in Hohenlohe“ zu gestalten.“

Barocke Urahnen der Gartenzwerge?

Und Walter Kaltdorf ergänzt aus seiner eigenen Erfahrung: „Ich verstehe das gut. Als Bankkaufmann hatte ich früher das Geld unserer Kunden zu verwalten – und auch, wenn es fremdes Geld war, so war ich doch der, der es in der Hand hatte. Auch hier im Schloss bin ich für die Kasse zuständig und kümmere mich um die Einnahmen, damit das Land Baden-Württemberg unser schönes Schloss erhalten und für die Nachwelt bewahren kann.“

Die Zwergengalerie im Weikersheimer Schlossgarten ist berühmt und ein beliebtes Fotomotiv.
Foto: Peter Keßler | Die Zwergengalerie im Weikersheimer Schlossgarten ist berühmt und ein beliebtes Fotomotiv.

Stehen im berühmten Schlossgarten die Vorfahren der heutigen Gartenzwerge? Vor 300 Jahren waren Zwergenfiguren gar nicht so selten: Im 18. Jahrhundert waren solche Gnome beliebte Motive, auch in den Gärten. Als Vorlagen nutzte man verbreitete Stiche, etwa die des französischen Kupferstechers Jacques Callot. Die Weikersheimer Zwerge aber lassen sich nur teilweise darauf zurückführen. Sie sind in ihrer Charakteristik eher ungewöhnlich.

Heute sind sie in ihrer Originalität geradezu das Wahrzeichen des Gartens von Weikersheim: Wahrscheinlich wird kein Motiv im gräflichen Garten häufiger fotografiert. Und sie sind absolute Raritäten – denn kaum irgendwo haben sich Zwergendarstellungen in diesem Format erhalten.

Steinernen Karikatur des Hoffaktors Lämmle Seligmann

Mit dem „Kammerkassier“ verbindet sich noch eine weitere Geschichte: die des Weikersheimer „Hofjuden“ Lämmle Seligmann. Die jüdische Gemeinde blühte zur Zeit von Graf Carl Ludwig, denn dem Landesherrn boten die jüdischen Familien die Möglichkeit, besonders hohe Steuern zu kassieren. Der Weikersheimer Lämmle Seligmann war in späteren Jahren „Hoffaktor“, also der Bankier und Lieferant des Grafen. Man hat daher die historische Gestalt des Finanziers der Hofhaltung später immer wieder mit der steinernen Karikatur des Kammerkassiers verbunden - auch, weil man in der Darstellung leicht Muster erkennen kann, wie sie auch in antisemitischen Bildern verwendet wurden.

Die Zwergengalerie war bis spätestens 1715 komplett und stand im Garten. Ob Lämmle Seligmann damals schon am Grafenhof so präsent war, dass er zum Vorbild für eine steinerne Karikatur wurde, ist unsicher. Wenige Lebensdaten sind von ihm erforscht.

In einem Dokument aus dem Jahr 1730 findet sich, dass Lämmle Seligmann für den jüdischen Friedhof sorgte. 1742 starb er und wurde in Weikersheim begraben. Wahrscheinlich hat die Zwergendarstellung typische Karikaturen der Zeit aufgegriffen. Und gut möglich ist es, dass schon zu Lebzeiten in der Figur des „Kammerkassiers“ nachträglich der jüdische Bankier Lämmle wiedergefunden wurde.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Weikersheim
Antisemitismus
Bankiers
Barockgärten
Carl Ludwig
Cartoon
Familien
Fürstinnen und Fürsten
Judenfriedhöfe
Judentum
Köche
Schloßgärten
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top