Im kleinen Teeraum des Sieboldmuseums darf ich in Zeiten ohne Virus oft Gäste zu einer japanischen Teezeremonie empfangen. In der Intimität des abgedunkelten Raumes begegnen sich Gast und Gastgeber und teilen den Moment bei einer Schale Tee. Ein Moment, der idealerweise von Harmonie, gegenseitigem Respekt, Ruhe und Gelassenheit gekennzeichnet ist. Die Reduktion auf das Wesentliche geht oft mit einer mentalen Beruhigung der Sinne einher.
Liegt es daran, dass sich im Laufe dieser Teezusammenkunft der Gesichtsausdruck der Gäste derart entpannt? Mögen es Japaninteressierte, passionierte Teetrinker oder spirituell Suchende sein, in all den Begegnungen über die Jahre war der Kommentar der Teilnehmer einhellig, nämlich dass ihnen solche Dinge im Alltag verloren gegangen zu sein scheinen. Offenbar gibt es ein Bedürfnis nach mehr Gelassenheit und mehr Achtung im zwischenmenschlichen Umgang. Doch hat es dieser Teeschale bedurft, um dem wieder gewahr zu werden.
Ein Danke gewinnt wieder an Bedeutung
In Zeiten von Corona scheint das anders. Zusammensein auf kleinstem Raum ist tabu. So werden wir Menschen auf uns selbst zurückgeworfen und haben plötzlich Zeit zum Nachdenken. Und das macht kreativ. Nachbarschaftshilfe entstehen. Ein Danke gewinnt an Bedeutung. Wir telefonieren oder schreiben wieder Briefe. Es ist der unverhoffte Freiraum für einen niedrigeren Gang oder die Wiederentdeckung der Schönheit im Kleinen.
Erinnern wir uns daran, wenn jetzt von Lockerungen gesprochen wird und der Aufbruch ins Danach sich anbahnt.
Zeit verschenken an das Gegenüber in der achtvollen Begegnung. Nein zur WhatsApp, mehr Zeit und Nähe für den anderen beim Telefonat! Entscheide ich mich für ein antiquiert erscheinendes "Grüß Gott", oder gehe ich doch wie früher schweigend am anderen vorbei? Nehmen wir nicht alles für selbstverständlich hin. Auch die Rücksichtnahme gegenüber der Natur kann ich schon in kleinen Gesten ausdrücken: Bei Spaziergängen meinen Abfall mitnehmen. Meine Zigarettenkippe nicht auf die Straße werfen. Natürlich treffen die Beispiele bestimmt nicht auf jeden zu.
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Aber ich würde mir mit diesen Zeilen wünschen, dass jetzt bei der vorsichtigen Rückkehr zur Normalität die bitter gewonnene Sensibilität sich bleibend in unserem Verhalten niederschlägt. Wozu wäre sonst diese Zeit der Entbehrungen gut gewesen?
Barbara Lohoff (56) ist Gästeführerin in Würzburg, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Siebold-Museums und hat acht Jahre in Japan gelebt. Dieser Beitrag gehört zur Main-Post-Serie "Der gute Morgen", in der in Zeiten der Corona-Krise Menschen aus Franken ihre positiven Gedanken aufschreiben und mit unseren Leserinnen und Lesern teilen.