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WÜRZBURG
„Der Gipfel des Everest ist sicherer als Münchens Zentrum“
Er kommt wieder nach Franken: Bergsteiger Reinhold Messner spricht im Vorfeld seines Besuchs über Würzburg, den Frankenwein, die Angst vor Terroranschlägen und den Tod.
„Der Gipfel des Everest ist sicherer als Münchens Zentrum“       -  Reinhold Messner am 3. November 2013 in Düsseldorf.
Foto: dpa | Reinhold Messner am 3. November 2013 in Düsseldorf.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:56 Uhr

Reinhold Messner gilt als einer der berühmtesten Bergsteiger unserer Zeit. Er bezwang als Erster den Mount Everest ohne Sauerstoff, bestieg alle 14 Achttausender, die „Seven Summits“ (die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente) und stand auf rund 3500 Gipfeln. Er durchquerte zu Fuß die größten Eis- und Sandwüsten der Erde, die Antarktis, die Wüste Gobi und Takla Makan sowie Grönlands Eis. Am 10. Februar 2017 wird er in Würzburg in einem Live-Vortrag von seinen größten Abenteuern erzählen. Wir sprachen vorab mit ihm am Telefon:

Frage: Im April 2015 waren Sie für einen Vortrag in Veitshöchheim, im Februar nächsten Jahres kommen Sie nach Würzburg. Sind Sie häufig in Unterfranken?

Reinhold Messner: Ja, ich war schon oft in Würzburg. Seit 50 Jahren halte ich Vorträge. Das ist eine lange, lange Zeit. Würzburg hat einen großen Einzugsbereich und aufgrund meiner vielen Abenteuer bin ich immer wieder eingeladen worden, etwas darüber zu erzählen.

Welche Erinnerungen haben Sie an Würzburg?

Messner: Würzburg ist für mich eine sehr schöne Stadt – und das sage ich nicht nur, weil es dort guten Wein gibt und am Rande der Stadt sehr schöne Weinhänge liegen. Ich bin selbst Weinbauer. Würzburg ist auch eine typische bayerische Barockstadt mit vielen Elementen.

Welcher ist Ihr Lieblingswein?

Messner: Mein Lieblingswein ist der Pinot Noir. Ich bin kein Weißweintrinker. In Würzburg haben Sie ja hauptsächlich Weiße. Der Pächter, der meinen Wein produziert, macht hochwertigen Riesling. Seit ich selbst die Verantwortung für ein recht steiles Weingut übernommen habe, leide ich natürlich immer mit allen Weinbauern, wenn eine Krankheit in den Hängen ausbricht. Wenn der Wein besonders gut wird, freue ich mich allerdings für alle Winzer.

Ein Gedankenexperiment: Wenn Sie in Würzburg statt in Südtirol geboren wären, was wäre aus Ihnen geworden – ein Weinbauer vielleicht?

Messner: Dazu hätte der Vater ein Weingut haben müssen, was nicht der Fall war. Ich stelle mir aber vor, wenn ich ein Weingut hätte erben können... Kaufen kann man Weingüter heute kaum noch, weil sie zu teuer geworden sind. Bei mir war das eine Ausnahme. Ich habe mir ein Weingut gekauft, das mehr als 80 Jahre lang aufgegeben brach lag. Alles war kaputt. Damit hat es nicht viel gekostet und ich habe es wieder neu angelegt. Aber wenn ich ein Weingut geerbt hätte, wäre ich wohl nie auf die Dummheit gekommen, auf die höchsten Berge der Welt zu steigen...

Als Sie fünf Jahre alt waren ist Ihr Vater mit Ihnen auf einen Dreitausender gestiegen. Haben Sie das mit Ihren vier Kindern auch gemacht?

Messner: Mein Sohn war noch kleiner, als er mit mir auf einen Dreieinhalbtausender stieg. Das hat er allerdings nicht besonders goutiert und ist lange Zeit dem Bergsteigen und Klettern ferngeblieben. Heute (gerade macht er sein Studium fertig) ist er ein begnadeter und auch ein sehr extremer Kletterer.

Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?

Messner: Das Wichtigste ist wohl, dass ich relativ früh den Mut hatte, meinen Weg zu gehen. Das ist auch das, was ich heute den jungen Leute rate: mutig ihren Weg zu gehen. Wobei es natürlich sehr schwer ist, überhaupt den eigenen Weg zu finden und zu merken: Das ist es! Das ist mein Leben! Ich hatte das Glück, dass ich früh gezwungen war, umzusteigen: von einem Leben in ein anderes Leben. Das habe ich zu meiner Kunst gemacht. Ich bin alle zehn bis zwölf Jahre umgestiegen und habe etwas Neues ausprobiert. Ich war immer am besten, wenn ich etwas Neues gelernt und abgeschaut habe und damit gefordert war, mich wieder ganz einzubringen.

Gibt es eine Entscheidung in Ihrem Leben, die Sie bereut haben?

Messner: Ich habe gelernt, dass das zu spät ist. Natürlich habe ich Fehler gemacht. Manche kann man korrigieren. Aber eben nicht alle. Diesen Fehlern nachzuweinen, nützt nichts. Man kann sich über sie ärgern oder auch darüber trauern. Aber man kann sie nicht rückgängig machen. Bei meiner Tätigkeit wurde mir früh bewusst, dass ich die ganze Verantwortung für das trage, was ich tue. Ich kann die Verantwortung nicht abwälzen, weder auf ein Gericht noch auf irgendjemanden, der vielleicht das falsche Steigeisen gebaut hat. Ich habe dieses Steigeisen gewählt. Ich habe es genommen. Ich trage die ganze Verantwortung für das, was ich anschließend damit mache.

Gibt es irgendetwas, wovor Sie Angst haben?

Messner: Ich habe immer Angst, wenn ich etwas mache, was ich noch nicht kann. Ich bereite mich vor, lerne, korrigiere, bis die Ängste langsam abflauen und bis ich merke: „Das beherrsche ich“. Dann wage ich es. Trotzdem kann immer noch etwas passieren, denn wir Menschen sind Menschen, weil wir auch Fehler machen.

Angst ist im Augenblick ein weit verbreitetes Gefühl – auch hier in Franken nach den Terroranschlägen von Würzburg und Ansbach. Wie beurteilen Sie diese Angst?

Messner: Ich verstehe die Angst der Menschen, vor allem jener Menschen, die vielleicht wenig in die Welt hinausgekommen sind. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terrorakt umzukommen viel kleiner als die Wahrscheinlichkeit, an einer plötzlichen Krankheit oder durch einen Verkehrsunfall zu sterben. Trotzdem ist diese Form der Gefahr, die nicht durchschaubar oder erkennbar ist, plötzlich da. Es ist logisch, dass viele Menschen Angst haben.

Ist eine Gefahr, die nicht sofort erkennbar ist, noch angsteinflößender?

Messner: Ja, denn wir haben geglaubt, in unseren Städten könne nichts mehr passieren. Mit dem Flugzeugangriff auf die Twin Towers in New York 2001 ist den meisten Menschen klar geworden: Die größten Städte sind die unsichersten Orte der Welt. Unsere Hochtechnologie wird inzwischen als Waffe benutzt – zum Beispiel das Internet, das wie ein einziger Strom durch die ganze Welt fließt. Wir haben uns Sicherheiten geschaffen, die jetzt als Waffe dienen können.

Wie geht man Ihrer Meinung nach am besten mit der Angst um?

Messner: Ich lebe während meiner Abenteuer in einer archaischen Welt. Das ist nicht die Stadtkultur. Hier gibt es keine Pseudosicherheit. Es gibt überhaupt keine Sicherheit. Ich muss mir die Sicherheit erarbeiten. Sie ist in mir drin. Ich kann hier und dort absichern. Aber in erster Linie muss ich alles, was ich tue, hundertprozentig beherrschen. Heute ist der Gipfel des Mount Everest ein sicherer Platz als das Zentrum von München. Wenn ich durch München laufe, muss ich die Augen offenhalten, ob irgendjemand einen Sprengsatz hinterlegt. Natürlich mache ich das in München nicht, weil ich keine Notwendigkeit darin sehe.

Wenn ich dagegen auf den Mount Everest steige, bin ich ununterbrochen wach und prüfe: Kann eine Lawine abgehen? Kommt ein Sturm auf? Bin ich noch hundertprozentig fit? Habe ich alles dabei? Dort bin ich hundertprozentig für das, was ich tue, verantwortlich. Das ist der Unterschied einer archaischen Welt zur Stadtkultur.

Das heißt, das Gefühl der Sicherheit ist trügerisch und eigentlich nur eine Utopie?

Messner: Das sehe ich anders. Die Sicherheit wohnt in mir. Sicherung dagegen brauche ich nur, wenn ich unsicher bin oder einen Fehler mache. In der heutigen Stadtkultur – im Gegensatz zur Abenteuerkultur – kann ich die Bedrohung nicht sehen, nicht hören, nicht riechen. Das ist das Problem. Früher konnte mir ein Ziegel vom Dach auf den Kopf fallen. Heute sind die Gefahren viel versteckter.

Wenn Sie alleine und ohne Sauerstoff auf dem Gipfel eines Achttausenders in der Todeszone stehen: Was empfinden Sie?

Messner: Nicht allzu viel. Da oben ist es kalt. Es gibt wenig Platz zum Stehen oder Herumlaufen. Alle wollen nichts wie hinunter, weil die Sicherheit unten im Basislager wartet. Dort gibt es alle Annehmlichkeiten: ein gutes Bett, einen guten Schlafsack, einen Koch, Essen und vor allem Trinken: Man ist oben ganz ausgedörrt durch das schnelle Atmen. Jeder von uns will nur wieder herunter. Die Vorstellung, da oben sei der Klimax des Glücks ist eine Fehlvorstellung, die nur die Untengebliebenen haben. Aber das Zurückkommen aus dieser gefährlichen anstrengenden und kalten Welt ist wie eine Wiedergeburt. Das Zurückkommen in die Sicherheit ist der eigentliche Höhepunkt einer Tour. Das Ziel ist, in die Wildnis hineinzugehen, zu überleben und zurückzukommen. Zurück ins eigene Leben.

Böse gefragt: Haben Sie damit gerechnet, einmal 72 Jahre alt zu werden?

Messner: (Er lacht). Das ist lieb gefragt. Mit 25 Jahren war ich in meiner Hochform als Kletterer, mit 35 in meiner Hochform in den großen Bergen, mit 60 habe ich die letzte schwierige Expedition gemacht. Bis 40 habe ich in keine Rentenkasse eingezahlt, weil ich glaubte: Das brauche ich nicht.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Messner: Nein, vor dem Tod habe ich keine Angst, aber vor dem Sterben. Ich hoffe, dass ich es ohne Krankheit und Demenz bis dahin schaffe. Das Alter kann zu einem Massaker werden. Im Moment geht es mir noch sehr gut, aber das ist ein Glücksfall. Ich habe ein paar Blessuren, abgefrorene Zehen, einen schlimmen Fersenbeinbruch, doch ich kann noch alles machen, was mir mein Alter erlaubt. Ich muss mich nicht mehr extrem gebärden wie früher, doch ich liebe es, etwas zu gestalten und Ideen in die Tat umzusetzen. Ich bin dem Leben sehr dankbar.

Würde Ihr verstorbener Bruder Günther heute noch leben, wovon würden Sie ihm als Erstes berichten?

Messner: Mein Bruder und ich, wir waren eine sehr stark eingeschworene Seilschaft – auch innerhalb der Familie. Wir haben Einiges zusammen gemacht, was andere nicht nachempfinden konnten. Es wäre sicherlich dabei geblieben. Mein Bruder wäre damals bestimmt nicht in die Bank zurückgekehrt, ich hätte dem Lehrerberuf endgültig abgeschworen und wir wären miteinander auf unsere Expeditionen gegangen. Heute würden wir wahrscheinlich gemeinsam Filme machen. Wir hätten uns vermutlich gar nichts zu erzählen, weil wir das meiste miteinander erlebt hätten.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Messner: Nein, ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Ich lasse es offen. Ich behaupte, dass wir Menschen sind, weil wir keinen Blick ins Jenseits haben. Wir haben keine Empathie, keine Augen, keine Ohren, keine Sinne, um das Jenseitige oder eine göttliche Dimension zu begreifen. Andernfalls wären wir selbst göttlich. Weil es nicht begreifbar ist, lasse ich es offen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich eine ordnende Kraft über allem ablehne. Ich bin ein Possibilist.


Messner live in Würzburg

Reinhold Messner wird am 10. Februar 2017 ab 20 Uhr im Würzburger Congress Centrum in der Pleichertorstraße 12 in einem Live-Vortrag mit dem Titel „ÜberLeben“ auf sieben Jahrzehnte seines Lebens zurückblicken. Tickets: www.messner-live.de

 
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