Sara erzählt von ihren Freunden im Kindergarten, von den Spielen, die sie mit ihnen gespielt hat, und davon, wie sehr sie sich auf ihren allerersten Schultag freut. Sie plappert fröhlich drauf los, wie es Sechsjährige so tun. Nichts lässt vermuten, dass sie vor einem Jahr erst in Deutschland angekommen ist – verängstigt und ohne ein Wort Deutsch zu können.
Mit ihren Eltern und den vier Geschwistern war Sara zwei Jahre zuvor aus ihrer Heimat nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus geflohen. Im August 2014 ist die Familie Al Sagheer in der Notunterkunft in Tückelhausen angekommen.
Im Mai 2015 wurde ihr Asylantrag bewilligt. Seit August leben sie in einer Wohnung in Goßmannsdorf. Langsam kehrt die Normalität ins Leben der Familie zurück, umso mehr jetzt, wo die Schule beginnt.
„Sara ist ein Sprachgenie“, sagt Barbara Clobes vom ehrenamtlichen Asyl-Helferkreis in Tückelhausen. Sie wechselt im Gespräch mit ihrer Mutter mühelos zwischen Arabisch und einem akzentfreien Deutsch. „Am Anfang war es nicht so gut“, erzählt die Sechsjährige, „jemand hat mir etwas gesagt, aber ich hab' ihn nicht verstanden.“
Ihren Namen und einige einfache Wörter kann Sara inzwischen schon in lateinischen Buchstaben schreiben. Die arabische Schrift hatte sie bereits im Kindergarten in Syrien gelernt.
Barbara Clobes erinnert sich an die Episode als das Mädchen beim Spielen eine scheinbar wirre Buchstabenfolge mit Kreide auf die Straße gemalt hat. Erst als Sara vorlas, wurde die Bedeutung deutlich. „MAMA ICH LIBE DICH“, stand dort geschrieben – von rechts nach links.
Vier- bis fünfmal in der Woche hat der Helferkreis Deutschunterricht für die Flüchtlinge organisiert. Auch ihre beiden älteren Schwestern Reem und Roula können die Sprache inzwischen gut, sprechen aber lange nicht so unbefangen wie Sara. Die beiden jüngeren Brüder, der fünfjährige Mohamed und der zweijährige Omar, sind noch zu schüchtern, um mit Fremden zu reden.
Die 13-jährige Roula war ein Jahr lang in der Übergangsklasse an der Mittelschule in Gaukönigshofen und kommt nun in die Regelklasse. Für ein halbes Jahr nur, um ihre Deutschkenntnisse weiter zu festigen, dann will sie in die Realschule wechseln. Am Nachmittag lernt sie zu Hause, um Anschluss an den Lernstoff zu finden.
Ihre große Schwester Reem hätte das Zeug, um aufs Gymnasium zu gehen, sagt Barbara Clobes, selbst Gymnasiallehrerin von Beruf. Nur in der Sprache fühlt sich die 16-Jährige noch nicht sicher genug und will deshalb am M-Zweig der Mittelschule ihre Mittlere Reife ablegen, um später eine höhere Schule besuchen zu können.
„Das Wichtigste war, dass wir wieder in die Schule gehen konnten“, beschreibt Roula ihre Eindrücke von der Ankunft in Tückelhausen.
Die Zeit der Ungewissheit endete für Jalal Al Sagheer und seine Frau Oula erst, als im Mai der Asylantrag bewilligt wurde. „Ich und mein Mann haben geweint“, erzählt Oula, „wir haben so lange auf Sicherheit und Stabilität gehofft.“
Der Helferkreis hat sich danach auf die schwierige Suche nach einer geeigneten Wohnung für die siebenköpfige Familie begeben und war schließlich in Goßmannsdorf fündig geworden. Im August ist die Familie dann aus den beiden Zimmern in der Tückelhäuser Unterkunft ausgezogen.
Jalal, Elektriker von Beruf, hat schon die ersten Beete im kleinen Garten vor dem Haus bepflanzt. Für neun Monate besucht er nun einen Integrationskurs in Würzburg und ist zuversichtlich, danach auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Oula ist Arabisch-Lehrerin und würde gerne mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung andere Flüchtlinge unterstützen.
Es ist nur scheinbar eine heile Welt, die sich Familie Al Sagheer im vergangenen Jahr in Deutschland aufgebaut hat. Die Berichte über syrische Flüchtlinge in Ungarn hat die Familie über Wochen hinweg mit Bestürzung verfolgt.
Oulas Bruder und Schwester hatten sich mit ihren Familien über die Balkanroute auf den Weg nach Deutschland gemacht. In der vergangenen Woche haben sie ihr Ziel erreicht und leben jetzt in einer Notunterkunft nahe Stuttgart.
Aber auch die Nachrichten aus Syrien lassen die Familie nicht los. Viele Verwandte leben noch in Damaskus. „Meine Freunde sind alle noch dort“, erzählt Roula. Zu einigen von ihnen stehen sie und ihre Schwester Reem inzwischen über Facebook im Kontakt. Trotzdem lässt Reem das Heimweih nicht los. „Die Heimat hat man immer im Herzen“, sagt sie.
Sara hat für solche Gedanken keine Zeit. Gerne zeigt sie ihre Schultüte und die Büchertasche, die sie schon vor Tagen gepackt hat. Fleißig lernen will sie in der Schule, sagt Sara. Schließlich wolle sie später einmal Ärztin oder Tierärztin werden. Und viel basteln – darauf freut sie sich am meisten.