
Eric Clapton wurde einmal gefragt, wie man sich denn so fühle als Gitarrengott. Keine Ahnung, soll Clapton geantwortet haben, fragen Sie Prince! Schwer zu sagen, ob das Zitat authentisch ist. Falls nicht, wäre der kleine Dialog eine der unzähligen Legenden, die sich um Leben und Werk des Prince Rogers Nelson ranken, geboren am 7. Juni 1958 in Minneapolis, Minnesota, gestorben am 21. April 2016 in Chanhassen, Minnesota.
Unwahrscheinlich erscheint das Zitat aber nicht: Der Bluesgitarrist Eric Clapton, bekannt für seine selbstironischen Sprüche, hat in Prince eines der größten musikalischen Genies überhaupt erkannt. Das Album „Purple Rain“ sei für ihn ein Lebensretter gewesen: „Ich habe es in einer Zeit gehört, als ich dachte, Rock'n'Roll sei tot.“
Mittendrin im musikalischen Kosmos von Prince
Nun ist „Purple Rain“ nicht das, was man gemeinhin als Rock'n'Roll bezeichnen würde. Zumindest nicht nur. Womit wir mitten drin wären im musikalischen Kosmos von Prince.
Niemand hat so virtuos, einfallsreich und schlüssig so viele Musikrichtungen zu einem eigenen, unendlich vielschichtigen und dennoch unverwechselbaren Sound verschmolzen – Gospel, Blues, Jazz, Boogie, Country, Soul, Rhythm and Blues, Funk, HipHop, Dance, Latin, Folk, Rock, Pop, afrikanische, asiatische, karibische Elemente. Laut Stevie Wonder spielte er auch gerne Klassisches.
„Produced, Arranged, Composed and Performend by Prince“ steht auf mehr als einer Plattenhülle. Außer auf dem Black Album. Da steht gar nichts drauf. Das ist einfach nur schwarz. Das ist einfach nur Prince.
Prince kann alles, Prince ist immer alles gleichzeitig, und Prince ist dabei immer Prince. Vermutlich muss man selbst Musiker sein, um zu ermessen, wie unwahrscheinlich es ist, dass so etwas gelingen kann. Und vermutlich wird es auch so bald niemandem mehr gelingen. Wo Puristen stilistische Stringenz einfordern, steht Prince für künstlerische Souveränität schlechthin, sagt Daniel Biscan. Biscan ist Bildchef dieser Zeitung und Musiker. Der Singer-Songwriter („Laut wie die Liebe“) tritt mit seiner Band regelmäßig im Vorprogramm von Nena auf.
Er kennt die Barrieren nur zu gut, die Musiker im Kopf haben: Alles muss aus einem Guss sein und möglichst eindeutig in eine Schublade passen. Prince scherte sich einen Dreck darum. Biscan: „Deshalb ist er für mich so ungeheuer bedeutend.“
Der Wikipedia-Eintrag listet 33 Studioalben auf
Mit Prince ist es wie mit Bach, Mozart oder Beethoven: Kaum vorstellbar, dass ein einziger Mensch sich das alles ausgedacht haben soll. Nur die allerhärtesten Fans können von sich behaupten, einen Überblick über das Gesamtwerk zu haben. Der Wikipedia-Eintrag listet 33 Studioalben auf – unter dem Zusatz „Auswahl“. Und jedes dieser Alben ist eine Welt für sich. Das wird vielleicht am deutlichsten mit „Lovesexy“ von 1988, das in der CD-Version nur einen Track hat. Man kann also nicht von Song zu Song springen. Viele Fans haben das nie bemerkt. Wer „Lovesexy“ einlegt, kann nicht anders, als die CD ganz anzuhören. Hinzu kommen unzählige Bootlegs, also Schwarzpressungen, etwa der legendären Clubshows, die Prince auf Tour gewohnheitsmäßig nach den eigentlichen Konzerten spielte. „Nightclubbing“ etwa entstand 1988 in Den Haag. Prince gönnt sich (und uns) darauf eines seiner coolsten Gitarrensoli.
Und dann ist da noch der sagenumwobene Tresorraum in Paisley Park, seinem Wohn- und Studioanwesen in Chanhassen. Mal ist von 60 unveröffentlichten Alben die Rede, mal von bis zu 1000 Songs. Das wäre, als kämen plötzlich die Sinfonien zehn bis zwölf von Beethoven ans Licht. Kein Wunder, dass die Musikwelt dieser Tage leicht aufgeregt ist.
Der Mensch Prince entwickelte die Kunstfigur Prince
Obwohl es über Prince unzählige Fun Facts gibt, unnützes Wissen also, wissen wir nur sehr wenig über den Menschen Prince. Genau das wollte er. Geschickt und ähnlich konsequent wie in seiner Musik entwickelte Prince die Kunstfigur Prince. Eric Clapton beschreibt sie als Reinkarnation von Little Richard, Jimi Hendrix und James Brown gleichzeitig.
In konsequenter Selbststilisierung schuf Prince eine mysteriöse Aura der Flüchtigkeit und der Unberechenbarkeit. Versuche, diese Fassade zu durchbrechen, parierte er mit beinahe schüchtern anmutender Eleganz. Als Larry King ihm in seiner Talkshow vorhielt, er sei doch wohl einigermaßen anders als andere Leute im Showbusiness, fragte er zurück: „Anders verglichen mit was?“
Dabei war er – anders als Michael Jackson, der zweite Superstar seines Kalibers – keine Mimose. Im Gegenteil, Zeitgenossen beschreiben ihn jenseits seiner Arbeitswut und künstlerischen Kompromisslosigkeit als witzig, großzügig und bescheiden.
Er jammte oft und gerne mit Kollegen. Dank YouTube und einer beispiellosen weltweiten Welle der Trauer sind heute Ausschnitte seiner eigenen Shows zugänglich, ebenso wie etliche seiner Soli bei Gastauftritten. Unbeschreiblich der Jubel, wenn er etwa in einem Konzert von Lenny Kravitz auf der Bühne erschien. Oder seine Halbzeitshow im Regensturm beim Super Bowl 2007 in Miami. Als sich vormittags abzeichnete, dass das Wetter katastrophal sein würde, riefen die Verantwortlichen Prince an und fragten ihn, ob er damit klarkommen werde. Er habe nur antwortet: „Könnt ihr dafür sorgen, dass es noch stärker regnet?“
Gerade mal 1,58 Meter groß, trug Prince grundsätzlich High Heels
In der Muppet Show spielte er in Latzhosen und mit Redneck-Akzent den Hillbilly oder schüttelte mal eben zwei Songs aus dem Ärmel – mit der Speisekarte des dänischen Kochs als Text. Jimmy Fallon, den Moderator der Tonight Show, forderte er spätnachts zum Pingpong-Duell, und in der Sitcom „New Girl“ gab er den Beziehungsberater. Princes androgyne Sexyness nahm auf keinerlei Konventionen Rücksicht. Gerade mal 1,58 Meter groß, trug er grundsätzlich High Heels, in früheren Jahren auch mal Strapse. Outfits irgendwo zwischen Rokoko und Freakshow, die wohl mehr als einen Fan der Rolling Stones nachhaltig verstörten, in deren Vorprogramm er 1981 zweimal mit sehr überschaubarem Erfolg auftrat.
Spätestens mit „Purple Rain“ 1984 war er ein Superstar. Spätestens ab da konnte er tun und lassen, was er wollte. Das muss man sich erstmal trauen: Den eigenen Namen, die hart erarbeitete Marke einfach gegen ein obskures Symbol austauschen, weil man sich mit der Plattenfirma überworfen hat. Jeder Künstler geringeren Formats wäre unwiderruflich in der Versenkung verschwunden. Nicht aber The Artist Formerly Known As Prince.
Es war die „Purple-Rain“-Tour, die auch Patrick Obrusnik endgültig zum Fan machte. Obrusnik, damals 15, blieb die halbe Nacht auf, um im Fernsehen die Übertragung eines Konzerts in Syracuse anzuschauen. Den Tag weiß er noch genau: „Das war am 30. März 1985. Das war mein Erweckungserlebnis.“ Obrusnik, heute Reporter und Nachrichtenmann beim Regionalstudio des BR in Würzburg, traf die Nachricht von Princes Tod als Schock. Sehr schnell war klar, dass er es nicht aushalten würde: „Ich musste da hin, um mich unter Gleichgesinnten vernünftig zu verabschieden.“ Also sagte er alle Termine ab und flog für eine Woche nach Minneapolis.
Paisley Park ist jetzt Pilgerstätte, der Zaun um das Anwesen vollgesteckt mit Blumen, Karten, Ballons, alles vorzugsweise in Purple, also Lila. Die Menge derer, die Prince nochmal nahesein wollen, ist unüberschaubar, erzählt Obrusnik. Zu Lebzeiten war das ganz leicht: „Man hat ihn hier in Ruhe gelassen, deshalb ist er auch in der Gegend geblieben. Er ist mit dem Fahrrad rumgefahren und einkaufen gegangen. Und die Leute haben nur gesagt, ,hello Prince'.“
„Sehr, sehr schöne Erlebenisse“ habe er gehabt, viele Freundschaften geschlossen. Auf seinen Facebook- und Twitter-Seiten ist die Reise dokumentiert. So traf Obrusnik einen ehemaligen persönlichen Assistenten. „Der musste den Job nach zwei Jahren, mit 24, aufgeben, weil er mit Princes Tempo nicht Schritt halten konnte.“ Oder Susan Rogers, die als Toningenieurin an allen Alben zwischen 1983 und 1987 beteiligt war und heute dringend anmahnt, dass der musikalische Nachlass katalogisiert und gesichert wird. „Da ist analoges Material dabei, das zu zerfallen droht“, sagt Obrusnik.
Viele Menschen hoffen, dass Paisley Park nach dem Vorbild von Elvis' Graceland zum Museum wird. Eine Petition fordert, dass die Farbe des Staates Minnesota in Purple geändert wird. Ihm habe seine Reise sehr geholfen, sagt Patrick Obrusnik. Am letzten Tag hat er vor Princes Elternhaus noch einen Stein abgelegt, auf den sein Sohn ein Prince-Motiv gemalt hatte, dann ist er heimgekehrt. „Ich empfinde weniger Trauer und kann jetzt umso stärker seine Musik feiern.“




