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OCHSENFURT/WÜRZBURG
Der Ameisenforscher, der nicht aufhören kann
Gewimmel mit System: Ameisenforscher Bert Hölldobler vor einem künstlichen Ameisennest.
Foto: Wolfgang Thaler | Gewimmel mit System: Ameisenforscher Bert Hölldobler vor einem künstlichen Ameisennest.
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:31 Uhr

Lenomyrmex hoelldobleri ist im wahrsten Sinne des Wortes einzigartig. Ein einziges Exemplar der Ameisenart ist der Wissenschaft bisher bekannt. Gefunden hat es 2012 ein Biologe im Magen eines tropischen Baumfrosches, den er im Regenwald von Ecuador sezierte. Als eine von sieben Ameisenarten trägt das verspeiste Tier den Namen von Bert Hölldobler, einem der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der sozialen Insekten. „Ameisenpapst“ wird er gelegentlich genannt, obwohl sich Hölldobler selbst eher als „gutmütigen Atheisten“ bezeichnet.

Jetzt sitzt Bert Hölldobler in seinem kleinen Büro im Biozentrum der Universität Würzburg. An dessen Gründung im Jahr 1993 war er maßgeblich beteiligt. 17 Jahre lang hatte er zuvor an der amerikanischen Elite-Universität in Harvard geforscht und gelehrt, bis er 1989 an seinen einstigen Studienort Würzburg zurückkehrte. Hölldobler wuchs in Ochsenfurt auf, ging in Marktbreit ins Gymnasium und schloss sein Biologiestudium mit dem Doktortitel ab, bevor er sich aufmachte in die Sphären der internationalen Spitzenforschung.

Nach seiner Emeritierung im Jahr 2004 zog es Bert Hölldobler wieder zurück in die USA. Die State University of Arizona bot ihm damals an, eine internationale Forschergruppe aufzubauen. Ihr gehört er noch immer an, inzwischen 80-jährig. „In den USA spielt Alter keine Rolle“, sagt er. „Die fragen nicht, wie alt man ist, sondern was man bringt. Und wenn man nichts mehr bringt, merkt man das sehr schnell.“

Für Hölldobler war das Angebot aus den USA die Chance, einer Insektenfamilie, der er sein ganzes Forscherleben gewidmet hat, weitere Geheimnisse zu entlocken. Viele zum Teil spektakuläre Entdeckungen hatte Hölldobler bis dahin schon gemacht. Dazu gehörte die Entschlüsselung der komplizierten chemischen Kommunikation innerhalb von Ameisenvölkern. Der Biologe konnte nachweisen, wie verschieden zusammengesetzte Wachse, die die Ameisen am Körper tragen, im Lauf der Evolution zu einem komplexen Code wurden.

Und es ist ihm gelungen, mehr als 100 Jahre nach Charles Darwin, dessen Evolutionstheorie schlüssig zu beweisen. Mit den sozialen Insekten wie den Ameisen hatte sich der englische Naturforscher nämlich schwergetan, weil sich der evolutionäre Fortschritt nicht auf das Individuum bezieht, sondern auf das ganze Volk. Selektion muss sich also auch auf enge Familienverbünde beziehen können, schlussfolgerte Darwin einst. Erst durch die Genforschung gelang es Hölldobler, diese These zu untermauern.

Das „Faszinosum Ameise“ lässt Bert Hölldobler nicht los. Und er versteht, diese Faszination auf seine Zuhörer und Leser zu übertragen, auch wenn die ihm nur ein kleines Stück in die Tiefe seiner Wissenschaft folgen können. Das hat das Buch „The Ants“ unter Beweis gestellt, für das Bert Hölldobler 1991 gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Edward O. Wilson den Pulitzer-Preis erhalten hat. Obwohl für ein Fachpublikum geschrieben, erreichte es dank seiner verständlichen Sprache ein breites Publikum.

An dieser verständlichen Sprache macht Hölldobler einen wesentlichen Unterschied zwischen der deutschen und der amerikanischen Forschergemeinde fest. „Wissenschaft hat nur dann einen Wert, wenn man sie mitteilt“, sagt er. In den USA gebe es eigene Lehrstühle für die öffentliche Kommunikation wissenschaftlicher Inhalte. „Man kann sogar ein schwieriges Thema in der Molekularmembranphysik so darstellen, dass auch dem Unbedarften klar wird, worum es dabei geht“, sagt Hölldobler. „Das lernt man bei uns immer noch zu wenig.“

Bert Hölldobler hat die Welt der Forschung diesseits und jenseits des Atlantik kennengelernt und meint zu wissen, warum amerikanische Forscher viel häufiger in den Listen der Nobelpreisträger auftauchen als ihre deutschen Kollegen. Die Humboldtsche Idee der Einheit von Forschung und Lehre hätten sich die Amerikaner von den Deutschen abgeschaut, sagt er. Während man den Leitgedanken hierzulande vergaß.

Stattdessen findet Spitzenforschung häufig in außeruniversitären Instituten der Max-Planck-, Fraunhofer- und ähnlicher Gesellschaften statt. Den dort tätigen Forschern fehle die Herausforderung durch den Lehrbetrieb, sagt Hölldobler. Die Universitätsprofessoren wiederum seien zu stark vom Vorlesungsbetrieb beansprucht, um sich ausreichend in neueste Erkenntnisse ihres Forschungsgebiets einarbeiten zu können.

Mit der Gründung des Biozentrums sei an der Universität in Würzburg der fast schon revolutionäre Akt gelungen, die Grenzen zwischen Instituten und Fakultäten einzureißen und den Rahmen für interdisziplinäre Forschung zu schaffen. Vieles davon beruhte auf Erfahrungen, die Wissenschaftler zuvor in Amerika gemacht haben. Trotzdem warnt Hölldobler davor, amerikanische Verhältnisse zu imitieren. „Die beiden Systeme haben sich vollkommen unabhängig voneinander entwickelt.“

Dass es Bert Hölldobler wieder in die Staaten zurückzog, hat damit zu tun, dass er Land und Leute in fast vier Jahrzehnten schätzen und lieben gelernt hat. Weniger steif, weniger hierarchisch gehe es dort zu. So sei es ihm schon passiert, dass ihn die Putzfrau des Instituts nach einem längeren Auslandaufenthalt zur Begrüßung umarmt hat – „bei uns wäre das unvorstellbar“.

Vor allem aber reizt ihn die Aufgabe, mit einem Team junger, motivierter Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen an seinem großen Werk weiterarbeiten zu können. Deren Arbeit hat inzwischen den Bereich der Biologie überschritten. Physiker und Ingenieure arbeiten daran, die Verhaltensmuster, die Ameisen beim gemeinsamen Transport schwerer Lasten zeigen, auf die Entwicklung von Mikrorobotern anzuwenden. Mathematiker machen sich die Erkenntnisse der Ameisenforscher zunutze, um Transportanlagen zu optimieren.

Welches ungeheure Potenzial in der Erforschung der sozialen Insekten noch steckt, wagt Bert Hölldobler gar nicht zu vermuten. 14 000 unterschiedliche Ameisenarten seien der Wissenschaft bislang bekannt. Vermutlich genauso viele, schätzt die Fachwelt, sind noch unentdeckt. Allein das Blätterdach des tropischen Regenwalds, dessen Erforschung gerade erst begonnen hat, birgt wahrscheinlich Tausende unentdeckter Spezies.

Dass die meisten Menschen die kleinen Krabbeltiere eher als lästiges Übel empfinden, pariert Bert Hölldobler mit dem Hinweis, dass Ameisen vermutlich die Tiere sind, die weltweit den größten Einfluss auf unsere Ökosysteme haben. Und wenn sich ein paar von ihnen tatsächlich in unsere Wohnungen verirren, hat er einen Tipp parat: „Kaufen Sie sich eine Lupe, legen Sie sich auf den Boden und beobachten Sie sie genau.“ So hat auch bei ihm alles angefangen.

Vortrag:

An diesem Samstag, 21. Januar, gibt Bert Hölldobler in der Stadtbibliothek in Ochsenfurt einen Einblick in seine Forschungen und die faszinierende Welt der Ameisen. Beginn ist bereits um 10.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Buchtipp:

„Der Superorganismus“ von Bert Hölldobler, Bert und Edward Wilson, Springer Verlag Berlin 2015, 604 Seiten, 39,99 Euro.

KINA - Wusstest du, dass...? - Wie Ameisen riechen       -  Zwei Exemplare der Kahlrückigen Waldameise (Formica polyctena), auch Kleine Rote Waldameise genannt, betasten sich. Ameisen riechen mit ihren Fühlern.
Foto: ullrich perrey, dpa | Zwei Exemplare der Kahlrückigen Waldameise (Formica polyctena), auch Kleine Rote Waldameise genannt, betasten sich. Ameisen riechen mit ihren Fühlern.
 
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