Dass am Freitagabend im Audimax der Universität Würzburg Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sitzen, sei zwar nur eine mit der Polizei abgesprochene Vorsichtsmaßnahme, heißt es von Veranstalterseite. Dass der Anlass für diese Maßnahme aber nichts weiter als die Lesung eines Journalisten in einer deutschen Hochschule ist, stimmt nachdenklich. Auch wenn dieser Journalist Deniz Yücel heißt. Der Korrespondent saß ein Jahr in der Türkei im Gefängnis, "weil ich meinen Job gemacht habe", wie er sagt. Nach seiner Freilassung im Februar 2018 machten nicht nur türkische Nationalisten, sondern auch rechte Kräfte in Deutschland, darunter die AfD, Front gegen den Deutsch-Türken.
Seit Wochen ist der 46-Jährige auf Promo-Tour für sein Buch "Agentterrorist – Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie", in dem er seine Haft in Erdogans Knast aufarbeitet. Nach Würzburg kam er auf Einladung des Projekts "Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz" (GSiK) der Universität und des Vereins KUlturS. Mehr als 400 Menschen interessieren sich an diesem Abend für das Schicksal des 46-Jährigen, der lässig und gehetzt zugleich wirkt. Kein Schreibtischtäter, eher Investigativreporter, der am Ende seine Geschichte bekommt. Zersauste Haare, Siebentagebart, fahrig zumindest zu Beginn.
Schnell verfällt Yücel, dem in der Türkei Volksverhetzung und Verbreitung terroristischer Propaganda vorgeworfen wurden, in Plauderton. Auf die Eingangsfrage von Moderator Baris Yüksel, wie er damals ins Visier des Regimes von Recep Tayyip Erdogan geraten sei, holt Yücel aus, sagt dabei häufig humorige Sätze wie: "Wenn man in der Türkei als Korrespondent eines ausländisches Mediums Üs und Ypsilons im Namen hat, gilt man schnell als Vaterlandsverräter."
Er erzählt, wie er wegen einer kritischen Frage bei einer Pressekonferenz zum ersten Mal festgenommen wurde. Dass ihn die Festnahme an sich nicht überrascht habe, nur dass sie so schnell kam. Dass er derlei Repressalien wie einen Journalistenpreis werte.
Den ganzen Abend redet Yücel mehr als er liest, nur einige Passagen trägt er aus seinem Buch vor. Auffällig ist, wie er erzählt: nicht jammernd, sondern spöttelnd. Und ohne sich als der zu präsentieren, zu dem er stilisiert wurde: "Ich wollte nie der Posterboy der Pressefreiheit sein", betont er.
So berichtet Yücel, wie er vor seiner Verhaftung in einer Sommerresidenz der deutschen Botschaft in Istanbul untertauchte. Wie er dort Zeit totschlug, indem er die Fotos auf seinem Smartphone sortierte, wie er im Garten an einer Hecke entlang spazierte, die an das Grundstück der Villa Huber grenzt, wo Erdogan häufig residiert, oder wie er das Auswärtige Amt mit der Frage beschäftigte, ob er sich eine Pizza in die Sommerresidenz bestellen dürfe.
Er erzählt, wie er letztendlich doch zur Polizei ging und von der Ironie, mit dem Istanbuler Polizeipräsidenten noch einen Tee getrunken zu haben, bevor man ihn in Gewahrsam nahm. "Das schlimmste am Polizeigewahrsam war das Rauchverbot und das Verbot von Papier und Stift", sagt Yücel. Letzteres machte ihn erfinderisch: Zuerst habe er versucht, mit einer Plastikgabel und Soße seines Konservenessens zu schreiben. Später sei es ihm gelungen, einen Kugelschreiber bei einem Medizincheck mitgehen zu lassen und zwischen den Zeilen einer Ausgabe des "Kleinen Prinzen", die ihm seine Frau geschickt hatte, Nachrichten aus der Haft zu schreiben. Anekdoten, von denen man die meisten aus der Berichterstattung bereits kannte.
Interessanter war da, wie Yücel die Hintergründe seines Schicksals interpretiert. Er, der deutsche Journalist in türkischer Haft – für das Erdogan-Regime eine "super Chance, nicht nur türkische Medien mundtot und unter Kontrolle zu halten, sondern auch ausländische Journalisten einzuschüchtern". Gleichzeitig habe Erdogan die Inhaftierung genutzt, um "mit dem Ausland einen Konflikt anzuzetteln", um die eigenen Leute vor dem Referendum über die umstrittene Verfassungsreform, die Erdogan noch mehr Macht geben sollte, auf Linie zu halten.
Verhandelt wie ein Teppichhändler
Als der türkische Präsident einmal betont hatte, dass Yücel nicht ausgeliefert wird, solange er – Erdogan – im Amt sei, habe ihm das keine Angst gemacht. Yücel: "Ich habe das als Angebot verstanden: So verhandeln Teppichhändler." Der Reporter als Spielball der türkischen Innenpolitik und auf glattem diplomatischem Parkett.
Apropos Diplomatie: Nein, der Bundesregierung, die sich massiv für seine Freilassung eingesetzt hat, will er keinen Vorwurf machen, sagt Yücel – und kritisiert sie zwischen den Zeilen doch: In Berlin sei man überzeugt gewesen, dass die Türkei "keine diplomatische Krise wegen eines deutschen Journalisten riskieren" würde. Man sei der Meinung gewesen, dass man "der türkischen Seite einfach nur erklären muss, dass ich kein Terrorist bin", so Yücel. "Das war eine Fehleinschätzung."
Am Ende spricht ihn Moderator Yüksel auf eine mögliche Rückkehr in die Türkei an. "Ich bin Hesse, aber auch Türke" und der Türkei "emotional verbunden", sagt Deniz Yücel. Mit dem Land sei er noch nicht fertig. "Wir führen nur gerade eine Fernbeziehung." Ein schönes Schlusswort, doch nach zweieinhalb interessanten Stunden wirkte der Abend seltsam unabgeschlossen: Neben vielen Anekdoten, viel Launigem und viel Yücel blieb der große Erkenntnisgewinn aus. Zumindest ein Wort dazu, wie auch in Deutschland die Pressefreiheit attackiert wird, welche Lehren man aus dem Fall Yücel ziehen muss, hätte dem Abend gutgetan und wäre möglich gewesen. Auch wenn Yücel nicht der "Posterboy der Pressefreiheit" sein will.