Die vereinte Deutschland: Für Bundesbürger im Alter unter 35 Jahren ist es eine Selbstverständlichkeit, für viele Ältere noch heute ein „Wunder“. Anlässlich des 25. Jahrestags der Wiedervereinigung diskutierte eine hochkarätig besetzte Runde im mit 150 Zuhörern gut besuchten Würzburger Ratssaal über die Ereignisse damals. Eingeladen hatten die Stadt und der Lehrstuhl Neueste Geschichte II der Universität. Professor Peter Hoeres moderierte.
„Das war höchste Staatskunst im Bundeskanzleramt“, würdigte der Historiker Michael Wolffsohn die Leistung von Helmut Kohl (CDU) und seiner engsten Mitarbeiter, allen voran Horst Teltschik. Bei ihm liefen die Fäden in der Deutschlandpolitik spätestens ab dem Sommer 1989 zusammen. Michail Gorbatschow betonte erstmals das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in Polen gab es die ersten freien Wahlen, Ungarn öffnete die Grenzen: In Europa kam die Nachkriegsordnung in Bewegung. Die deutsche Frage habe bei Kohl immer auf der Tagesordnung gestanden, sagte Teltschik, „wenn auch nicht in der operativen Politik“.
Nachdem die DDR-Bürger für die Wende gesorgt hatten und der Wunsch nach „einig Vaterland“ immer lauter wurde, galt es schließlich, die Gelegenheit zu nutzen.
Spannend wie Teltschik aus dem Nähkästchen plauderte, wie Kohls Team den historischen Zehn-Punkte-Plan am 28. November 1989, keine drei Wochen nach dem Mauerfall, platzierte. Weder Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher (FDP), dessen Vertraulichkeit angezweifelt wurde, noch die Alliierten seien eingeweiht gewesen. US-Präsident George Bush habe er den Text zwei Stunden vor dem Vortrag geschickt, so Teltschick, „auf Deutsch, er konnte sie also nicht lesen“. In der Rede war die Einheit als letztes Ziel einer Kooperation der beiden deutschen Staaten erwähnt. Teltschik: „Wir dachten an die Vollendung in zehn bis 15 Jahren.“
„Verheerendes Echo“
Das erste Echo auch der westlichen Verbündeten sei „verheerend“ gewesen, erinnerte sich der Journalist und Kohl-Co-Autor Ralf Georg Reuth an schwierige Zeiten. Vertrauen habe man erst durch das Bekenntnis zur europäischen Integration an der Seite Frankreichs gewonnen, sagte Teltschik. Außerdem sei für Kohl die Mitgliedschaft des wiedervereinten Deutschlands in der Nato eine Bedingung in den Gesprächen mit Gorbatschow gewesen. Genscher habe da gewackelt, er habe sich auch ein neutrales oder ein entmilitarisiertes Deutschland vorstellen können.
Wolfgang Bötsch, damals Chef der der CSU-Landesgruppe im Bundestag, schilderte das innerdeutsche Ringen um die Vereinigung. Lothar de Maiziere (CDU), der erste und letzte frei gewählte DDR-Ministerpräsident, habe sich eine neue Flagge (Bötsch: „Schwarz-Rot-Gold mit Zusatz“), eine andere Nationalhymne und eine neue gesamtdeutsche Verfassung gewünscht. Bötsch: „Doch da gab es mit der CSU kein Verhandeln.“
Interessant in diesem Zusammenhang die Frage, ob es 1989/90 Alternativen zur Wiedervereinigung gab. Während die Mehrheit am Podium dafür allein schon wegen der desolaten Wirtschaftslage der DDR keine Grundlage sah (Bötsch: „Das ist doch reine Theorie.“), widersprach der Mainzer Historiker Andreas Rödder. „Wenn es alle gewollt hätten, wäre ein zweiter demokratischer Staat schon möglich gewesen.“
Zumindest die Bürgerrechtler in der DDR wollten ihren Staat nicht auflösen, sondern zunächst mal demokratisieren. Meinungsfreiheit, freie Wahlen, mehr Umweltschutz und Reisefreiheit seien die Forderungen im Herbst 1989 gewesen, betonte Brigitta Wurschi, die zu den Mitbegründern des Neuen Forums in Würzburgs Partnerstadt Suhl gehörte. Dafür sei man auf die Straße gegangen. Erstmals im Dezember seien bei Demonstrationen in Suhl Forderungen nach der Wiedervereinigung laut geworden. Die Bürgerbewegung sei gespalten gewesen. Spätestens nach den Wahlen im März 1990, bei denen die von Helmut Kohl favorisierte „Allianz für Deutschland“ siegte, sei für alle klar gewesen, dass die Wiedervereinigung kommt.
Bürgerbewegung gespalten
Im Rückblick bedauerte Wurschi, dass bei den Verhandlungen zur Einheit zu wenig Rücksicht auf die Errungenschaften des Ostens genommen worden sei. „Wir haben die Diktatur in die Wüste geschickt, wir haben die Stasi aufgelöst.“ Wenn sich diese Leitsungen beispielsweise in einer gemeinsam von Ost und West erarbeiteten neuen Verfassung niedergeschlagen hätten, hätte man viele Probleme beim kulturellen Zusammenwachsen abmildern können, ist sie überzeugt.