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Würzburg
Das Buch der Mutter von Leonhard Frank: Die Würzburger Autorin Marie Wegrainer über ein Leben in Armut
Marie Frank, die Mutter von Leonhard Frank.
Foto: Archiv Main-Post | Marie Frank, die Mutter von Leonhard Frank.
Hans Steidle
 |  aktualisiert: 23.10.2024 02:46 Uhr

Vor 100 Jahren, am 20. Oktober 1924, verstarb Marie Frank, die am 13. März 1852 in dem kleinen Dorf Lipprichshausen bei Uffenheim als zweites uneheliches Kind einer Magd und Köchin geboren wurde. Bekannt wurde sie als Mutter des Schriftstellers Leonhard Frank und als Verfasserin eines autobiographischen Romans: "Der Lebensroman einer Arbeiterfrau: von ihr selbst geschrieben", erschienen 1914 im Delphin-Verlag. 2024 widmete ihr die Stadt Würzburg eine Straße, allerdings unter dem für den Roman gewählten Pseudonym "Marie Wegrainer". Man hielt das Pseudonym für prägnanter.

Marie Frank liebte ihren jüngsten Sohn Leonhard besonders und unterstützte seine künstlerischen Ambitionen, zunächst als Maler in München und ab 1910 in Berlin. Im Herbst 1913 besuchte die Mutter ihren Sohn und seine Frau Lisa in der Millionenstadt Berlin, in der sich eine quirlige und kreative Kunstszene und eine neue Avantgarde entfaltete. Leonhard las aus dem Manuskript seines Erstlingsromans "Die Räuberbande" vor, der 1914 kurz nach dem Besuch der Mutter erschien, gut verkauft und mit dem Fontane-Preis, dem wichtigsten deutschen Literaturpreis, ausgezeichnet wurde. Auch dieser Roman weist autobiographische Züge auf, besonders aus der Jugend von Leonhard Frank in Würzburg. Man kann mit dem Roman in der Hand das alte Würzburg noch heute erfahren.

Verkauf des Romans sollte den Sohn unterstützen

Die Mutter war nicht nur über die Dichtkunst ihres Sohns erfreut, sondern auch bedrückt über das kärgliche Leben des jungen Dichters. In einem Brief kündigte sie an, einen Roman über ihr Leben zu schreiben. Aus dem Verkauf sollte ihr Sohn eine Unterstützung gegen die Armut und Not erhalten. Die Mutter kannte die Armut zeitlebens und darüber schrieb sie. Als das Manuskript einige Monate später beim Sohn eintraf, befürchtete der einen schlechten Text und wunderte sich umso mehr über den guten Erzählstil der Mutter. Woher hatte Marie Frank diese Fähigkeit?

In dem Roman schreibt Marie Frank über die Geburt in einem Armenhaus und die unverheiratete Mutter, die Kindheit bei einer Pflegemutter, die ihr viel erzählt, die sechs Jahre Volksschule, in der sie im Lesen und Schreiben sehr gut war, ihre Zeit als Dienstmädchen, in München in bürgerlichen und adeligen Haushalten und eine königliche Liebschaft.

En Tafel erinnert heute an das Wohnhaus der Familie Frank in der Zeller Straße. 
Foto: Thomas Obermeier | En Tafel erinnert heute an das Wohnhaus der Familie Frank in der Zeller Straße. 

Bei ihrer nun verheirateten Mutter in Rothenburg o.T. lebend, lernte sie Johann Frank kennen und lieben. Johann Frank erbte ein Wohnhaus in der Zeller Straße, musste es jedoch verkaufen, weil er vergeblich eine selbständige Schreinerei führen wollte. Marie Frank kritisierte das Vorhaben, weil so die Armut der Familie für die nächsten Jahrzehnte festgelegt wurde. Marie Frank wählte bewusst das Pseudonym "Marie Wegrainer" und Bamberg als Ort der Handlung statt Würzburg. Marie Frank wollte so vor ihrem Mann und ihrer Umgebung verheimlichen, dass sie einen Roman geschrieben hatte, der doch sehr viel an Realität der eigenen Familie darstellte. Ein sozialdemokratischer Journalist erkannte, dass die Geschehnisse in Würzburg spielten.

Das Leben in der Unterschicht glaubhaft dargestellt 

Marie Frank schrieb in einem Stil, der angesichts ihrer geringen Schulbildung in seiner Lebendigkeit und Genauigkeit erstaunt und Leonhard Frank meinte, wäre die Mutter nicht auf das Milieu der armen Unterschicht beschränkt worden, so hätte aus ihr eine anerkannte Autorin werden können. Besonders aber ist auch das Thema des Romans. Es gibt kaum eine Biographie oder Autobiographie über das Leben der Dienstmägde, deren Abhängigkeit, Träume, Schwierigkeiten und Nöte, so den sehr langen Arbeitstag und das fehlende Privatleben. Trotz einiger Erfindungen wird das Leben einer Frau aus der Unterschicht glaubhaft dargestellt.

1952 wurde Leonhard Frank (rechts, mit Oberbürgermeister Franz Stadelmayer) in einer Feierstunde  die Würzburger Stadtplakette überreicht. 
Foto: Walter Röder | 1952 wurde Leonhard Frank (rechts, mit Oberbürgermeister Franz Stadelmayer) in einer Feierstunde die Würzburger Stadtplakette überreicht. 

1800 Mark bekam Marie Frank für den veröffentlichten Roman, konnte das Geld jedoch für das eigene Leben verwenden, weil ihr Sohn inzwischen genügend Einkommen aus seinem Debütroman "Die Räuberbande" erhalten hatte. Zum 100. Todestag von Marie Frank verlegt der Röll-Verlag ihren Roman in der dritten Auflage.

Veranstaltungstipp: Die Leonhard-Frank-Gesellschaft, die Gesellschaft für politische Bildung und kommunale Gleichstellungsstelle für Frauen und Männer laden am Mittwoch, 23. Oktober, 19.30 Uhr, zur Veranstaltung "Marie Frank/Marie Wegrainer: Wahrheit und Dichtung" in das Kunsthaus Michel ein. Einführend spricht Monika Kraft, die Gleichstellungsbeauftragte Würzburgs. Dr. Hans Steidle, der Vorsitzende der Leonhard-Frank-Gesellschaft, setzt sich in seinem Vortrag mit Marie Frank und ihren Roman auseinander. Der Eintritt ist frei, der Roman ist vor Ort erhältlich.

Trotz sorgfältiger Recherche konnten nicht alle Rechteinhaber der Fotos ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.

 
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Kommentare
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  • Jochen Freihold
    Würzburg sollte künftig viel mehr tun, auch Leonhard Frank als eine seiner bedeutendsten Persönlichkeiten ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Beginnend schon in den Schulen.
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  • Armin Genser
    ... und das Umfeld der Tafel in der Zeller Straße angemessen zu gestalten.
    Das ginge mit wenig Aufwand.
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  • Heinrich Juestel
    Fand den Roman schlicht klasse, er hat mir mehr gesagt als die Romane des berühmten Sohnes.
    Wie immer nicht anonym sondern mfG
    Heinrich Jüstel
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