Die Würzburger Professorin Charlotte Förster erforscht die zeitliche Organisation von biologischen Rhythmen und Prozessen in der Natur. An ihrem Lehrstuhl beobachtet Sie die Anpassung von Insekten an zyklische Umwelteinflüsse und experimentiert vor allem mit Drosophila melanogaster, der Taufliege, um die Funktionsweise der inneren Uhren zu verstehen.
Frage: Frau Professor Förster, Sie sind Chronobiologin und erforschen Insekten. Verstehen Sie damit tatsächlich auch, wie der Mensch tickt?
Prof. Charlotte Förster: Wir versuchen schon auch immer, die innere Uhr des Menschen zu verstehen. Taufliege wird ja in sehr vielen Bereichen, nicht nur im genetischen, auch im neurobiologischen Bereich, als ideales Modell für den Menschen angesehen. Der Vorteil: Wir können Nervenzellen gezielt an- oder ausschalten. Auch die Gene der Taufliege sind leicht veränderbar. Dadurch lernt man einiges. Die erste Voraussetzung ist natürlich, dass es im Gehirn von Mensch und Fliege Dinge gibt, die gleich funktionieren und vergleichbar sind.
Das ist unglaublich, aber wahr. Die ersten Gene zur inneren Uhr, die „Uhren-Gene“, hat man 1971 bei der Taufliege gefunden. Die US-Amerikaner Ronald Konopka und Seymour Benzer nannten das betreffende Gen „Period“, das gibt es tatsächlich auch beim Menschen.
Uhren-Gen, was heißt das genau?
Förster: Wenn man das Gen verändert, verändert sich auch die innere Uhr. Konopka und Benzer haben damals drei Veränderungen erzeugt. Bei der ersten Mutation, dem Knock-out, war das Gen für den Tag-Nacht-Rhythmus völlig ausgeschaltet. Nimmt man diesen veränderten Fliegen den Licht-Dunkelheit-Wechsel als äußeren Zeitgeber weg, dann zeigen sie keinerlei Schlaf-Wach-Rhythmus mehr. Sie schlafen gleichmäßig verteilt über Tag und Nacht. Wildtypische Tiere dagegen schlafen und wachen unter Ausschluss aller Zeitgeber immer noch rhythmisch.
Weil sie ihre innere Uhr haben?
Förster Genau, die innere Uhr läuft ganz von alleine und braucht keinen Anstoß von außen durch Hell oder Dunkel. Das war damals „die“ Entdeckung, dass durch eine Mutation der Schlaf-Wach-Rhythmus ohne den äußeren Zeitgeber Licht völlig erlischt. Die Knock-Out-Fliegen sind fünf Minuten aktiv, schlafen fünf Minuten sind wieder aktiv und so weiter. Bei der zweiten Mutation wurde die innere Uhr sehr schnell: Statt etwa 24 Stunden Periodenlänge hatten diese Fliegen einen Rhythmus von nur 19 Stunden. Bei der dritten Mutation lief die innere Uhr sehr langsam, mit einem 28-Stunden-Rhythmus. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Rhythmus beim Menschen beträgt etwa 25 Stunden.
Weshalb wir morgens lieber noch eine Stunde länger schlafen würden . . .
Förster: Die meisten Menschen zumindest. Drei „Period“-Gene wurden später auch beim Menschen entdeckt. Bei wenigen Menschen ist „Period 2“ mutiert. Die haben dann eine sehr schnelle innere Uhr. Im normalen Tag-Nacht-Leben ist mit denen nach 19 Uhr nicht mehr viel los, sie fallen früh ins Bett, dafür sind sie nachts um 3 Uhr schon wieder aktiv. Sie haben eine sehr verfrühte Schlaf- und Wachphase. Bei der Fliege gibt es genau diese Mutation auch.
Haben alle Lebewesen eine innere Uhr?
Förster: Ja, generell alle. Es gibt ganz wenige Ausnahmen, die diesen Rhythmus nicht brauchen wie Mikroorganismen, die sich schnell teilen und sich nicht an Tag und Nach anpassen müssen. Oder Tiere, die in Höhlen oder in der Arktis leben und die innere Uhr „verloren“ haben. Die innere Uhr scheint wirklich sehr ursprünglich zu sein. Sogar Blaualgen, Bakterien, haben einen ganz wunderbaren Rhythmus.
Was ist biologisch der Grund, was ist die Bedeutung dieser inneren Uhr?
Förster: Der erste Grund wäre, dass die Lebewesen bereits im Voraus auf die Tag-Nacht-Änderungen vorbereitet sind. Bei uns steigen der Blutdruck und Cortisol schon in der zweiten Hälfte der Nacht an, so dass Kreislauf und Hormonspiegel beim Aufwachen optimal sind. Das ist ein großer Vorteil. Und der vielleicht noch größere Vorteil für alle Vielzeller: Durch die innere Uhr laufen sämtliche Organe und Gewebe schön miteinander synchron. Es gibt ja viele physiologische Vorgänge im Körper, angefangen bei Blutdruck und Verdauung. Das Ganze muss miteinander abgestimmt sein. Das merken wir immer dann, wenn wir eine Interkontinentalreise machen. Da geht es einem ein paar Tage lang nicht so gut, weil die Rhythmen durcheinander sind. Der Aktivitätsrhythmus stellt sich schnell um, die Organe hinken hinterher.
Wie arbeitet die Chronobiologin? Sie schaltet Gene aus?
Förster: Zum Beispiel. Wir arbeiten hier aber auch neurobiologisch. Das heißt, wir untersuchen die Nervenzellen auf molekularer und zellbiologischer Ebene. Die Gehirne von Mensch und Fliege sind zwar unterschiedlich aufgebaut, aber sie haben sehr, sehr viele Ähnlichkeiten. Auch wenn sie sich von der Größe ganz erheblich voneinander unterscheiden. Bei beiden liegt die innere Uhr nahe des Lichtrezeptors, nahe der optischen Bahnen im Hypothalamus, einem wichtigen Steuerzentrum des Nervensystems. Der ist auch wichtig für viele vegetative Kontrollfunktionen und für das hormonale System. Unsere innere Uhr kontrolliert ja auch die Hormone rhythmisch. Bei den Insekten liegt die innere Uhr analog genau dort, wo der Sehnerv ins Gehirn geht. Licht ist der Zeitgeber, der für alle Tiere am wichtigsten ist.
Und die innere Uhr ist also angeboren und nichts Angewöhntes oder Erlerntes?
Förster: Ja, aber beim Menschen muss sie erst reifen. Eigentlich funktioniert die innere Uhr erst ein halbes Jahr nach der Geburt richtig gut. Der Tag-Nacht-Rhythmus entwickelt sich erst, wie man an Neugeborenen sieht. Das liegt daran, dass die Verbindungen noch nicht richtig ausgebildet sind. Einerseits die neuronalen Verbindungen, die Synapsen zwischen den Nervenzellen. Und auch die Verbindung vom Auge ins Gehirn.
Sie haben gerade tropische Fliegen mit Fliegen aus Finnland verglichen. Und herausgefunden, warum die Fliegen aus dem Süden über Mittag lange Siesta halten. Was ist der Grund? Die Temperatur am Äquator?
Förster: Wir wollten herausfinden, ob sich die innere Uhr der Nord-Arten von denen ihrer südlichen Verwandten unterscheidet. Dazu haben wir Taufliegen aus Finnland mit solchen aus Tansania verglichen. Bei einem 12-Stunden-Tag sind Fliegen, die am Äquator leben, nur morgens und abends in der Dämmerung aktiv und ruhen dazwischen. Fliegen aus Finnland lassen es morgens ruhig angehen und drehen am frühen Nachmittag richtig auf, ohne Pause bis zum Anbruch der Dunkelheit.
Wir haben beide Fliegenarten im Labor unter konstant gleichen Bedingungen von 20 Grad gehalten. Das ist für die südlichen Arten wirklich nicht so warm, aber sie halten konstant ihre Mittagspause. Wenn man sie jedoch einem langen 20-Stunden-Tag aussetzt, reagieren sie sehr unterschiedlich auf den veränderten Rhythmus.
Was passiert?
Förster: Die Fliegen aus den Tropen wuseln mitten am Tag wieder los, nicht erst wie sonst in der Dämmerung. Ihre innere Uhr ist auf mehr oder weniger konstante Tageslängen getrimmt, die Pause zwischen Morgen- und Abend-Aktivität ist immer fast gleich lang. Finnische Fliegen dagegen passen sich an. Wenn es länger hell bleibt, sind sie länger aktiv. Wir wollten wissen, warum ist das so? Wir haben die Fliegenhirne genauer betrachtet und gesehen, dass die finnischen Arten in bestimmten Neuronen keinen Blaulichtrezeptor bilden.
Was heißt das?
Förster: Die betroffenen Nervenzellen haben also keinen Sensor für Tag oder Nacht. Und anderen Neuronen fehlt ein Molekül, das normalerweise die empfangenen Hell-Dunkel-Signale an bestimmte Zentren im Gehirn weiterleitet. Wenn man bei südlichen Fliegenarten den Blaulichtrezeptor in den entsprechenden Nervenzellen auch abschaltet, bekommt man ein bemerkenswertes Ergebnis.
Welches? Die afrikanischen Fliegen vergessen ihre Siesta?
Förster: Genau, sie haben dann einen ganz ähnlichen Aktivitätsrhythmus wie die finnischen Fliegen. Man nimmt an, dass alle Drosophila-Arten aus Afrika stammen. Als sich die Tiere in die kühleren nördlichen Breiten ausgebreitet haben, veränderte sich offenbar die innere Uhr. Die nördlichen Arten haben sich damit an die stark schwankenden Tageslängen im Jahresrhythmus angepasst.
Unabhängig von der Temperatur?
Förster: Die spielt natürlich auch eine Rolle, aber auf die Temperatur können sich die Tiere nicht verlassen. Auf die ersten warmen Tage kann noch mal Frost folgen. Das Licht ist bei den meisten Arten das entscheidende. Und die innere Uhr ist sehr wichtig, weil sie als Referenzwert zum Messen der Tageslänge dient. Das Licht verändert sich zuverlässig kontinuierlich. Es gibt eine bestimmte Tageslänge, ab da beginnt im Frühjahr in der Natur das Blühen und Austreiben. Und wenn im Herbst die Tage kürzer werden, hören die Insekten ab einer bestimmten Tageslänge auf, sich zu vermehren. Die finnischen Fliegen auch, sie müssen sich rechtzeitig auf den Winter vorbereiten.
Zurück zum Menschen: Was wäre, wenn der Tag 25 Stunden hätte?
Förster: Dann würden wir wahrscheinlich alle zu Frühaufstehern werden.
Warum sind wir nicht längst an den 24 Stunden Tag angepasst, sondern hätten tendenziell gerne einen 25 Stunden Tag? Und ist das überall auf der Welt so?
Förster: Das ist eine gute Frage. Generell gibt es Arten, da läuft die innere Uhr schneller, und andere, da läuft sie kürzer. Warum es beim Menschen im Durchschnitt ausgerechnet 25 Stunden sind, dazu gibt es nicht genug Untersuchungen. Um die Periodenlänge genauer festzustellen, müsste man viele Teilnehmer in einen Bunker ohne Fenster stecken. Dies wurde im letzten Jahrhundert schon einmal in Erling-Andechs bei München gemacht. Bei dieser Studie wurde der 25 Stundenrhythmus des Menschen festgestellt, aber ob auch Menschen anderer Erdteile den gleichen Rhythmus haben wissen wir nicht.
Bleibt eine Frage zum Schluss: Wie bestimmt man seinen eigenen Chronotyp?
Förster: Es gibt einen Online-Fragebogen, den man am Computer ausfüllen kann. Er wurde an der Universität München erstellt und mit seiner Hilfe kann man sein persönliches Rhythmusprofil abfragen, das einem umgehend per Mail zugeschickt wird.