Sandra schrieb Blogbeiträge über Cafés – ohne darin je einen Kaffee getrunken zu haben. Und sie verfasste Produktbeschreibungen für Handtaschen, die sie nie in Händen hielt. Auch große deutsche Versandhändler waren unter ihren Auftraggebern. Sandra (der richtige Name ist der Redaktion bekannt) war eine sogenannte Clickworkerin. Heute sieht sie diesen Job kritisch.
Clickworker werden von Unternehmen für kleine Dienstleistungen bezahlt, die sich über das Internet erledigen lassen. Dadurch können Routineaufgaben auf eine große Menge solcher Akkordarbeiter verteilt werde, weshalb man auch von Crowdworkern spricht. Unter diesem Begriff fasst man aber auch selbstständige Programmierer und Designer zusammen, die umfangreichere Tätigkeiten erledigen. Die Arbeit der Clickworker ist oft kleinteiliger.
Wie die Plattformen an Autoren kommen
Einer der größten Anbieter für Clickworking in der Werbebranche ist Textbroker. Diese Online-Plattform vermittelt Aufträge von Unternehmen, die auf der Suche nach Texten für ihre Webseiten sind. Dafür greift die Plattform auf Tausende registrierter Autoren zurück, die für den Auftraggeber zum Beispiel Fachartikel, Blogbeiträge oder Produktbeschreibungen anfertigen. Die Plattform verdient an der Provision.
Sandra hat rund drei Jahre als Clickworkerin für Textbroker gearbeitet. Sie studiert Germanistik und Philosophie in Stuttgart. „Ich habe versucht, mit dem Nebenjob als Texterin etwas Geld zu verdienen. Aber für den Zeitaufwand war die Bezahlung zu gering.“ Daher war sie in den vergangenen Monaten kaum noch auf der Plattform aktiv.
Der Stundenlohn ist miserabel
Über 40 Prozent der Clickworker sind Studenten. Sie verdienen im Durchschnitt rund 144 Euro pro Monat und arbeiten dafür knapp 30 Stunden – macht also einen Stundenlohn von 4,80 Euro. Das geht aus einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Wie viele Menschen in Deutschland in prekären Arbeitsverhältnissen für weniger als fünf Euro pro Stunde digitale Mikrojobs erledigen, ist noch nicht bekannt.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) versucht derzeit über Studien herauszufinden, wie viele Crowdworker in Deutschland arbeiten. „Noch gibt es keine belastbaren Daten. Als Zwischenstand rechnen wir damit, dass rund ein Prozent der Erwerbstätigen Crowdworker sind. Das entspricht etwa 446 000 Personen“, so eine Sprecherin des BMAS.
Was Clickworker genau machen
Das Schreiben von Texten gehört schon zu den komplexeren Aufgaben, die Unternehmen an Clickworker wie Sandra auslagern. Die digitalen Arbeiter erledigen auch Mikrojobs, die Computer noch nicht eigenständig ausführen können und für die nur ein paar menschliche Mausklicks notwendig sind. So ordnen Clickworker beispielsweise Fotos und Videos geeigneten Schlagworte zu, damit sie von Suchmaschinen gefunden werden können. Oder sie recherchieren Adressdaten, Öffnungszeiten und Preise im Internet und bekommen ein paar Cent für jede Auskunft.
Etwa drei Prozent der Unternehmen in der Informationswirtschaft setzten Clickworker ein. Das ergab eine repräsentative Unternehmensbefragung, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung im Auftrag des BMAS im vergangenen Jahr durchgeführt hat. Im Vergleich zu 2014 hat sich der Anteil dieser neuen Arbeitsform kaum verändert. Die größten Hemmnisse sehen Unternehmen darin, dass firmeninternes Wissen öffentlich werde und die Qualität der Arbeit nur schwer kontrolliert werden könne.
Was eine Würzburger Forscherin herausfinden will
Wenn Unternehmen mit der Arbeit der Clickworker nicht zufrieden sind, muss das nicht zwangsläufig an den digitalen Tagelöhnern liegen. Manchmal sind die Aufgabenstellungen zu komplex. Deshalb forscht Kathrin Borchert am Lehrstuhl für Kommunikationsnetze der Universität Würzburg darüber, wie sich die Arbeitsaufträge modellieren und optimieren lassen. Dazu untersucht die Informatikerin, wie umfangreich die Aufgaben sein sollten und wie sich das auf die Konzentration der Clickworker auswirkt.
Dafür arbeitet sie auch mit Psychologen zusammen. Auf internationalen Plattformen spiele zudem eine große Rolle, ob die Aufgabenstellung auf Englisch allgemein verständlich formuliert sei, so Borchert.
Bezahlung gibt es nur für gut gemachte Arbeit
„Davon profitieren nicht nur Unternehmen, sondern auch die Clickworker selbst“, sagt die Doktorandin über ihr Forschungsgebiet. „Denn häufig werden die Nutzer von Crowdworking-Plattformen nur für erfolgreich erledige Aufträge bezahlt.
“ Borchert weiß, wovon sie spricht: Während des Studiums probierte sie sich im Rahmen ihrer Masterarbeit als Clickworkerin aus.
Ein anders Mittel der Qualitätssicherung sind digitale Rangabzeichen. Auf Basis einer Arbeitsprobe zeichnet der Vermittler den Clickworker mit Sternen aus. „Zwischenzeitlich hatte ich drei unterschiedliche Profile auf Textbroker, in denen ich von der Plattform unterschiedlich eingestuft wurde“, sagt Sandra. Mit drei Sternen verdiente sie unter einem Cent pro Wort. Daher reichte sie eine neue Arbeitsprobe ein und wurde mit vier Sternen bewertet und verdiente knapp über einen Cent pro Wort.
Experte: Clickworking höhlt soziale Standards aus
„Clickworking bringt gesellschaftliche Risiken mit sich. Durch diese neue Form der Arbeit werden langjährig erarbeiteten Errungenschaften der Sozialpolitik ausgehöhlt“, meint Christian Papsdorf. Der Professor für Techniksoziologie erforscht an der Technischen Universität Chemnitz den Wandel der Arbeitsgesellschaft. Offiziell sind Clickworker selbstständig. Daher zahlen sie weder in die gesetzliche Rentenversicherung noch in Kranken- und Sozialversicherungen ein. Auch einen Anspruch auf Mindestlohn haben sie nicht.
Um sich den Mindestlohn von 8,84 Euro zu verdienen, müsste Sandra 884 Wörter pro Stunde schreiben. Alle vier Sekunden ein Wort. „Im Laufe der Zeit wird man zwar immer schneller, aber auf einen vernünftigen Stundenlohn zu kommen, ist im Grunde nicht möglich“, meint die Studentin. „Wer richtig gut ist und sich den fünften Stern erarbeitet, kann auch drei oder vier Cent pro Wort verdienen“, meint Sandra. Sie ist über Internetforen mit anderen Clickworkern vernetzt. Doch persönlich kennt sie keinen Kollegen, der die höchste Lohnstufe erreicht hätte.
Forderung: Clickworker sollten sich zusammentun
Dass sich Clickworker zusammenschließen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, befürwortet auch Professor Papsdorf. „Dadurch können die Clickworker der Abhängigkeit von den Plattformen entgegenwirken. Zusätzlich bedarf es sozialstaatlicher Leitplanken um diese Veränderung in geordnete Bahnen lenken, ohne sie im Keim zu ersticken“, regt der Techniksoziologe an.
Viele Clickworker seien entsprechend ihrer Qualifikation zwar unterbezahlt. Verteufeln möchte Papsdorf das Arbeitsmodell dennoch nicht. Der Techniksoziologe sieht in den anspruchsvolleren Aufträgen auch die Chance eines niedrigschwelligen Einstiegs in eine Branche und die Möglichkeit, erste Referenzen zu sammeln. Das war auch Sandras hauptsächliche Motivation für den Nebenjob.
Wie eine Clickworkerin von ihren Fertigkeiten profitiert
Wäre die Bezahlung angemessen, würde die 30-Jährige weiterhin für die Plattform schreiben. „Die Flexibilität war hoch, weil ich arbeiten konnte wann, wo und so viel ich wollte“, meint Sandra. Die praktischen Erfahrungen und die Schnelligkeit, mit der sie nun Texte schreiben kann, kämen ihr jetzt bei einer klassischen Werbeagentur zugute.