Es ist der Alptraum jedes Konzertveranstalters: Der Künstler erkrankt und sagt kurzfristig ab. Nicht immer findet sich dann eine so elegante Lösung wie beim Liederabend der Reihe „Musik in der Neurologie“ und „Musik an der Universität“, veranstaltet von Klaus und Regine Toyka im Toscanasaal der Residenz.
Der 33-jährige Tenor Julian Prégardien, am Vorabend noch in Aschaffenburg auf der Bühne, doch zunehmend erkältet, meldet sich fünf Stunden vor dem Konzert krank – und liefert prompt exklusiven Ersatz. Sein Vater, der 61-Jährige Christoph Prégardien, schwingt sich ins Auto und fährt nach Würzburg, um hier anstelle seines Sohns vor ausgewähltem Publikum Schuberts „Winterreise“ zu singen. Vor einigen Jahren hat er den Zyklus auf CD aufgenommen, beherrscht ihn problemlos auswendig.
Künstlerisches Wagnis
Mit dem Pianisten Gerhard Oppitz allerdings hat er noch nie zusammengearbeitet. Man darf also ruhig von einem künstlerischen Wagnis sprechen, denn so viel Spontaneität dürfte auch erfahrene Musiker nicht kalt lassen. Nach gemeinsamer Kurzprobe beginnt das Konzert eine halbe Stunde verspätet, was das Publikum klaglos hinnimmt.
Oppitz erweist sich als einfühlsamer, verlässlicher Liedbegleiter, der sich klanglich nicht in den Vordergrund drängt. Christoph Prégardien – nur leise ahnt man, dass er sich zu Beginn des 75-minütigen Konzerts noch etwas schont – tritt beim Singen völlig hinter die Musik zurück. Er artikuliert deutlich und natürlich, arbeitet nur ganz sparsam mit Gesten.
Besonders intensiv gelingen ihm, der für seine klare, linear geführte Tenorstimme bekannt ist, die leisen, poetischen Momente der „Winterreise“, die wenigen Sekunden scheinbaren Trostes, auf die Bitterkeit und emotionale Not oft umso heftiger hervorbrechen. Still und zentriert „Der Lindenbaum“ als trügerische Oase des Friedens, freundlich schmeichelnd der Beginn des „Frühlingstraums“.
Dass das Programmheft die Biografien der Musiker ausführlich, die 24 Einzeltitel der „Winterreise“ allerdings gar nicht auflistet, zeigt Vertrauen in eine umfassend gebildete Hörerschaft – lässt sich aber auch als Versäumnis werten. Stehende Ovationen belohnen diesen außergewöhnlichen wie eindrücklichen Liederabend.
Geplantes Künstlergespräch
Den einführenden Gedanken von Hansjörg Ewert, Institut für Musikforschung, wäre man gerne weiter nachgegangen: Warum ist unsere Gesellschaft so verstummt? Ist das Format „Liederabend“ noch zeitgemäß? Das zu diesen Fragen geplante Künstlergespräch mit Julian Prégardien gilt hoffentlich nur als verschoben.