Es ruckelt leicht. Ein kurzes Zucken. Der Boden hebt sich, und schaukelnd schwebt der rote Stahlkäfig nach oben. Meter um Meter, das Herz klopft, der Bauch scheint nicht zeitgleich folgen zu wollen, fühlt sich flau an. Rund herum ist plötzlich nur noch Luft. Unten, seitlich, oben, nur Luft. „Da kann nichts passieren“, sagt Rico Schaarschmidt. Völlig entspannt lehnt er in dem wackeligen Personenbeförderungskorb, deutet mit der Hand nach oben. Das Ziel ist die Betonierplattform auf dem Brückenpfeiler – 32 Meter über dem Boden.
Schaarschmidt ist Polier und technischer Leiter auf der Baustelle der Autobahn 3 an der Talbrücke Heidingsfeld. Seit Juni 2014 ist der 45-Jährige mit seinem Team in Würzburg im Einsatz. „Wir haben den großen Vorteil, ohne Verkehrslärm und Gestank wie auf anderen Autobahnbaustellen arbeiten zu können“, sagt er. Von der stetigen Fahrzeugkolonne auf der A 3 ist in der Tat kaum etwas zu hören. Das Brummen der Betonpumpe schluckt alle anderen Geräusche, selbst die Straßenbahnlinie zum Heuchelhof fährt fast lautlos vorbei. An diesem Vormittag wird der letzte Abschnitt des Pfeilers mit Beton gefüllt, dann hat er seine endgültige Höhe von 37 Metern erreicht.
Schaarschmidts Team arbeitet auf nur wenigen Quadratmetern Fläche. Jeden Morgen um sieben Uhr schweben die Männer mit dem roten Korb nach oben, im Rücken die Festung Marienberg. In knapp 30 Sekunden ist der Arbeitsplatz erreicht, der Blick weit über Würzburg geht im Alltag unter. Auf der Baustelle ist der Schutzhelm Pflicht, ein Holzgeländer sichert die Plattform zusätzlich am Rand. In der Mitte gähnt der Schlund des riesigen Bauwerks, durchzogen von Stahlstreben. Hier hinein wabert der graue Beton zähflüssig aus dem Rohr der Pumpe. Die Arbeiter verteilen die Masse im Inneren des Pfeilers, füllen die Form zwischen der Schalung aus – ähnlich dem Befüllen einer überdimensionalen Backform.
Zwischen den Streben turnt Vorarbeiter Rico Friedrich behände über dem frischen Beton, prüft die Verschalung und zieht sich wieder nach oben auf die Plattform. Seit 15 Jahren arbeitet der 36-Jährige auf Baustellen, immer wieder auch in luftiger Höhe. Angst habe er dabei keine: „Man klettert ja praktisch mit dem Bauwerk nach oben“, sagt der Chemnitzer. Abschnitt für Abschnitt wächst sich der Pfeiler und damit sein Arbeitsplatz in den Himmel. In Fünf-Meter-Schritten geht es aufwärts, jeweils vier Tage dauert eine Etappe.
85 Kubikmeter Beton – gut die Ladungen von zwölf Betonmischfahrzeugen – werden dabei jeweils in die Schalung aus Holz gepumpt, die extra für die Brückenpfeiler angefertigt wurde. Dann muss die Masse verdichtet werden. Körperlich anstrengend sei die Arbeit nicht, sagt Friedrich. Wichtig sei aber die Genauigkeit. Alles muss exakt passen, schließlich darf der Pfeiler am Ende nicht schief aus der Reihe tanzen.
Plötzlich ertönt ein durchdringendes Hupen. Schaarschmidt grinst, schiebt seinen Schutzhelm nach hinten. „Das Betonmischfahrzeug ist leer“, erklärt er. Ein Arbeiter stoppt die Pumpe per Fernbedienung, der zähe Strom versiegt. Unten fährt der Lastwagen über den staubigen Baustellenplatz davon, nicht größer als eine Raupe wirkt er. Nachschub ist schon unterwegs. Mit einer schnellen Bewegung schließt der Polier den Reißverschluss seiner schwarzen Jacke. Der Wind pfeift hier oben, trotz des strahlend blauen Himmels. Im Winter könne es auf den Höhenbaustellen ganz anders zugehen, sagt Schaarschmidt. Bei Sturm, Kälte und Regen wird es auf den Pfeilern schnell ungemütlich.
Fünf Pfeiler stehen bereits, zwei sind aktuell im Bau. Wie überdimensionierte Elefantenfüße ragen sie aus dem Tal bei Heidingsfeld auf, das Planschbecken im Garten eines Anwohners wirkt unwirklich klein neben den Betonkolossen. Sie sollen später die Fahrbahn tragen, verankert mit jeweils zwölf Bohrpfählen, die bis zu 60 Meter in den Boden ragen. Insgesamt 635 Meter lang soll die Brücke werden. Allein an Pfeilern und Co. arbeiten momentan 15 Leute, an dem gesamten Streckenabschnitt seien etwa 80 im Einsatz. Es sei die derzeit größte Brückenbaustelle in Unterfranken, sagt Alexander Leis, Leiter der Autobahndirektion Nordbayern, die für die Planung und Bauausführung verantwortlich ist. Knapp 71 Millionen Euro kostet der Brückenabschnitt, begonnen wurde der Bau 2014. Zunächst werden die sieben Pfeiler für die Fahrstreifen Richtung Frankfurt fertiggestellt und dann der komplette Verkehr auf diesen neuen Teil gelegt. Erst dann können die alte Brücke abgebaut, ihre Pfeiler gesprengt und die zweite Pfeilerreihe des Neubaus abgeschlossen werden. Geht alles gut, soll die Gesamtstrecke laut Leis 2019 beendet sein.
Noch aber ragen die riesigen alten Stahlträger rechts des Pfeilers empor, die rostige Unterseite verdeutlicht den Grund des Neubaus: Zu erhalten wäre das von Streusalz und Belastung zerfressene Bauwerk nicht gewesen, sagt Schaarschmidt. 32 Meter unter seinen Füßen kommt der nächste Betonmischer an. Die Arbeit geht weiter, die Pumpe brummt wieder monoton, der Beton beginnt zu fließen.
Was aber passiert, wenn einem der Männer versehentlich ein Handschuh in den zähen Brei fällt? Das sei nicht weiter schlimm, sagt Friedrich. „Aber wenn ein Kollege reinfällt, dann holen wir ihn freilich raus.“ Die Augen blitzen vergnügt. „Oder auch nicht, kommt auf den Kollegen an.“ Bis 18 Uhr arbeitet das Team oben auf der Plattform. Nur zur Mittagspause geht es im Korb hinunter – oder wenn ein dringendes Bedürfnis zu erledigen ist. Sonst ist es für die Männer ein ganz normaler Arbeitsplatz, der Abgrund unter den Füßen gehört dazu.
Die Betonbauer müssen deshalb vor dem ersten Einsatz weit oben eine Höhentauglichkeitsprüfung absolvieren, sagt Schaarschmidt. Sehstärke, Gehör und Gleichgewichtssinn würden dabei von der Berufsgenossenschaft geprüft. Denn so hoch über dem Boden wirken die Baucontainer im Tal kaum noch fingernagelgroß, Schwindel oder weiche Knie sollte man da besser nicht bekommen.
Das seien die typischen Symptome der Höhenangst, sagt Daniel Gromer, Psychologe am Lehrstuhl für Psychologie I der Universität Würzburg. Betroffene der Phobie nehmen bestimmte Situationen unangemessen gefährlich wahr, überschätzen zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit herunterzufallen. Die Ursachen dafür sind laut Gromer unterschiedlich: Mal können schlechte Erfahrungen wie der Sturz von einer Leiter Höhenangst auslösen, mal die Beobachtung einer anderen Person mit Angst. Auch seien Menschen evolutionär darauf vorbereitet, in bestimmten Situationen ängstlich zu werden. „Höhenangst ist deshalb möglicherweise eine Angst, die man innehat und die erst durch Erfahrungen verlernt werden muss“, sagt Gromer.
Den Betonbauern auf dem Brückenpfeiler ist Angst nicht anzumerken. Sie bewegen sich mehr als 30 Meter über dem Tal so selbstverständlich wie am Boden. Noch einmal knapp 20 Meter höher ragt der höchste der Pfeiler der neuen Brücke auf. Er ist bereits bis zum Betonkopf fertig, wartet nur noch auf das Aufschieben der Fahrbahn. Bundesweit ist die Kochertalbrücke zwischen Heilbronn und Crailsheim mit 185 Metern die höchste Autobahnbrücke – fast drei Mal so hoch wie die unterfränkischen Pfeiler. Riesige Stahlbauten, neben denen manche Kirchtürme oder selbst Hochhäuser winzig wirken.
Nicht jeder will eine Baustelle dieser Dimension neben seiner Terrasse haben. Es gab massive Bürgerproteste in Würzburg und einen Bürgerentscheid. Er und seine Männer hätten davon aber wenig mitbekommen, sagt Schaarschmidt. Der 45-Jährige zieht das Funkgerät aus der Tasche, winkt zum Kranfahrer und weist ihn an, den Beförderungskorb wieder in Bewegung zu setzen. Der Stahlkäfig schwebt los. Wind pfeift durch die Gitterstreben. Die Auf- und Abfahrt bei Böen möchte man sich gar nicht erst vorstellen.
Die Baustelle im Tal rückt näher. Autos, Container und Arbeiter in grell-orangenen Warnwesten wachsen langsam wieder zur normalen Größe heran. Der Kranfahrer sitzt irgendwo weit oben in seiner Kabine, steuert von dort die Landung des roten Korbs. „Keine Sorge, der hat ein Adlerauge“, sagt Schaarschmidt. Er muss zurück in sein Baubüro, untergebracht in hellblauen und weißen Containern. Blumenkästen schmücken die Treppe davor, ein bisschen Heimeligkeit mitten auf der Großbaustelle. Es ruckelt noch einmal. Holpert kurz. Dann setzt der Käfig auf dem Schotter auf. Tatsächlich fast sanft, ein dankbarer Blick gen Kranspitze. Aussteigen. Ausatmen.
Neubau der Talbrücke Heidingsfeld und sechsstreifiger Ausbau der Autobahn 3
Der Neubau der Talbrücke Heidingsfeld ist Teil des sechsstreifigen Ausbaus der Autobahn 3 zwischen Würzburg-Heidingsfeld und der Mainbrücke Randersacker. Ziel ist es, die Straße um mehrere Meter abzusenken und auf einer Länge von 570 Metern in einen Tunnel zu verlegen. Mit dem Bau der neuen Brücke wurde im Juli 2014 begonnen, insgesamt soll sie 635 Meter lang werden und auf 14 Betonpfeilern stehen. In zwei Teilen wird die neue Brücke errichtet: Bis zum Frühjahr 2017 sollen die Fahrspuren in Richtung Frankfurt fertiggestellt sein, sie werden von sieben Betonpfeilern getragen.
Dann kann nach Angaben der Autobahndirektion Nordbayern der gesamte Verkehr auf diesen Brückenteil verlegt und die alte Talbrücke abgebaut werden. Zunächst soll dabei die Fahrbahndecke abgetragen werden, anschließend sei die Sprengung der alten Pfeiler geplant. Erst nach dem Rückbau kann der zweite Teil der neuen Brücke – und damit die zweite Reihe Brückenpfeiler – abgeschlossen werden. Jeder der am Ende 14 Brückenpfeiler wird mit zwölf Bohrpfählen im Boden verankert. Die Stützen haben einen Durchmesser von bis zu eineinhalb Metern und ragen bis zu 60 Meter in die Tiefe. Für die gesamte Brücke sollen rund 26 000 Kubikmeter Beton verbaut werden, knapp 71 Millionen Euro kostet der Abschnitt. Nach der Talbrücke soll die A 3 künftig in einem 570 Meter langen Tunnel, dem Katzenbergtunnel, verschwinden. Für den gesamten Streckenabschnitt rechnet die Autobahndirektion mit Kosten in Höhe von etwa 221 Millionen Euro. Ende 2019 soll die Gesamtstrecke laut Plan fertiggestellt sein. Text: sp
Es ist schon sehr beeindruckend, wenn man den Ausbau der A 3 bei Würzburg im allgemeinen und allen voran den Neubau der Talbrücke Heidinsgfeld bzw. des knapp 600 m langen Katzenbergtunnels im einzelnen aus der Nähe verfolgt, auch mit welcher Geschwindigkeit dies erfolgt.
Meine Anerkennung an dieser Stelle auch all den Mitwirkenden dieser Baustelle!
Doch die wahren Baumeister sind für mich all diejenigen, die seinerzeit in den 1960 er und 1970 er Jahren unter ganz anderen technischen Bedingungen die Brennerautobahn zwischen Innsbruck und Bozen gebaut haben.
Wenn man sich einerseits via Literatur und Filmen mit dem Bau der Brennerautobahn beschäftigt hat und diesen Abschnitt einmal über die Bundestraße bzw. Staatsstraße gefahren ist und die Brückenbauwerke und Tunnels von unten bzw. oben sieht, dann wirkt diese A 3 Baustelle doch irgendwie "lächerlich" ...