Vor knapp zehn Jahren hat der Bankrott der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers eine gewaltige Finanzkrise ausgelöst, die das Weltwirtschaftssystem fast in den Abgrund trieb. Einer der profiliertesten Finanzexperten des Bundestages, Gerhard Schick, warnt vor dem nächsten Crash. Seine Bürgerbewegung „Finanzwende“ fordert härtere Maßnahmen, damit sich eine Krise wie 2008, die weltweit Millionen von Arbeitsplätzen kostete, nicht wiederholt. Um sich voll und ganz auf seine neue Aufgabe zu konzentrieren, will Schick bis zum Ende des Jahres sein Mandat niederlegen.
Bürger sollen sich aktiv beteiligen
Aus nahezu allen politischen Parteien seien Gründungsmitglieder dabei, zudem Unternehmer, Gewerkschafter und Wissenschaftler. Der CDU-Politiker und ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm unterstützt ebenso die Bewegung. Eine Organisation, die es wirklich mit der gesamten Finanzlobby aufnehmen könne, gebe es bisher nicht, sagte Schick in einem Interview. Die neue Bewegung fordert unter anderem eine Schuldenbremse für Banken, eine unabhängige Finanzberatung statt provisionsgetriebener Berater und dass offenlegt wird, welche Abschnitte in neuen Gesetzen direkt auf Vorschläge der Finanzlobby zurückgehen.
Wie genau die Bewegung wirken will, erklärt Gerhard Schick im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“. Einzelne Bundestagsabgeordnete könnten bei kurzfristigen Anträgen nicht so schnell reagieren. Wenn zehntausende Bürger den Finanzminister anschreiben und gegen einen Antrag revoltieren, könnten Anträge - wie die Abschaffung der Begrenzung von Pleitebankergehältern – verhindert werden.
So wichtig, wie das Herz für den Menschen
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger aus Würzburg hat sich ebenfalls der Initiative angeschlossen. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg ist überzeugt von der Bewegung: „In erster Linie gilt es zu verhindern, dass eine bankrotte Bank alle anderen mit sich reißt. Einzelne Banken dürfen nicht so stark vernetzt sein, dass sie das komplette System gefährden können, so wie es vor zehn Jahren Lehman-Brothers getan hat. Hier besteht nach wie vor großer Handlungsbedarf.“
Reformen sieht Bofinger als dringend erforderlich an: „Ein gutes und gesundes Finanzsystem ist für die Weltwirtschaft genauso wichtig, wie eine intakte Lunge oder Leber für den menschlichen Körper. Wenn es Störungen gibt, hat das immense Auswirkungen auf den kompletten Organismus zur Folge.“
Maß und Mitte sind für Bofinger an dieser Stelle angebracht: „Entscheidend ist, dass die Regeln schwere Krisen verhindern, dass sie aber zugleich die Funktion des Finanzsystems als Motor für neue Investitionen und Innovationen nicht beeinträchtigen. Das ist eine schwierige Gratwanderung.“
Hat die Welt aus der Finanzkrise gelernt?
Der Wirtschaftsweise weist auf die seit 2008 erreichten Verbesserungen hin, doch Krisen könnten jederzeit wieder kommen: „Man kann durchaus Lerneffekte erkennen. Die Eigenkapitalausstattung der Banken hat sich in den vergangenen Jahren enorm erhöht, das System ist somit gegenüber Schocks besser abgesichert. Zugleich ist die Regulierung sehr viel besser aufgestellt. Es gibt jetzt so genannte makroprudenzielle Instrumente, mit denen man bei einer Überhitzung im Immobilienbereich sehr gezielt stabilisierend eingreifen kann.“ Der Lernprozess sei allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Genau deshalb seien Impulse von der Bürgerbewegung Finanzwende so wichtig.
Große Finanzinstitute haben eine starke Lobby hinter sich. Als Konkurrenz sieht Bofinger diese aber nicht: „Wir fordern ein gesundes Finanzsystem. Davon profitieren letztlich alle: Sparer, Investoren aber auch der Steuerzahler. Bei einer längerfristigen Betrachtung sollte das auch im Interesse der Finanzlobby sein. Die Krise von 2008 und der massive Kursverfall von Bankaktien haben zu gravierenden Vermögensverlusten der Finanzlobby geführt. Sie kann also auch kein Interesse haben, dass sich das wiederholt.“
Bewegung statt Partei
Die Gründung parteiübergreifender Bewegungen scheint attraktiv - die letztjährige Bundestagswahl hat gezeigt, dass die Zersplitterung des Parteiensystems immer mehr zunimmt.
Bofinger will diesen Trend nicht überbewerten: „Ich würde daraus keinen Parteienverdruss ableiten. Die Zielsetzung ist vielmehr, dass wir die Politiker bei dieser sehr komplexen Aufgabe unterstützen, ihnen Rat geben.“ Bewegungen für wichtige gesellschaftspolitische Zielsetzungen gebe es so schon lange, insofern sei der gewählte Ansatz nicht neu.