Es tut weh. Nicht nur die Sehnen, Gelenke und Muskeln schmerzen. Auch die Seele schreit. Tag für Tag, wenn die Treppenstufen unüberwindbar scheinen. Jedes Mal, wenn er den Brokkoli abwiegt, während seine Familie ein Grillfest feiert. Immer, wenn ihn Freunde fragen: Warum tust du dir das an?
Christian Schmidt ist kein aufgeblasener Macho. Der 32-Jährige arbeitet als Assistenzarzt, trägt einen Doktor vor seinem Namen. Er kennt sich mit der Gesundheit des Menschen aus, weiß, was gut für ihn ist. Trotzdem quält er seinen Körper – seit 16 Jahren. „Es sind die zehn Minuten auf der Bühne, die dich alles vergessen lassen“, sagt er und packt sich Gewichte auf die Stange.
Es ist einer dieser überhitzten Spätsommertage, an denen der Kopf nach Abkühlung schreit. Christian Schmidt verbringt ihn in einem Würzburger Fitnessstudio – wie Tausende Male zuvor. Der gebürtige Haßfurter kennt hier jeden, grüßt die Tanktop-Träger mit Namen. Knapp gekleidet und braun gebrannt eifern sie mit gestählten Körpern ihren Idolen nach.
Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone – die beiden muskelbepackten Schauspieler haben den jungen Christian zum Bodybuilding gebracht. „Dazu kamen Minderwertigkeitskomplexe.“ Anfangs habe er nur ein paar Sit-Ups und Liegestützen gemacht, mit 19 Jahren lernte er Wettkampfathleten im Fitnessstudio kennen. Kurz darauf begann Schmidt die erste Diät. In elf Wochen verlor er 19 Kilo.
Jede Mahlzeit wird abgewogen, jedes Gramm notiert
„Ich bin normal schon ein lebenslustiger Typ“, beginnt der breitschultrige Mann, dann bricht er ab. Es wird viel über Bodybuilder geredet, einige werden belächelt, andere verehrt. Über das Innere der harten Männer spricht kaum einer. Dabei sei das ein wesentlicher Bestandteil des Sports, sagt Christian Schmidt. Ein Teil, den er offenlegen will.
Der Perfektionismus kam schleichend. Je mehr sich der Wahl-Würzburger als junger Erwachsener mit dem Bodybuilding beschäftigte, umso größer wurde sein Ehrgeiz. Für den perfekten Körper – in den Augen der Wettkampfjury – gab und gibt Schmidt alles. Regelmäßig nimmt er an Meisterschaften teil, dieses Jahr sind es sieben. Das soziale Leben bleibt dabei oft auf der Strecke.
Während der rund fünfmonatigen Wettkampfvorbereitung meidet der 32-Jährige Familienfeiern und Geburtstage, auch Restaurantbesuche sind tabu. „Ich darf keinen Bissen mehr essen, als es der Diätplan vorsieht.“
Um vor der Jury zu punkten, hält sich der Wettkampfathlet für 20 Wochen an einen strikten Essens- und Trainingsplan. „Das ist körperlich und mental so was von zehrend“, sagt der Mediziner. Jede Mahlzeit wird abgewogen, jedes Gramm notiert. „Wenn man einen Tag vor dem Wettkampf einen Fehler bei der Dosierung von Wasser oder Salz macht, kann man sich alles versauen.“
Hähnchenbrust, Thunfisch, Reiswaffeln, Brokkoli und Nüsse sind das Festmahl, ein knurrender Magen und eine ausgetrocknete Kehle die Realität. Seine Mahlzeiten kocht sich der Assistenzarzt im Voraus und verteilt sie in 35 kleine Tupperdosen für eine Woche. Je näher der Wettkampf rückt, umso niedriger wird die Zahl der Kohlenhydrate – am Ende unter 50 Gramm am Tag. „Wenn 300 Gramm Gurken auf dem Plan steht, dann nehme ich auch keine 301.“ Auch ein Bissen vom Döner der Freundin oder eine Nuss zwischenrein gingen nicht.
Ausgetrockneter Mund und zitternde Beine
Disziplin – die beste Eigenschaft eines erfolgreichen Bodybuilders. Sie hat Schmidt schon zu mehreren Titeln geführt, zuletzt zum Vize-Europameister im Schwergewicht. In dem Fitnessstudio am Stadtrand ist der Arzt nicht nur deswegen für einige ein Vorbild. Im rot schummernden Licht versuchen einige Männer, es ihm gleichzutun und hängen immer größere Gewichte auf die Metallstange. Den Blick stets auf die breite Spiegelwand gerichtet. Christian Schmidt sitzt mit dem Rücken zu ihnen.
„Gegen Ende einer Wettkampfvorbereitung ist irgendwann jeder Schritt anstrengend, ich laufe keine Treppen mehr und gar nichts“, sagt er dann. Die körperliche Qual, die die Muskeln auf- und das Fett abbauen soll, gehört zur Vorbereitung dazu. Morgens um vier steht die erste Trainingseinheit an, nach der Arbeit die zweite. Vom Auto geht es direkt auf die Muskelbank, danach zurück ins Auto. Jeder Schritt sei einer zu viel, meint der Athlet. In der letzten Woche vor dem Wettkampf beginnt dann das „Entladen“, bei dem man erst kaum Kohlenhydrate zu sich nimmt, anschließend kaum mehr Salz und Wasser. Kurz vor dem Auftritt trockne man beinahe aus.
„Da kannst du kaum mehr geradeaus laufen und das Sprechen fällt schwer, weil der Mund so trocken ist“, schildert der Bodybuilder. Dennoch: Wenn die Muskulatur streifig ist, ist Christian Schmidt glücklich. Zehn Minuten lang wechselt er bei Meisterschaften vor der Jury von einer Pose zur nächsten, dann ist alles vorbei.
„Wenn ich danach runtergehe, trinke ich sechs Liter Wasser und muss den ganzen Tag nicht pinkeln.“ Einen Tag später wiege er wieder bis zu zwölf Kilo mehr – der ausgezehrte Körper speichert alles, was er bekommen kann. Sobald er sich „Ruhephasen“ gönnt, die aus nur dreimal pro Woche Training bestehen, füllen sich die Fettpolster. Ein Jojo-Effekt, der dem Bodybuilder sehr zu schaffen macht.
„Ich bin nie wirklich mit meinem Körper zufrieden“, sagt der 32-Jährige. Wenn er über seine Komplexe, seine Ängste und Probleme spricht, wird die Stimme des äußerlich harten Kerls leise. Die eng anliegende Badehose trage er nur auf der Bühne, an Tagen wie heute Jogginghose und ein weites Shirt. „Du siehst immer, was du noch besser hättest machen können."
Daher zeige er sich auch im Freibad, dem Mekka vieler „Pumper“, nur ungern. Nacken, Schultern, Arme, Bauch, Oberschenkel, Waden – zu viele mögliche Problemzonen für einen Perfektionisten.
Zufrieden ist Christian Schmidt nie
„Unter 105 Kilo ist mein Wohlfühlgewicht.“ Wenn der Assistenzarzt auf der Bühne steht, wiegt er 89 Kilo, jede Faser ist erkennbar. „Das ist ja nicht attraktiv, das sieht grotesk aus“, sagt der deutsche Meister. Ihm gefalle es dennoch. Es ist das Gefühl, den Ehrgeiz übertroffen und es allen gezeigt zu haben, das ihn beflügelt. Den eigenen Körper zu besiegen – ohne Einnahme von chemischen Substanzen.
„Bei einigen siehst du sofort, dass sie nachgeholfen haben“, meint Schmidt beim Blick durch das Würzburger Fitnessstudio. „Diese Kombination aus Muskulatur und Härte geht ohne Hilfsmittel gar nicht.“ Hilfsmittel nennt der Mediziner das, was andere als Doping bezeichnen. Wachstumshormone oder Anabolika, die den Proteinaufbau und damit das Muskelwachstum fördern, seien in der Bodybuilder-Szene gang und gäbe. „Es ist eher untypisch, wenn es ein Wettkampfathlet ohne macht“, erklärt der Mediziner.
Er selbst sei einer dieser wenigen, die ihren Körper aus eigener Kraft extrem formen wollen. Eine Nische, die sich „Natural Bodybuilding“ nennt.„Ich will es allein schaffen, aus eigener Kraft.“ Christian Schmidt nimmt eine Hantel in die Hand, führt sie mit dem angewinkelten Arm Richtung Schulter und atmet lang aus. Vor einigen Jahren hat er einen Verband gefunden, bei dem er sich aufgehoben fühlt. Der „German Natural Bodybuilding & Fitness Federation e.V.“, den der Hamburger Athlet Berend Breitenstein 2003 gegründet hat, richtet Wettkämpfe nach dem einfachen Motto aus: „Do it drug free“ – mach es ohne Drogen. Rund 800 Mitglieder folgen aktuell dieser Devise, die Tendenz sei steigend.
Der natürliche Kampf gegen den inneren Schweinehund und gegen das ständige Verlangen nach Pausen und Ruhe ist kräftezehrend. Aufhören könnte er dennoch nie, sagt Schmidt. Zu groß sei sein Drang, seinen Körper zu perfektionieren. Seine größte Stütze dabei ist Freundin Annelie. „Ohne sie hätte ich das nie geschafft“, sagt der starke Mann und klickt sich durch die Bilder auf seinem Smartphone.
Annelie und Christian mit seinem Pokal, vor dem Spiegel, auf dem Wettkampf, im Fitnessstudio. Sie begleitet ihn überall hin, trägt ihm die braune Farbe für den Auftritt mit Tapezierrollen auf und gibt ihm das, was der 1,86 Meter große Mann in dieser Phase besonders braucht: Halt. Denn in der Zeit der Wettbewerbsvorbereitung sei er nicht nur physisch angeschlagen. „Ich bin oft kaputt, erschöpft und völlig fertig“, sagt er, dann stellt er sich auf eine freie Fläche inmitten der Geräte. Sieben Körperhaltungen nimmt der 32-Jährige bei einer Meisterschaft ein, jede beherrscht er perfekt. „Mein größter Wunsch ist es, den Wettkampfsport lebenslang in meinem Alltag unterzukriegen.“
Kommendes Jahr müsse er pausieren, da die Facharztprüfung anstehe. Anschließend wolle er auf jeden Fall wieder an Wettkämpfen teilnehmen, sagt der Assistenzarzt und wirft sich in Pose. Konzentriert stellt er sich seitlich, winkelt das rechte Bein an, dreht den Oberkörper nach vorne, nimmt die Arme vor die Brust und spannt den Körper an. Die Muskeln wölben sich nach außen, jede Sehne ist erkennbar, die Haut wirkt streifig. Christian Schmidt blickt zum ersten Mal an diesem Tag in den Spiegel – und lächelt.
Natural Bodybuilding
Der Hamburg Athlet Berend Breitenstein hat 2003 die „German Natural Bodybuilding & Fitness Federation“ gegründet. „Das Bewusstsein der Sportler wird immer größer“, sagt der 52-jährige. Rund 800 Mitglieder habe sein Verein, den er nach dem Konzept des Weltverbands aufgebaut hat. Wer hier bei einer Meisterschaft teilnehmen möchte, müsse sich mehreren Tests unterziehen: Blut, Urin und Haare werden laut Breitenstein am Wettbewerbstag untersucht, während des Trainings finden unangekündigte Kontrollen statt. Wer positiv getestet wird, wird sieben Jahr lang gesperrt.
In anderen Verbänden fällt das Strafmaß dagegen niedriger aus. Der Präsident des Deutschen Bodybuilding und Fitness Verbands, Erich Janner, betätigt, dass bei ihnen nur die internationalen Meisterschaften kontrolliert werden: „Auf der nationalen Ebene haben wir die Tests aus Kostengründen nicht mehr machen können“, sagt er auf Nachfrage. Die Kontrolle übernehme bei den Wettbewerben die Jury, die „visuelle“ Tests durchführe. „Wenn einer mehr als zwei Dopingmerkmale aufweist, wird er nicht zugelassen“, so Erich Janner.