WÜRZBURG
Bischof Paul-Werner Scheele wird 85
Ein Gespräch über Krieg und Frieden, Fußball und Musik, den neuen Papst Franziskus sowie die schwierige Entscheidung, keine Familie gegründet zu haben: „Man muss der Überzeugung sein, dass das, was man im Glauben tun kann, wichtiger ist als das eigene Glück im Kreis der Familie.“
Bischof Paul-Werner Scheele stand von 1979 bis 2003 an der Spitze des Bistums Würzburg, in der Domstadt lebt er auch nach seiner Emeritierung. Zum Interview lädt er in sein Arbeitszimmer, dessen Wände bis an die Decke mit Büchern verdeckt sind. Am 6. April feiert Scheele seinen 85. Geburtstag, und er wird auch diesen Tag wie üblich mit einer Messe beginnen.
Scheele liebt Musik, er soll, so behaupten es enge Vertraute, ein ausgezeichnter Pianist sein, und er schreibt auch immer noch Bücher. Zudem verfolgt er genau den Fußball, er ist Fan von Borussia Dortmund und bewahrt in seinem Arbeitszimmer ein Bild von der Meisterschaft 1995 auf, das der Künstler Jürgen Wolf gemalt und ihm geschenkt hat. Anlässlich seines 85. Geburtstages hält Paul-Werner Scheele eine Rückschau und spricht über Krieg und Frieden, den Papst und Musik – und sein Leben.
Bischof Scheele, zuletzt bewegte der TV-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ viele Menschen hierzulande. Es scheint, als arbeite Deutschland den Zweiten Weltkrieg auf. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Bischof Scheele: Sehr schlechte. Ich bin gegen Kriegsende noch eingezogen worden. Ich habe viele Bombenattacken erlebt und natürlich auch das ganze Elend gesehen, das der Krieg mit sich bringt. Mein ältester Bruder wurde schwer verwundet und meine Heimatstadt Olpe schwer zerstört. Es gab viele Tote in meiner Heimat.
Waren diese Erlebnisse prägend für Ihren weiteren Lebenslauf?
Scheele: Ich denke schon. Wenn man beim Militär am Sonntag zum Gottesdienst gehen wollte, musste man Zivilcourage zeigen. Prägend war es auch einerseits zu sehen, was durch die Naziideologie Schreckliches angestellt wurde, andererseites aber auch festzustellen, dass sich die Grundlagen der Kirche bewährt haben. Trotz aller menschlichen Schwächen, die auch dort zu Tage traten. Dies hat meinen späteren Weg maßgeblich beeinflusst.
In vielen Ihrer Predigten stand die Gemeinschaft im Mittelpunkt. Für wie gefährdet halten Sie den Frieden?
Scheele: Frieden ist ein Schatz, den wir hüten und für den wir dankbar sein müssen. Wir können uns zwar an ihm erfreuen, aber in vielen Ländern wird gekämpft und gemordet. Mich bewegt im Moment sehr, was in Syrien passiert, weil ich weiß, dass besonders Christen dort gefährdet sind.
Was muss die Gesellschaft für den Erhalt des Friedens tun?
Scheele: Den sozialen Frieden sichern und sich zu ethischen Grundwerten bekennen. Was in Deutschland durch Abtreibung passiert, das ist ja ein Krieg. Da werden unschuldige und wehrlose Menschen getötet. Wenn da kein neuer Aufbruch kommt, sind wir arm dran.
Sie sehen vor allem den sozialen Frieden gefährdet?
Scheele: Ja, denn die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Das wird soziale Unruhen mit sich bringen. Es besteht die weltweite Gefahr, dass die arme Mehrheit gewaltsame Versuche macht, ihre Situation zu ändern. Früher wurden Kriege meist durch Nationalismus ausgelöst. Ein Jugendlicher in Deutschland kann sich ja heute kaum noch vorstellen, dass Franzosen oder Engländer Erbfeinde waren, gegen die man kämpfen musste. Das ist passé. Ich glaube nicht, dass aus nationalistischen Gründen in Europa wieder ein Weltkrieg entstehen kann. Aber soziale Gründe können dazu führen.
Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Haben Sie eine Entscheidung bereut?
Scheele: Eigentlich nicht. Ich habe sicher nicht alles gut oder richtig gemacht. Aber an eine Entscheidung, von der ich heute sagen würde, sie war total falsch, kann ich mich nicht erinnern. Mir halfen dabei gute Freunde und gute akademische Lehrer. Die Entscheidung für den priesterlichen Weg wird ja so gut vorbereitet wie in kaum einem anderen Beruf. Ich bin dankbar, dass ich immer so gut geführt worden bin.
Sie wirken sehr mit sich im Reinen. Ist das so?
Scheele: Wissen Sie, ich habe jeden Tag Gewissenerforschung und Reuegebete nötig. Der normale Christ ist ein begnadeter Sünder, doch die Gnade Gottes ist stärker als sein Versagen. Ich habe viel Anlass zu danken, ich habe so viel Schönes erlebt.
An was erinnern Sie sich gerne?
Scheele: An die Zeit in Würzburg, wo ich gute Helfer gefunden habe, Priester wie auch Laien. Besonders dankbar bin ich für die Freundschaft, die ich mit Musik-Professor Bertold Hummel haben durfte. Er hat mir vieles vermittelt hat, oft haben wir auch musiziert. Er spielte Cello, seine Frau Geige, und ich habe versucht im rechten Augenblick einige Klaviertasten runterzudrücken.
Wie sieht der typische Tag eines emeritierten Bischofs aus?
Scheele: Es freut mich, dass Sie nicht Alt-Bischof gesagt haben, denn das bin ich nicht. Ein Altbürgermeister war mal Bürgermeister, ein Bischof bleibt Bischof. Ich bin nicht mehr Bischof von Würzburg, aber die wichtigsten Aufgaben eines Bischofs wie Verkündigung oder Sakramentenspendung kann ich weiterhin ausüben. Ich habe keinen Zeitvertrag gemacht. Mein Tag beginnt normalerweise um kurz vor fünf. Ich habe zwei Wecker zur Sicherheit. Anschließend feiere ich die Heilige Messe im Mutterhaus der Erlöserschwestern. Mittwochs ist Abendmesse, da stelle ich keinen Wecker, bin aber dennoch zur gleichen Zeit wach. Dann denke ich, du kannst das ganze Leben nicht verpennen, raus aus der Kiste. Der Morgen ist ein wichtiges Geschenk, man muss ja erst einmal tanken, wenn man fahren will.
Und dann geht es an den Schreibtisch?
Scheele: Ich versuche zu studieren, nachzudenken, zu schreiben. Eine gute Predigt verlangt Vorbereitung. Ich könnte mir ja sagen, bei den Schwestern sind so viele Alte, manche hören nicht mehr richtig, da kannst du etwas aus dem Ärmel schütteln. Aber das geht nicht. Ich brauche schon Zeit, um das so gut zu machen, wie es möglich ist. Ich habe natürlich das Glück, dass ich im Vergleich zu vielen anderen Pfarrern jeden Morgen eine volle Kirche habe.
Mit was befassen Sie sich im Moment?
Scheele: Ich freue mich, wenn ich Zeit habe, etwas theologisch zu vertiefen. Die Theologie ist ja ein Fass ohne Boden. Ich brauche immer ein Feld, das ich beackere. Wenn ich das nicht habe, fehlt mir etwas. Deshalb habe ich auch ein neues Buch geschrieben, es heißt „Mit den Heiligen zum Herrn“. Ich habe mich ausführlich mit 26 Heiligen beschäftigt: Was können die mir sagen? Was kann man konkret mit ihnen verbinden? Ich habe versucht, immer den O-Ton einzubringen, denn es gibt ja von vielen Heiligen authentische Zeugnisse. Ich bin sozusagen ihr Sprachrohr.
Benutzen Sie für Ihre Recherchen einen Computer und das Internet?
Scheele: Nein. Das hängt damit zusammen, dass ich als Bischof einen Sekretär hatte, da genügte es, wenn ich etwas diktierte. Meine früheren Bücher habe ich alle auf einer kleinen Reiseschreibmaschine im Zehn-Finger-System getippt. Die modernen Möglichkeiten sind offenbar phantastisch, aber ich habe da eine Mangelerscheinung. Manche Mitbrüder, die das beherrschen, sagen, man verliert auch viel Zeit durch das Internet.
Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?
Scheele: Das Bistum feiert einen Gottesdienst für mich und Weihbischof Helmut Bauer, der 80 wurde. Damit hat sich’s. Am eigentlichen Geburtstag passiert nichts weiter. Ich feiere die Messe, und die Schwestern werden ein Ständchen bringen, das kann ich wohl prophezeien. Ich finde, dass man eher Priesterjubiläen feiern sollte. Im Alter nehmen die Feiern sowieso zu, das sollte man bremsen. Ich erinnere mich an ein Sprichwort: A, e, i, o, u – Alte Esel jubilieren ohne Unterlass.
Gibt es familären Besuch?
Scheele: Von uns sechs Kindern sind nur mein jüngerer Bruder und ich übrig. Das ist ein Stück weit schmerzlich. Aber ich habe viele Brüder und Schwestern anderswo, da ist kein Hohlraum.
Spüren Sie Einsamkeit?
Scheele: Nein, davon will ich nicht sprechen. Meine Tante, die mich 41 Jahre betreut, begleitet und für mich gekocht hat, sie ist in Würzburg mit 102 Jahren gestorben, war öfter allein. Aber Langeweile oder Einsamkeit hat sie nie gespürt, sie hat sich ans Klavier gesetzt, gelesen oder für den Neffen gebetet. Wer glaubt, ist nie allein – da ist was dran.
Sie kommen aus einer kinderreichen Familie. Haben Sie es nie bereut, keine eigene Familie gegründet zu haben?
Scheele: In der Tat wird die Zölibatsfrage meistens nur auf das Verhältnis zur Frau reduziert. Für mich ist es mindestens genauso schwierig, dass man keine Kinder hat, denen man weitergeben kann, was man für richtig hält. Keine Familie zu gründen, das ist schon eine schwierige Entscheidung. Man muss wissen, was man tut. Man muss der Überzeugung sein, dass das, was man im Glauben tun kann, wichtiger ist als das eigene Glück im Kreis der Familie. Ich kam in meinem pastoralen Dienst mit so vielen Menschen zusammen, von denen man empfängt, da ist nie Einsamkeit entstanden. Heutzutage sind jüngere Mitbrüder da schon in Gefahr. Sie haben meist keine Haushälterin. Wenn sie abends fertig nach Hause kommen, holen sie sich etwas aus dem Kühlschrank und sitzen alleine da. Das kann zu einem echten Problem werden. Ich war vom ersten Priesterjahr an so mit Arbeit zugedeckt, dass kein Raum für solche Gedanken blieb. Es gab kein Loch, in das man reinkriechen und sich selbst bedauern konnte. Daneben habe ich immer schon Bücher geschrieben. Sie sehen, das Laster fing früh an.
Ihr einziges?
Scheele: Nein, da wäre ich ja arm dran. Ich habe beispielsweise immer schon viel Freude an der Musik gehabt.
Sie spielen selbst Klavier?
Scheele: Ja, freilich. So lange es keine strengen Gesetze wegen akustischer Umweltverschmutzung gibt, tue ich das.
Was sagen Sie zum neuen Papst Franziskus?
Scheele: Ich war überrascht und erfreut. Er scheint ein sehr sympathischer Mann zu sein, zurückhaltend, bescheiden und von südamerikanischen Erfahrungen geprägt, die der Gesamtkirche gut tun. Und dass er dem Fußball-Club San Lorenzo in Buenos Aires verbunden ist, hat ihm bei mir nochmal einen Sympathieschub eingebracht.
Was erwarten Sie von Ihm?
Scheele: Zunächst, dass er die Grundaufgaben eines jeden Bischofs erfüllt. Oft sind es ja spektakuläre Aktionen, die Beachtung finden. Aus ökumenischer Perspektive aber war es etwa außerordentlich, dass Papst Benedikt so oft in biblischem Sinne gepredigt hat. Ich kenne keinen Kirchenführer weltweit, der dies in dem Maß tut, aber das wird nicht zur Kenntnis genommen. Natürlich ist eine Reform der Kurie fällig, obwohl ich das Thema für hochgespielt halte. Es wird getan, als sei die Kurie eine Lasterhöhle. Aber ich kenne so viele Leute, die toll ihre Pflicht erfüllen. Natürlich gibt es Leute, die mit wenig Arbeit lange auskommen. Aber der Papst wird Zeit brauchen, bis er die Kurie genauer kennt und die faulen Stellen findet.
Ihr Thema ist die Ökumene. Was erhoffen Sie sich da für Fortschritte?
Scheele: Mich hat zunächst gefreut, dass sich Franziskus sofort nach seiner Einführung am nächsten Morgen den ökumenischen Partnern gewidmet hat, das war ein Zeichen. Seine Vorliebe für die Kirche der Armen kann vielleicht für manche noch schmerzlich werden. Ich habe Grund zur Hoffung, dass es ein gutes Ponifikat wird. Barmherzigkeit ist ja sein Thema.
Haben Sie noch Wünsche im Leben?
Scheele: Ich hoffe, dass es auf dem Weg der Einheit weitergeht. Es hat mich über Jahrzehnte geprägt, dass ich für den ökumenischen Dialog auf Weltebene verantwortlich im Einsatz war. Jetzt gibt es erstmals in der Kirchengeschichte einen offiziellen Dialog mit orientalisch-orthodoxen Christen, die fast alle schlimme Verfolgungen erlebt haben und oft weiterhin in Problemgebieten leben. Der Erzbischof der katholischen Armenier im syrischen Aleppo konnte nicht nach Rom kommen, weil der Flughafen angegriffen wurde. Hierzulande meint man immer, Ökumene besteht aus katholischen und evangelischen Christen, aber schon die anderen Christen in Deutschland übersieht man.
Lassen Sie uns noch über Fußball sprechen. Das müssen schöne Jahre zuletzt für Sie als Fan von Borussia Dortmund gewesen sein.
Scheele: Ja, das stimmt. Meine Mutter stammt aus Dortmund, dort habe ich das Laufen gelernt. Sympathisch ist auch, dass der BVB immer guten Kontakt zur Kirche gehalten hat. Und jetzt hat sich die Borussia so nobel benommen und den Bayern sogar mal den Vortritt gelassen, nachdem sie vorher fünfmal in Folge gewonnen hatte. Ich freue mich aber nicht nur am Erfolg, sondern auch am Stil der Borussia: Da wird nicht gemauert, da wird flüssig nach vorne gespielt, da wird attackiert. Mich ärgert nur, dass die Topspiele im Bezahl-Fernsehen kommen. Aber es gibt ja die Sportschau am Samstag, dort werden nur die wichtigsten Szenen der Spiele gezeigt, das ist schön. Und wenn Reklame kommt, setze ich mich ans Klavier.
Bischof Scheele, vielen Dank für das Gespräch.
Scheele: Bitte sehr. Ich habe wohl keine Sensationen zu verkaufen, aber das normale Leben ist ja auch spannend.
Scheele liebt Musik, er soll, so behaupten es enge Vertraute, ein ausgezeichnter Pianist sein, und er schreibt auch immer noch Bücher. Zudem verfolgt er genau den Fußball, er ist Fan von Borussia Dortmund und bewahrt in seinem Arbeitszimmer ein Bild von der Meisterschaft 1995 auf, das der Künstler Jürgen Wolf gemalt und ihm geschenkt hat. Anlässlich seines 85. Geburtstages hält Paul-Werner Scheele eine Rückschau und spricht über Krieg und Frieden, den Papst und Musik – und sein Leben.
Bischof Scheele, zuletzt bewegte der TV-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ viele Menschen hierzulande. Es scheint, als arbeite Deutschland den Zweiten Weltkrieg auf. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Bischof Scheele: Sehr schlechte. Ich bin gegen Kriegsende noch eingezogen worden. Ich habe viele Bombenattacken erlebt und natürlich auch das ganze Elend gesehen, das der Krieg mit sich bringt. Mein ältester Bruder wurde schwer verwundet und meine Heimatstadt Olpe schwer zerstört. Es gab viele Tote in meiner Heimat.
Waren diese Erlebnisse prägend für Ihren weiteren Lebenslauf?
Scheele: Ich denke schon. Wenn man beim Militär am Sonntag zum Gottesdienst gehen wollte, musste man Zivilcourage zeigen. Prägend war es auch einerseits zu sehen, was durch die Naziideologie Schreckliches angestellt wurde, andererseites aber auch festzustellen, dass sich die Grundlagen der Kirche bewährt haben. Trotz aller menschlichen Schwächen, die auch dort zu Tage traten. Dies hat meinen späteren Weg maßgeblich beeinflusst.
In vielen Ihrer Predigten stand die Gemeinschaft im Mittelpunkt. Für wie gefährdet halten Sie den Frieden?
Scheele: Frieden ist ein Schatz, den wir hüten und für den wir dankbar sein müssen. Wir können uns zwar an ihm erfreuen, aber in vielen Ländern wird gekämpft und gemordet. Mich bewegt im Moment sehr, was in Syrien passiert, weil ich weiß, dass besonders Christen dort gefährdet sind.
Was muss die Gesellschaft für den Erhalt des Friedens tun?
Scheele: Den sozialen Frieden sichern und sich zu ethischen Grundwerten bekennen. Was in Deutschland durch Abtreibung passiert, das ist ja ein Krieg. Da werden unschuldige und wehrlose Menschen getötet. Wenn da kein neuer Aufbruch kommt, sind wir arm dran.
Sie sehen vor allem den sozialen Frieden gefährdet?
Scheele: Ja, denn die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Das wird soziale Unruhen mit sich bringen. Es besteht die weltweite Gefahr, dass die arme Mehrheit gewaltsame Versuche macht, ihre Situation zu ändern. Früher wurden Kriege meist durch Nationalismus ausgelöst. Ein Jugendlicher in Deutschland kann sich ja heute kaum noch vorstellen, dass Franzosen oder Engländer Erbfeinde waren, gegen die man kämpfen musste. Das ist passé. Ich glaube nicht, dass aus nationalistischen Gründen in Europa wieder ein Weltkrieg entstehen kann. Aber soziale Gründe können dazu führen.
Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Haben Sie eine Entscheidung bereut?
Scheele: Eigentlich nicht. Ich habe sicher nicht alles gut oder richtig gemacht. Aber an eine Entscheidung, von der ich heute sagen würde, sie war total falsch, kann ich mich nicht erinnern. Mir halfen dabei gute Freunde und gute akademische Lehrer. Die Entscheidung für den priesterlichen Weg wird ja so gut vorbereitet wie in kaum einem anderen Beruf. Ich bin dankbar, dass ich immer so gut geführt worden bin.
Sie wirken sehr mit sich im Reinen. Ist das so?
Scheele: Wissen Sie, ich habe jeden Tag Gewissenerforschung und Reuegebete nötig. Der normale Christ ist ein begnadeter Sünder, doch die Gnade Gottes ist stärker als sein Versagen. Ich habe viel Anlass zu danken, ich habe so viel Schönes erlebt.
An was erinnern Sie sich gerne?
Scheele: An die Zeit in Würzburg, wo ich gute Helfer gefunden habe, Priester wie auch Laien. Besonders dankbar bin ich für die Freundschaft, die ich mit Musik-Professor Bertold Hummel haben durfte. Er hat mir vieles vermittelt hat, oft haben wir auch musiziert. Er spielte Cello, seine Frau Geige, und ich habe versucht im rechten Augenblick einige Klaviertasten runterzudrücken.
Wie sieht der typische Tag eines emeritierten Bischofs aus?
Scheele: Es freut mich, dass Sie nicht Alt-Bischof gesagt haben, denn das bin ich nicht. Ein Altbürgermeister war mal Bürgermeister, ein Bischof bleibt Bischof. Ich bin nicht mehr Bischof von Würzburg, aber die wichtigsten Aufgaben eines Bischofs wie Verkündigung oder Sakramentenspendung kann ich weiterhin ausüben. Ich habe keinen Zeitvertrag gemacht. Mein Tag beginnt normalerweise um kurz vor fünf. Ich habe zwei Wecker zur Sicherheit. Anschließend feiere ich die Heilige Messe im Mutterhaus der Erlöserschwestern. Mittwochs ist Abendmesse, da stelle ich keinen Wecker, bin aber dennoch zur gleichen Zeit wach. Dann denke ich, du kannst das ganze Leben nicht verpennen, raus aus der Kiste. Der Morgen ist ein wichtiges Geschenk, man muss ja erst einmal tanken, wenn man fahren will.
Und dann geht es an den Schreibtisch?
Scheele: Ich versuche zu studieren, nachzudenken, zu schreiben. Eine gute Predigt verlangt Vorbereitung. Ich könnte mir ja sagen, bei den Schwestern sind so viele Alte, manche hören nicht mehr richtig, da kannst du etwas aus dem Ärmel schütteln. Aber das geht nicht. Ich brauche schon Zeit, um das so gut zu machen, wie es möglich ist. Ich habe natürlich das Glück, dass ich im Vergleich zu vielen anderen Pfarrern jeden Morgen eine volle Kirche habe.
Mit was befassen Sie sich im Moment?
Scheele: Ich freue mich, wenn ich Zeit habe, etwas theologisch zu vertiefen. Die Theologie ist ja ein Fass ohne Boden. Ich brauche immer ein Feld, das ich beackere. Wenn ich das nicht habe, fehlt mir etwas. Deshalb habe ich auch ein neues Buch geschrieben, es heißt „Mit den Heiligen zum Herrn“. Ich habe mich ausführlich mit 26 Heiligen beschäftigt: Was können die mir sagen? Was kann man konkret mit ihnen verbinden? Ich habe versucht, immer den O-Ton einzubringen, denn es gibt ja von vielen Heiligen authentische Zeugnisse. Ich bin sozusagen ihr Sprachrohr.
Benutzen Sie für Ihre Recherchen einen Computer und das Internet?
Scheele: Nein. Das hängt damit zusammen, dass ich als Bischof einen Sekretär hatte, da genügte es, wenn ich etwas diktierte. Meine früheren Bücher habe ich alle auf einer kleinen Reiseschreibmaschine im Zehn-Finger-System getippt. Die modernen Möglichkeiten sind offenbar phantastisch, aber ich habe da eine Mangelerscheinung. Manche Mitbrüder, die das beherrschen, sagen, man verliert auch viel Zeit durch das Internet.
Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?
Scheele: Das Bistum feiert einen Gottesdienst für mich und Weihbischof Helmut Bauer, der 80 wurde. Damit hat sich’s. Am eigentlichen Geburtstag passiert nichts weiter. Ich feiere die Messe, und die Schwestern werden ein Ständchen bringen, das kann ich wohl prophezeien. Ich finde, dass man eher Priesterjubiläen feiern sollte. Im Alter nehmen die Feiern sowieso zu, das sollte man bremsen. Ich erinnere mich an ein Sprichwort: A, e, i, o, u – Alte Esel jubilieren ohne Unterlass.
Gibt es familären Besuch?
Scheele: Von uns sechs Kindern sind nur mein jüngerer Bruder und ich übrig. Das ist ein Stück weit schmerzlich. Aber ich habe viele Brüder und Schwestern anderswo, da ist kein Hohlraum.
Spüren Sie Einsamkeit?
Scheele: Nein, davon will ich nicht sprechen. Meine Tante, die mich 41 Jahre betreut, begleitet und für mich gekocht hat, sie ist in Würzburg mit 102 Jahren gestorben, war öfter allein. Aber Langeweile oder Einsamkeit hat sie nie gespürt, sie hat sich ans Klavier gesetzt, gelesen oder für den Neffen gebetet. Wer glaubt, ist nie allein – da ist was dran.
Sie kommen aus einer kinderreichen Familie. Haben Sie es nie bereut, keine eigene Familie gegründet zu haben?
Scheele: In der Tat wird die Zölibatsfrage meistens nur auf das Verhältnis zur Frau reduziert. Für mich ist es mindestens genauso schwierig, dass man keine Kinder hat, denen man weitergeben kann, was man für richtig hält. Keine Familie zu gründen, das ist schon eine schwierige Entscheidung. Man muss wissen, was man tut. Man muss der Überzeugung sein, dass das, was man im Glauben tun kann, wichtiger ist als das eigene Glück im Kreis der Familie. Ich kam in meinem pastoralen Dienst mit so vielen Menschen zusammen, von denen man empfängt, da ist nie Einsamkeit entstanden. Heutzutage sind jüngere Mitbrüder da schon in Gefahr. Sie haben meist keine Haushälterin. Wenn sie abends fertig nach Hause kommen, holen sie sich etwas aus dem Kühlschrank und sitzen alleine da. Das kann zu einem echten Problem werden. Ich war vom ersten Priesterjahr an so mit Arbeit zugedeckt, dass kein Raum für solche Gedanken blieb. Es gab kein Loch, in das man reinkriechen und sich selbst bedauern konnte. Daneben habe ich immer schon Bücher geschrieben. Sie sehen, das Laster fing früh an.
Ihr einziges?
Scheele: Nein, da wäre ich ja arm dran. Ich habe beispielsweise immer schon viel Freude an der Musik gehabt.
Sie spielen selbst Klavier?
Scheele: Ja, freilich. So lange es keine strengen Gesetze wegen akustischer Umweltverschmutzung gibt, tue ich das.
Was sagen Sie zum neuen Papst Franziskus?
Scheele: Ich war überrascht und erfreut. Er scheint ein sehr sympathischer Mann zu sein, zurückhaltend, bescheiden und von südamerikanischen Erfahrungen geprägt, die der Gesamtkirche gut tun. Und dass er dem Fußball-Club San Lorenzo in Buenos Aires verbunden ist, hat ihm bei mir nochmal einen Sympathieschub eingebracht.
Was erwarten Sie von Ihm?
Scheele: Zunächst, dass er die Grundaufgaben eines jeden Bischofs erfüllt. Oft sind es ja spektakuläre Aktionen, die Beachtung finden. Aus ökumenischer Perspektive aber war es etwa außerordentlich, dass Papst Benedikt so oft in biblischem Sinne gepredigt hat. Ich kenne keinen Kirchenführer weltweit, der dies in dem Maß tut, aber das wird nicht zur Kenntnis genommen. Natürlich ist eine Reform der Kurie fällig, obwohl ich das Thema für hochgespielt halte. Es wird getan, als sei die Kurie eine Lasterhöhle. Aber ich kenne so viele Leute, die toll ihre Pflicht erfüllen. Natürlich gibt es Leute, die mit wenig Arbeit lange auskommen. Aber der Papst wird Zeit brauchen, bis er die Kurie genauer kennt und die faulen Stellen findet.
Ihr Thema ist die Ökumene. Was erhoffen Sie sich da für Fortschritte?
Scheele: Mich hat zunächst gefreut, dass sich Franziskus sofort nach seiner Einführung am nächsten Morgen den ökumenischen Partnern gewidmet hat, das war ein Zeichen. Seine Vorliebe für die Kirche der Armen kann vielleicht für manche noch schmerzlich werden. Ich habe Grund zur Hoffung, dass es ein gutes Ponifikat wird. Barmherzigkeit ist ja sein Thema.
Haben Sie noch Wünsche im Leben?
Scheele: Ich hoffe, dass es auf dem Weg der Einheit weitergeht. Es hat mich über Jahrzehnte geprägt, dass ich für den ökumenischen Dialog auf Weltebene verantwortlich im Einsatz war. Jetzt gibt es erstmals in der Kirchengeschichte einen offiziellen Dialog mit orientalisch-orthodoxen Christen, die fast alle schlimme Verfolgungen erlebt haben und oft weiterhin in Problemgebieten leben. Der Erzbischof der katholischen Armenier im syrischen Aleppo konnte nicht nach Rom kommen, weil der Flughafen angegriffen wurde. Hierzulande meint man immer, Ökumene besteht aus katholischen und evangelischen Christen, aber schon die anderen Christen in Deutschland übersieht man.
Lassen Sie uns noch über Fußball sprechen. Das müssen schöne Jahre zuletzt für Sie als Fan von Borussia Dortmund gewesen sein.
Scheele: Ja, das stimmt. Meine Mutter stammt aus Dortmund, dort habe ich das Laufen gelernt. Sympathisch ist auch, dass der BVB immer guten Kontakt zur Kirche gehalten hat. Und jetzt hat sich die Borussia so nobel benommen und den Bayern sogar mal den Vortritt gelassen, nachdem sie vorher fünfmal in Folge gewonnen hatte. Ich freue mich aber nicht nur am Erfolg, sondern auch am Stil der Borussia: Da wird nicht gemauert, da wird flüssig nach vorne gespielt, da wird attackiert. Mich ärgert nur, dass die Topspiele im Bezahl-Fernsehen kommen. Aber es gibt ja die Sportschau am Samstag, dort werden nur die wichtigsten Szenen der Spiele gezeigt, das ist schön. Und wenn Reklame kommt, setze ich mich ans Klavier.
Bischof Scheele, vielen Dank für das Gespräch.
Scheele: Bitte sehr. Ich habe wohl keine Sensationen zu verkaufen, aber das normale Leben ist ja auch spannend.
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