An ein rotes Tor kann sich Fatim (Name geändert) noch erinnern. Und dass die Familie bei der Tante gewohnt hatte. Sehr viel mehr weiß sie aus ihren Kindertagen in Mali nicht. Bereits mit fünf Jahren kam die Tochter einer Afrikanerin und eines Deutschen nach Brandenburg. Hier erfuhr sie, als sie elf Jahre zählte, dass etwas Entsetzliches in Mali mit ihr geschehen war: „Ich bin beschnitten worden. Habe aber Gott sei Dank keinerlei Erinnerung daran.“
Beim Sexualkundeunterricht in der Grundschule kam die heute 26-jährige Würzburgerin darauf, dass sie anders war als die Freundinnen aus ihrer Klasse. Die Lehrerin zeigte den Kindern, wie ein Mann ausschaut. Und wie eine Frau: „Da dachte ich mir, dass das bei mir doch ganz anders ist.“ Später sahen die Kinder, ebenfalls noch in der Grundschule, einen Aufklärungsfilm über das Thema „Beschneidung“. Fatim wusste nun endgültig, was mit ihr geschehen war.
Sie ging zu ihrer Mutter, sprach sie an: „Was habt ihr mir angetan?“ Die bestätigte, dass an Fatim eine Beschneidung vorgenommen worden warum. „Warum?“ Das Mädchen war wütend und fassungslos. Doch bis heute erhielt sie keine Begründung: „Es heißt nur, dass dies nun mal zu unserer muslimischen Kultur gehört.“ Auch hat sie nie erfahren, wer die Beschneidung vornahm: „Vielleicht meine Oma.“ Der hätte ihre Mutter auch niemals widersprechen können. Ältere Menschen, so Fatim, genießen in Mali eine unantastbare Autorität.
Verstümmelung rückgängig gemacht
Ihre monatliche Regel war stets eine Qual: „Ich war immer drei Tage lang fix und fertig.“ Auch seelisch nahm das Wissen darum, dass sie von ihren eigenen Verwandten verstümmelt worden ist, Fatim mit. Es gab sehr bittere Tage, so die Mutter eines dreijährigen Sohnes, die seit mehreren Jahren in einer festen Partnerschaft lebt. Was nur könnte sie tun, damit sie sich besser fühlt? Lange trieb diese Frage sie um.
Über das Würzburger Aktivbüro kam Fatim an den Verein „Terre des Femmes“. Eine der Mitarbeiterinnen gab ihr einen Tipp, der ihr Leben veränderte: „Ich erfuhr, dass es in Aachen einen Arzt gibt, der rekonstruktive Operationen vornimmt.“ An diesen Arzt wandte sie sich. Der bestätigte ihr, dass es möglich ist, eine Verstümmelung rückgängig zu machen. Die Krankenkasse, erfuhr Fatim, würde den Eingriff sogar bezahlen.
Im August 2014 fuhr sie nach Aachen. Allein. Denn ihrem Partner war es nicht möglich, sie zu begleiten. Noch einmal war sie in der Klinik, im Vorfeld der Operation, heftigen Gefühlen ausgeliefert: „Noch auf dem OP-Tisch weinte ich.“ Doch die Ärzte beruhigten sie. Nach fünfeinhalb Stunden war die Operation beendet. Und Fatim war glücklich: „Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich als Frau vollständig.“
Diese Erfahrung möchte sie weitergeben, meint die junge Würzburgerin. Das Aktivbüro unterstützt sie dabei, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. In dieser Gruppe sollen Frauen die Möglichkeit haben, einander zu erzählen, was es für sie bedeutet, beschnitten zu sein. Allein dieser Austausch sei wichtig: „Normalerweise redet man nicht darüber. Auch meine Freundinnen erfuhren erst sehr spät, dass ich beschnitten worden bin.“
In der Selbsthilfegruppe soll es aber auch um medizinische Hilfen gehen. Und um einen Austausch über das, was beschnittene Frauen bei Ärzten erleben. Das ist oft haarsträubend, meint Fatim: „Ein Frauenarzt, dem ich von meinem Wunsch erzählte, operiert zu werden, meinte zu mir, dass das bei mir doch gar nicht so tragisch sei. Andere Frauen hätten deswegen sehr viel mehr Schmerzen als ich.“ Ein anderer Arzt, an den sie sich wandte, fragte sie: „Und Sie? Würden Sie Ihre Tochter beschneiden lassen?“ Fatim war fassungslos. Auch dieser Mediziner hatte offenbar in keiner Weise verstanden, wie sehr sie unter der Verstümmelung litt.
Frauen, die Interesse an der Selbsthilfegruppe haben, können sich unter Tel. (09 31) 37 346 8 an das Aktivbüro der Stadt Würzburg wenden.