Zwischen Philipp und Frau Staschek liegen fast 85 Jahre Altersunterschied, und wahrscheinlich wären sich die beiden nie begegnet. Der Junge geht in die 6. Klasse der Maria-Stern-Schule, die 97-Jährige wohnt im benachbarten Marienheim. Dass sie sich aber begegnet sind und nun alle zwei Wochen treffen und miteinander Zeit verbringen ermöglicht das Projekt „Generationsbrücke“.
Wenn wieder ein Zusammentreffen ansteht, blicken die Senioren abwechselnd von der Uhr zum Fenster und wieder zurück: „Wie lange dauert es noch?“ „Kommen sie jetzt bald?“ Wenn es auf zehn Uhr zugeht, steigt die Ungeduld spürbar. Auf den Tischen liegen Scheren, Stifte und Tonpapier bereit – und ein paar Tüten Gummibärchen. „Für die Kinder“, sagt einer der Senioren und lächelt. Die Kinder, das sind zwölf Schüler der Maria-Stern-Schule, die am Projekt „Generationsbrücke“ teilnehmen und alle zwei Wochen Senioren im Marienheim und im Haus St. Thekla besuchen.
Jeder Schüler hat seinen festen Partner. „Ich hab sogar zwei junge Damen“, sagt einer der Senioren stolz und versucht, sich an die Namen zu erinnern. Er schafft es nicht, erkennt aber sofort, wer zu ihm gehört, als die Tür aufgeht und die Schüler gemeinsam mit ihrem Lehrer eintreten. Wenig später sitzt Samantha neben dem 92-Jährigen und reicht ihm die Schere. Gemeinsam basteln sie einen Rahmen aus Tonpapier für ein Foto von beiden.
Gemeinsame Aktionen
„Das häng ich gleich in meinem Zimmer auf“, sagt der Senior. „Und am Wochenende zeige ich es meinem Sohn.“ Ihm gegenüber sitzt eine 97-Jährige. Eine Schere kann die alte Dame nicht mehr halten – das Schneiden übernimmt „ihr“ Philip. „Die Kinder bringen Licht in meinen Alltag“, schwärmt sie. „Es ist immer so schön, wenn sie kommen.“
„Ich freue mich sehr, dass wir das Projekt gemeinsam mit Generationsbrücke Deutschland und der Maria-Stern-Schule umsetzen, denn hier entstehen nicht nur Begegnungen, sondern echte Beziehungen, betont in einer Pressemitteilung Georg Sperrle, Geschäftsführer der Caritas-Einrichtungen gGmbH, die Träger der beiden beteiligten Häuser ist.
Lebendiges Miteinander
Das Konzept, junge und pflegebedürftige Menschen zusammenzuführen, habe ihn sofort überzeugt. „Unsere Senioren erleben eine Abwechslung zum Alltag in der Pflegeeinrichtung, während die Schüler von der Lebenserfahrung der älteren Generation profitieren und sensibilisiert werden für Themen wie Pflegebedürftigkeit, Demenz und Tod.“
Zwei Senioren sind bereits gestorben, seit das Projekt im Januar gestartet ist. „Das ist für die Schüler natürlich auch eine neue Erfahrung“, sagt Anne Engel. Die Betreuungsassistentin begleitet die Treffen und bereitet sie nach dem Konzept von „Generationsbrücke Deutschland“ vor. Regelmäßige und strukturierte Abläufe seien dabei besonders wichtig. Aber im Vordergrund stehe natürlich das Miteinander, und das kann viele Gesichter haben.
So haben die Sechstklässler beispielsweise den Bewohnern auch schon gezeigt, was man mit einer Nintendo Wii machen kann. Und demnächst steht ein Besuch in der Schule an. „Dann zeigen wir euch mal unsere Klassenzimmer“, sagen die Schüler.
Plötzlich stimmt einer der Senioren ein Lied an: „Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen, der eiskalten Winde rauhes Gesicht.“ Die Senioren um ihn singen mit, die Schüler kichern. „Das Lied kennt ihr nicht?“, wundert sich der 92-Jährige und will wissen: Was singt ihr denn so in der Schule?“ Die Schüler zucken mit den Schultern. Daraufhin stimmt der Senior „La-le-lu“ an. Das kennen alle. Die Zwölf- wie die 97-Jährigen. Nun wird gemeinsam gesungen.
Die Generationsbrücke Deutschland wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie dem Deutschen Caritasverband. Botschafter der Generationsbrücke ist Martin Schulz, Vorsitzender der SPD.