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WÜRZBURG/SCHWEINFURT
Beim Notruf zählt jede Minute
Joachim Neuland nimmt als Disponent in der Integrierten Leitstelle Würzburg zahlreiche Notrufe entgegen. Mit fünf Bildschirmen behält er den Überblick.
Foto: Denise Schiwon | Joachim Neuland nimmt als Disponent in der Integrierten Leitstelle Würzburg zahlreiche Notrufe entgegen. Mit fünf Bildschirmen behält er den Überblick.
Denise Schiwon
 und  Achim Muth
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:03 Uhr

Maximal zwölf Minuten – länger sollte ein Rettungsfahrzeug bis zum Einsatzort nicht brauchen. Recherchen des ARD-Magazins „Plusminus“ haben jedoch ergeben, dass die Rettungsdienste bundesweit in 40 Prozent der Fälle zu spät sind. Jährlich könnten 1000 Leben mehr gerettet werden, wenn sie rechtzeitig kämen. Aber wie sieht es in Unterfranken aus?

Drei Integrierte Leitstellen (ILS) decken den Bereich Unterfranken ab: Aschaffenburg, Schweinfurt und Würzburg. Sie koordinieren Rettungsdienst- und Feuerwehreinsätze und sind für den Katastrophenschutz zuständig. Über die Notrufnummer 112 landet der Anrufer in der jeweils zuständigen Leitstelle. So können die Einsatzkräfte von den Disponenten gezielt alarmiert werden.

Die sogenannte Hilfsfrist umfasst die reine Fahrzeit vom Ausrücken des Fahrzeugs bis zum Eintreffen vor Ort. Sie startet also nicht, sobald der Hörer in der ILS abgenommen wird. In Bayern beträgt sie zwölf Minuten. In 80 Prozent der Fälle sollte sie eingehalten werden. Ausgewertet werden die Daten aus Bayern vom Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) in München.

In Unterfranken wird die Hilfsfrist in mehr als 80 Prozent der Fälle eingehalten. Bei der Rettungswache Aschaffenburg, in Stadt und Landkreis Schweinfurt, im Landkreis Kitzingen und in der Stadt Würzburg sind es sogar mehr als 90 Prozent. Lediglich bei der ILS Aschaffenburg fallen Schöllkrippen (77,9 Prozent) und Weibersbrunn (65,2 Prozent) aus dem Rahmen, was an teils umständlichen Fahrwegen durch den Spessart liege.

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30 bis 40 Prozent sind keine Notfälle

An dem ARD-Beitrag sei Peter Sefrin (Würzburg), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte (AGBN), involviert gewesen, wie er sagt. Seine Einwände seien aber nicht gesendet worden, „weil sie wohl nicht ins Bild gepasst haben“. Er zweifelt die Zahlen nicht an, sagt aber, dass sie nichts über den Einzelfall aussagen. „In 30 bis 40 Prozent der Anrufe handelt es sich nämlich nicht um Notfälle“, so Sefrin, „sondern Befindlichkeitsstörungen“. Er meint Husten, Schnupfen, Heiserkeit, „zu solchen Fällen werden wir gerufen“. Der Experte hält die Versorgung in der Region Mainfranken auch wegen des guten Netzes an „First Respondern“, Ersthelfern, „für ein vorbildliches System“. In Bayern würden die zwölf Minuten Hilfsfrist in der Regel eingehalten, im Übrigen ermahnt Sefrin auch die Bevölkerung zur Mithilfe: Jeder sollte Erste Hilfe leisten können.

Auch für Thomas Schlereth, Leiter der ILS Schweinfurt, ist die Hilfsfrist keine Orientierung im Einzelfall. Sie diene als Planungsgröße für den Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF), um die „rettungsdienstliche Infrastruktur auf Bedarfsgerechtigkeit“ zu überprüfen. In den bayerischen Landkreisen sind die Retter in 87,8 Prozent der Fälle innerhalb von zwölf Minuten am Einsatzort. In den Städten sind es 96,9 Prozent. Dennoch weist Paul Justice darauf hin, dass die Werte nicht immer miteinander vergleichbar sind. „Die Wege in den Städten sind kürzer und die Dichte an Rettungsfahrzeugen ist höher“, erklärte der Geschäftsführer des Würzburger ZRF.

Im Zweifelsfall wird abgewogen

Schlechtes Wetter oder Straßensperrungen können der Grund dafür sein, wenn die Retter nicht innerhalb der Hilfsfrist am Ziel ankommen. Es kommt auch vor, dass zeitgleich in räumlicher Nähe Einsätze anstehen, aber die Rettungswache nur ein verfügbares Fahrzeug hat. In so einem Fall müsse abgewogen werden, erklärt Harald Rehmann, der Dienstellenleiter der ILS Würzburg: Herzinfarkt beispielsweise geht vor Beinfraktur.

Obwohl die Retter in Unterfranken oberhalb der 80-Prozent-Grenze liegen, wird die Arbeit der Leitstellen fortwährend überprüft, um die Qualität zu halten. Alle fünf Jahre führt das INM zusätzlich intensive Bedarfsanalysen im Freistaat durch. Seitdem die ILS Würzburg 2010 gegründet wurde, sind unter anderem in Uettingen und in Giebelstadt (beide Lkr. Würzburg) neue Rettungsstandorte entstanden.

Erreichungsgrad der Hilfsfrist

Die statistische Auswertung der Einsatzzahlen der Integrierten Leitstellen (ILS) in Bayern übernimmt das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement in München. Es folgen die Zahlen, in wie viel Prozent der Fälle die Hilfsfrist 2015 eingehalten wurde:

ILS Aschaffenburg

Rettungswache Alzenau: 89,8 %

Rettungswache Aschaffenburg: 90,9 %

Rettungswache Miltenberg: 84,4 %

Rettungswache Obernburg: 82,6 %

Rettungswache Schöllkrippen: 77,9 %

Rettungswache Südspessart: 83,9 %

Rettungswache Weibersbrunn: 65,2 %

ILS Schweinfurt

Landkreis Bad Kissingen: 83,7 %

Landkreis Haßberge: 85 %

Landkreis Rhön-Grabfeld: 88,5 %

Stadt/Landkreis Schweinfurt: 90,3%

ILS Würzburg

Landkreis Kitzingen: 91,4 %

Landkreis Main-Spessart: 87,5 %

Stadt Würzburg: 95, 8%

Landkreis Würzburg: 86,5 %

 
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  • K. K.
    Leider musste ich letztes Jahr die Notrufdienste für die Versorgung meiner Tochter sehr oft in Anspruch nehmen. In den meisten Fällen bin ich für die schnelle Hilfe dankbar gewesen (immer kam dann auch der Notarzt, wenn er nicht schon gleich im RTW dabei war, und veranlasste die schnellstmögliche Verbringung in die Notaufnahme). Allerdings kam es auch zu erheblichen Fehleinschätzungen seitens der Disponenten. Im schlimmsten Fall wurde mir mehrfach zugesagt, der Notarzt sei unterwegs und werde in wenigen Minuten eintreffen. Gekommen ist dann nach weit mehr als einer Stunde ein RTW (ohne Signalgebung). Die Besatzung veranlasste dann das Kommen eines Notarztes, welcher dann die sofortige Verbringung in die NA anordnete. Während dieser Wartezeit schrie meine Tochter unaufhörlich vor Schmerzen. Die Konzequenz daraus war, dass ich mich bei "Insidern" schlau machte, was ich bei den Folgealarmierungen sagen sollte, dass es auf jeden Fall schnell geht. Das funktionierte dann auch immer.
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