Während in diesen Tagen in der britischen Hauptstadt London die Menschen Schlange stehen, um von Queen Elizabeth II. Abschied zu nehmen, sitzt Horst Schraut in seiner Wohnung im Würzburger Stadtteil Versbach und blättert im Fotoalbum. Schwarzweißfotos wecken in ihm die Erinnerung an den August des Jahres 1957. Denn damals machte Schraut nicht nur seine erste große Auslandsreise, er traf auch die junge Königin, die erst seit fünf Jahren auf dem Thron saß.
In England trafen sich 35.000 Pfadfinder aus 84 Ländern
Heinz Schraut war 1957 ein Teenager, 18 Jahre alt. Und er war begeisterter Pfadfinder im Stamm "Graf Folke Bernadotte" der Pfarrei Hl. Kreuz Würzburg. Gemeinsam mit neun weiteren Würzburger Pfadfindern begann für ihn am 1. August ein großes Abenteuer: zwei Wochen England! Die Würzburger nahmen damals mit 2000 anderen Jugendlichen aus Deutschland an einem internationalen Pfadfindertreffen teil, einem sogenannten "Jamboree" nahe der Stadt Sutton Coldfield bei Birmingham. 35.000 Pfadfinder aus 84 Ländern kamen dort zusammen.
Bald nach der Ankunft sind Horst Schraut und seine Freunde von Pfadfindern aus Dänemark zum Lagerfeuer eingeladen. "Dort haben wir erfahren, dass ein Besuch der englischen Königin angesagt ist", erinnert er sich 65 Jahre später. "Als wir von unseren Führungsleuten am nächsten Tag die Nachricht erhielten, dass die Königin dem deutschen Camp einen Besuch abstatten möchte, haben wir das erstmal für einen Scherz gehalten."
Das Eingangstor wird mit den Wappen von Würzburg und Schweinfurt verziert
Aber die Nachricht stimmt. "Bald darauf tauchten Sicherheitsbeamte des Königlichen Hofes auf und gaben genaue Anweisungen, wie der Weg der Königin gestaltet sein muss", berichtet Schraut. "Da wurde uns bewusst, welch großes Ereignis uns erwartet und welche Ehre uns zuteil wird."
Horst Schraut und seine Freunde sind jedenfalls wie elektrisiert. Sie bauen einen kleine Holzbrücke über einem Graben vor dem Zeltplatz, die sie mit dem Schild "Queen's Bridge" versehen. Aus Ästen und Holzstangen gestalten sie ein Eingangstor, das sie mit den Stadtwappen von Würzburg und Schweinfurt verzieren.
Dann kommt der große Tag. "Wir standen erwartungsvoll in Reih und Glied am Eingang unseres Camps. Zuerst sahen wir eine Menge Kameraleute, gefolgt von strengen Bodyguards, bis sich der hohe Besuch in langsamen Schritten auf uns zubewegte", erinnert sich Schraut. "Mit leicht lächelndem Gesicht schritt sie an uns vorbei, und mehr gehaucht als gesprochen hörte ich ihren Ausspruch 'Very nice, very nice!'."
Im vorgeschriebenem Abstand folgt Prinz Philip, "die Hände in der Jackentasche", der sich dann mit einem Mitglied der Pfadfindersippe unterhält. Der Jugendliche aus Würzburg erinnert den Herzog von Edinburgh an eine ganz besondere Verbindung zwischen Franken und dem Königshaus: Zur Krönungsfeier der Queen 1953 gab es einen Riesling aus dem Würzburger Juliusspital. "Der Herzog äußerte sich dann aber vor allem begeistert über unseren imposanten Lagerturm, einen Aufstieg lehnte er allerdings ab." Wenig später fährt das Königspaar mit dem Geländewagen wieder davon.
Horst Schraut hat während des gesamten königlichen Besuchs seine Agfa Silette in der Hand, eine Kleinbildkamera. "Ich nutzte jede Gelegenheit, um die Szenerie mit meiner Kamera festzuhalten", erinnert sich Schraut, der sein Arbeitsleben später bei Koenig & Bauer verbracht hat. Die fotografischen Erinnerungen an die zwei Wochen im August 1957 und den Besuch der Queen hat er sorgfältig aufbewahrt: "Für mich war es das größte Ereignis, das ich in meiner Pfadfinderzeit erlebt habe."