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WÜRZBURG/MÜNCHEN
Bayern ändert Notenschutz für Legastheniker
Illustration - Stichwort: Legasthenie       -  ILLUSTRATION - Der Schriftzug 'Legastänie' anstatt der richtigen Schreibweise 'Legasthenie' liegt auf einem Tisch zwischen weiteren Scrabble-Buchstaben, aufgenommen am 30.07.2009 in Berlin. Manche Leute haben eine Lese-Schreib-Schwäche. Der Grund dafür kann sein, dass sie Legastheniker sind. Legastheniker  haben zwar ziemliche Probleme mit dem Lesen und Schreiben. Alles andere kann ein Legastheniker aber meist wie jeder andere. Er hat also keine Probleme, Dinge zu verstehen. Foto: Soeren Stache ACHTUNG Nur für Bezieher des Dienstes dpa-Nachrichten für Kinder +++(c) dpa - Nachrichten für Kinder+++
Foto: Sören Stache (dpa-Zentralbild) | ILLUSTRATION - Der Schriftzug "Legastänie" anstatt der richtigen Schreibweise "Legasthenie" liegt auf einem Tisch zwischen weiteren Scrabble-Buchstaben, aufgenommen am 30.07.2009 in Berlin.
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 24.04.2016 03:26 Uhr

Bayerns Kultusministerium will zum Schuljahresbeginn den seit 1999 geltenden Legasthenie-Erlass kippen. Der Erlass soll durch eine „Kann“-Bestimmung ersetzt werden. Dies geht aus Änderungsvorlagen der Bayerischen Schulordnung hervor, die dieser Redaktion vorliegen.

Während das Kultusministerium nach eigenen Angaben die Zahl der Legastheniker unter Bayerns Schülern grundsätzlich nicht erfasst, geht der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) von vier Prozent Schülern mit Legasthenie und zusätzlich acht Prozent Schülern mit Lese-Rechtschreibschwäche aus. Bei über 1,2 Millionen Schülern in Bayern hätten nach Einschätzung des BLLV demnach rund 144 000 bayerische Schüler Probleme mit dem Rechtschreibverständnis.

Laut der Würzburger Vorsitzenden des Bundesverbands für Legasthenie- und Dyskalkulie, Christine Sczygiel, hat der bisherige Legasthenie-Erlass gewährleistet, dass Kinder mit diagnostizierter Legasthenie das Recht auf Nachteilsausgleich hatten, also etwa in Prüfungen mehr Zeit beanspruchen durften oder Hilfsmittel wie einen Laptop nutzen konnten.

„Rückschritte“ befürchtet

Vor allem aber galt bisher der sogenannte Notenschutz. Er stellte sicher, dass die Rechtschreibleistung von Legasthenikern aus der Fachnote herausgerechnet werden musste – und zwar nicht nur in Deutsch, sondern auch in anderen Fächern wie Englisch oder Geschichte, in denen es um die Erfassung und Produktion von Texten ging.

Nach den Plänen des Kultusministeriums werde der Notenschutz künftig nicht mehr grundsätzlich bei diagnostizierten Legasthenikern gelten, sondern nur noch als „Kann“-Bestimmung angewandt, so Sczgiel, deren Verband eine Stellungnahme zur Änderung des Legasthenie-Erlasses abgegeben hat. „Das bedeutet, dass künftig nicht eine Diagnose entscheidet, ob ein Kind Notenschutz bekommt, sondern der Schulleiter.“ Sczygiel befürchtet dadurch „Rückschritte im Umgang mit Legasthenikern“.

Weiter halte sie es für problematisch, so Sczygiel, dass nach Plänen des Ministeriums künftig auch Schulpsychologen Legasthenie diagnostizieren sollten und nicht nur, wie bisher, Kinder- und Jugendpsychiater. „Die Vorlage einer schulpsychologischen Stellungnahme ist erforderlich“, schreibt dazu das Kultusministerium. Dies sei aber bisher auch schon der Fall gewesen.

Sollten Bayerns Schulpsychologen durch die Änderung des Erlasses mehr Arbeit bekommen, hielte BLLV-Präsidentin Fleischmann dies für falsch. Die Arbeitsbelastung von Bayerns Schulpsychologen sei schon jetzt extrem hoch. Fleischmann wundert sich, dass das Kultusministerium immerzu an „Stellschrauben drehen“ müsse, auch wenn etwas gerade funktioniere.

Durch den neuen „Kann“-Erlass sieht Fleischmann „noch mehr Arbeit als bisher“ auf Bayerns Schulleiter zukommen, die ohnehin schon mit Pflichten überfrachtet seien. „Notenschutz missbraucht“ Gleichzeitig betont Fleischmann, dass sie keine hundertprozentige Anhängerin des bisherigen Legasthenie-Erlasses sei. Der Erlass sei von Eltern manchmal missbraucht worden, sagt sie. Sie erinnere sich an Eltern, die, um dem Kind den Weg auf eine weiterführende Schule zu ebnen, auf Biegen und Brechen eine passende Diagnose beigebracht hätten. Grundsätzlich aber ist Fleischmann für klare Vorschriften.

„Kann“- Erlasse belasten

Gebe es keine klaren Vorgaben, müssten Schulleiter und Lehrer Eltern gegenüber sich dauernd rechtfertigen, warum ein Kind Notenschutz bekomme und ein anderes nicht. Das Kultusministerium hält die Kritik der beiden Verbände an der Änderung des Erlasses für unberechtigt. Es sei „keineswegs geplant, dem Schulleiter ein Ermessen darüber einzuräumen, ob Notenschutz gewährt werde“, so ein Sprecher. Gleichzeitig aber bestätigt das Kultusministerium dieser Redaktion in einem Schreiben ausdrücklich, dass künftig „kein Notenschutz von Amts wegen gewährt“ werden soll.

„In diesem Sinne „kann“ er gewährt werden“, heißt es. Eine der Voraussetzungen für Notenschutz sei „ein Antrag des Schülers beziehungsweise des Erziehungsberechtigten“. Laut Ministerium ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juli 2015 ursächlich für die Änderung. Das Gericht habe geurteilt, dass das Gebot der Chancengleichheit Anspruch auf Nachteilsausgleich, nicht jedoch auf Notenschutz gewähre.

 
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  • G. W.
    …dürfen wir hier in unserem Engagement als Eltern nicht nachlassen. In dem Artikel http://ow.ly/4mZWaK dieser Zeitung zum gleichen Thema wird beschrieben, wie die Lage der Legastheniker in Italien ist. Da kommt mir gleich in den Sinn, wie Kultusbürokraten reagieren könnten. Wenn schon die Nachfahren der alten Römer die Legasthenie nicht als Aufgabe wahrnehmen, dann können wir uns auch entspannt zurücklegen. Damit ist vielleicht zu erklären, warum wir jahrelang um eine ordentliche Regelung für die Legastheniker in den Kultusministerien kämpfen müssen. Zurücklegen? Mitnichten!! Aktuell hat das Bundesverwaltungsgericht die Bundesländer aufgefordert, endlich per Gesetz den Notenschutz für Legastheniker zu regeln. Damit nicht wieder alles untergeht, müssen die Eltern sich engagieren, um hier über die jeweiligen Abgeordneten Druck aufzubauen. Auf die schwerfälligen Verbände sollte man nicht warten. WIR Eltern sind gefordert.
    Gustav Wehner http://ow.ly/4mZX3d
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  • G. W.
    Das Argument des Missbrauches –wie in dem Artikel erwähnt – erledigt sich von selbst, wenn wir die Qualität in der Bewertung einführen. In Niedersachsen beispielsweise können Lehrer darüber entscheiden. Wie denn, wenn sie in ihrem Studium dafür das Handwerkszeug nicht bekommen haben und nicht einmal den Unterschied zwischen Rechtschreibschwäche und Legasthenie kennen. Beides braucht seine Therapien, aber vollkommen verschiedene. Dem Legastheniker mit den falschen Hilfsansätzen zu kommen verschlimmert das Leiden des Kindes. Aber das muss man erst einmal wissen. Und die Schulverwaltung ist bezüglich der Forschungsergebnisse ziemlich beratungsresistent.
    In allen Bundesländern sind die Legasthenieverbände aufgefordert angesichts des Urteils aus Leipzig Druck auf die Kultusministerien aufzubauen, damit es zu den vom Gericht geforderten Gesetzen kommt. Wir dürfen die Chance nicht verpassen.
    http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2015&nr=64
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  • G. W.
    Das Gericht hat gesagt, dass es bei einer Änderung der Bewertung durch den Notenschutz einer gesetzlichen Grundlage bedürfe, da dies in die Grundrechte von Schülern, sowohl der Behinderten als auch der Nichtbehinderten, eingreife. Und dieses Gesetz muss her, das bedeutet Arbeit. Wir brauchen in der Beurteilung der Legasthenie eine bessere Qualität, da sich die Legasthenie im Gegensatz zur Rechtschreibschwäche über den Abstand von allgemeiner Intelligenz des Schülers zu seinen Rechtschreibschwierigkeiten definiert. Mit ein Grund, warum wir unter den Legasthenikern einen höheren Anteil von begabten Schülern finden. Der Legastheniker braucht den Notenschutz, um seine PS auf die Straße bringen zu können und nicht als Falschschreiber für dumm und unfähig gehalten zu werden. Siehe hierzu www.notenschutzfuerschuelermitlegasthenie.wordpress.com Als rohstoffarmes Land brauchen wir jeden guten Schüler. Da können wir nicht wegen Trägheit der Verwaltung gute Leute auf der Strecke verrecken lassen.
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