
Zufrieden füllt Barbara Stamm die Cent-Münzen in das Döschen auf dem Tisch. Mit dem Eichel-Unter hat sie den entscheidenden Stich gemacht und ihr Grün-Solo gewonnen. Dreimal 70 Cent sind der Gewinn, die Mitspieler zahlen brav. "Da kann ich meinem Mann einen Tee ausgeben", lacht die ehemalige Landtagspräsidentin. An diesem Sonntag trifft sich Stamms Freundeskreis bei Familie Schlereth in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) zum Essen, Plaudern – und zum Schafkopf. Am Dienstag, 29.Oktober, feiert Barbara Stamm ihren 75. Geburtstag.
Vor einem Jahr ist die frühere Sozialministerin, stellvertretende Ministerpräsidentin und langjährige Parlamentspräsidentin aus dem Landtag ausgeschieden. Jener 18. Oktober 2018 war ein bitterer Tag für Barbara Stamm. Bis zuletzt hatte sie auf die Fortsetzung ihrer politischen Karriere gehofft. Aber die Wähler im Freistaat wollten es anders. Nach 42 Jahren war Schluss.
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Schluss? "Die Barbara kann doch gar nicht ohne Politik", sagt Peter Brand, einer der zwölf Freundinnen und Freunde, die hier zusammensitzen. "Es ist schon weniger geworden", wendet die "Frau Präsidentin" ein, wie sie hier in der Runde immer noch in einer Mischung aus Respekt und Augenzwinkern genannt wird. Barbara Stamm liest aus dem Terminkalender vor: Fest der Demokratie in Memmingen, Pflege-Stammtisch in Würzburg, Volkshochschul-Treffen in Regensburg, Gespräch mit Kultusminister Michael Piazolo in München ("es geht um Kolping"), Special Olympics in Berchtesgaden, Frauenbund-Jubiläum in Kemnath, Blaskapelle-Jubiläum bei den Lebenshilfe-Werkstätten in Haßfurt, Landfrauentag in Traunstein, Orgelherbst in München... Stamm ist auch ohne politisches Amt gefragt als Schirmherrin, als Landesvorsitzende der Lebenshilfe, als Präsidentin des Volkshochschulverbandes, als bestens vernetzte Lobbyistin in sozialen Fragen von der Pflege bis zur Behindertenhilfe. Der Ehrentitel "Das soziale Gewissen der CSU" verpflichtet.

"Statt 80 hat die Arbeitswoche seiner Frau jetzt nur noch 60 Stunden", habe Ludwig Stamm neulich im Freundeskreis festgestellt, berichtet Peter Brand. Der Ehemann kann diesmal nicht dabei sein, er ist auf Reha. Barbara Stamm winkt ab. "Nein, ganz so viele Stunden sind es gar nicht. Und vor allem mache ich nur noch Termine, die mir Spaß machen." Insofern sei ihr das Loslassen nach 42 Jahren mit all den herausgehobenen Ämtern doch "leichter gefallen als gedacht".
Barbara Stamm: "Bei uns ist der Opa auch die Oma"
Wobei loslassen relativ ist. Das Präsidium des Bayerischen Landtags unter ihrer Nachfolgerin Ilse Aigner (CSU) hat über die Parteigrenzen hinweg beschlossen, ihr für ihre Ehrenämter weiterhin ein Büro in München und einen Dienstwagen mit Fahrer zur Verfügung zu stellen. Spielen mit den Enkelkindern ist jedenfalls keine wirkliche Alternative für die siebenfache Großmutter. Neulich, erzählt sie, habe sie sich mal mit ihrer 16-jährigen Enkelin in München getroffen, ansonsten aber gelte weiterhin: "Bei uns ist der Opa auch die Oma."

Am Kart-Tisch läuft es derweil nicht so gut. "Roswitha, ich bin verärgert", raunt Stamm ihrer Mitspielerin zu. Roswitha Hollerbach hat leider nicht den erhofften Trumpf in Händen, dieses Spiel geht für die beiden Damen verloren. "Einmal gedoppelt, macht zehn Cent, Frau Präsidentin", besteht Clemens Bieber, der Domkapitular und mit 62 Jahren Jüngste in der Kartrunde, auf die Begleichung der Spielschulden. "Gibt es halt beim nächsten Mal weniger im Klingelbeutel", scherzt Stamm. Wenn sie spielt, berichten die Freunde, "will die Barbara auch gewinnen". Das war in der Politik nicht anders.
"Oberbürgermeisterin war mein Lebensziel"
Umso schmerzhafter waren die Niederlagen und Verletzungen, die es in der langen Karriere der Barbara Stamm auch gab. Als Edmund Stoiber sie 2001 in der BSE-Krise zum Rücktritt zwang, als Parteifreunde 2008 ihre Krebserkrankung an die Münchner Boulevardmedien durchstachen, um ihrer weiteren Laufbahn zu schaden. Und 1990 schon, als sie – damals 45 Jahre jung – bei der Kommunalwahl in ihrer Heimatstadt krachend scheiterte. "Oberbürgermeisterin von Würzburg, das war eigentlich mein Lebensziel", bekannte sie etwas überraschend vor einem Jahr in einem Interview mit dieser Redaktion, in dem sie ihre Karriere bilanzierte. Auf lokaler Ebene sei man einfach am nächsten dran an den Menschen, "da wirken sich Entscheidungen sehr schnell und sehr konkret aus". Dass sie mit der Idee geliebäugelt hat, im kommenden März bei der Kommunalwahl noch einmal – "vielleicht auf Listenplatz 50" – für den Stadtrat zu kandidieren, verhehlt Stamm gar nicht. Nachdem sie der Stadtrat im Mai zur Ehrenbürgerin von Würzburg ernannte, gab sie den Gedanken aber auf.
Warum Stamm die privaten Freundschaften pflegt
Die Frage, ob Barbara Stamm, wenn ihr politisch der Wind ins Gesicht blies, ganz besonders die Nähe ihres privaten Umfelds suchte, stößt im Kreis der Freunde fast auf Unverständnis. "Die Barbara war für uns immer die Barbara – egal wie es in der Politik lief", betont Ursula Koch. Man kenne sich schließlich seit mehr als 35 Jahren. "Wir schätzen den Menschen Barbara Stamm", ergänzt Walter Hollerbach. "Bei aller Anerkennung für den Lebensweg, den sie trotz der schwierigen Verhältnissen in der Kindheit gegangen ist: Die Karriere, die Ämter, die spielen bei uns keine Rolle."
Stamm weiß das zu schätzen. Gerade wenn es einem, egal ob politisch oder privat, nicht so gut gehe, merke man, "wer die wahren Freunde sind", sagt sie. Diese Solidarität habe ihr Bewusstsein geschärft, "die privaten Freundschaften auch zu pflegen". So sei es ihr immer ein Anliegen gewesen, bei aller Terminflut Platz für die Schafkopf- und Schoppen-Runden, für die gemeinsamen Kulturreisen und die Kreuzfahrten mit den Freunden freizuschaufeln. "Nur wenn der Ministerpräsident rief, hat sie auch mal einen Termin mit uns abgesagt", sagt Peter Brand.
Und welche Rolle spielt die Politik im Freundeskreis? "Ja klar, diskutieren wir über viele Entscheidungen, über Söder, Merz und AKK." Richtig kontrovers sei es auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise zugegangen, verrät Peter Brand. Dass Barbara Stamm lange mit dem restriktiven Kurs von Horst Seehofer und Markus Söder haderte, ringe ihm Respekt ab. Er selbst sei da eher bei Seehofer gewesen, so Brand. Minuten später ist dann auch die Tagespolitik am Kart-Tisch präsent. Stamm hat von Forderungen aus der Jungen Union gelesen, CDU und CSU wieder wirtschaftsfreundlicher auszurichten. Und erteilt diesen Plänen eine Absage: "Volkspartei zu sein, bedeutet mehr." Ob ihr Rat denn bei den Parteioberen in München noch gefragt ist? Stamm winkt ab.

Viele Freunde am Tisch sind selbst CSU-Mitglieder. Allerdings ist da auch noch Bernhard Schlereth. Der Ehrenpräsident des Fastnacht-Verbandes Franken ist seit Urzeiten Gemeinde- und Kreisrat für die SPD. "In diesen Zeiten hat er unser Mitleid", schmunzelt Peter Brand. "Nein, den Niedergang der SPD kann niemand wollen", ergänzt Stamm ein wenig staatstragend. Schlereth nimmt die Situation mit Humor: "Nur beim Schafkopf machen sie mich ab und an schwarz."
Womit wir zurück beim Karten sind. Barbara Stamm hat schon wieder ein Solo gewonnen. "Ist das gerecht?", fragt Mitspieler Brand. "Was ist gerecht? Das frage ich mich schon mein ganzes Leben", antwortet Stamm philosophisch. Und kassiert diesmal 1,80 Euro ein. Wenigstens gehen ihr in der anschließenden Kreuz-Runde die Ober aus. "War wohl nichts, Frau Präsidentin", stichelt Bieber. Gerechtigkeit ist halt immer eine Frage des Standpunkts. Wenigstens beim Schafkopf.
Lebenslinien - dieses mal geht´s um Barbara Stamm
Ich hab´s mir schon auf Mediathek angeschaut - sehenswert!!!