Das Paradies befindet sich nahe bei Ebern, in einem ruhigen Seitental der Haßberge. Für den Judaisten Professor Stefan Rohrbacher vermittelt es nicht nur einen „außergewöhnlich harmonischen und geschlossenen Eindruck“, sondern das Flurstück „Paradies“ beherbergt auch einen der größten und wichtigsten Friedhöfe des fränkischen Landjudentums. Er hat für beinahe 300 Jahre bis zu seiner Schließung 1912 den jüdischen Gemeinden im weiteren Umkreis als Begräbnisstätte gedient.
Um die „Zeugnisse einer verlorenen, vernichteten Lebenswelt“ der Gefahr des Vergessenwerdens zu entreißen, haben Rohrbacher und Studenten des Instituts für Jüdische Studien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf seit Frühjahr 2008 die mehr als 1000 Grabsteine, die noch heute weitgehend unzerstört auf Wiesen und zwischen mächtigen Bäumen zu finden sind, erforscht.
Während mehrerer Exkursionen in den Semesterferien haben sie diese gereinigt, fotografiert, schriftlich dokumentiert und anschließend die Inschriften entziffert. Das Ergebnis zeigt die Ausstellung „Die Steine auf dem Paradies. Zeugen jüdischen Lebens im ländlichen Franken“ im Johanna-Stahl-Zentrum im Museum Shalom Europa.
Der 1633 im Dreißigjährigen Krieg, als weite Landstriche entvölkert waren, angelegte Friedhof diente als Verbandsfriedhof mindestens zehn jüdischen Gemeinden als Begräbnisstätte. Als „zentraler Nervenknoten jüdischen Lebens“ trug er laut Rohrbacher dazu bei, dass sich eine eigene Identität des fränkischen Landjudentums entwickeln konnte.
Weitgehend ohne Ornamente
Die meisten Grabsteine in Ebern sind gemäß den strengen Gestaltungsvorschriften des Judentums schlicht und weitgehend ornamentfrei gehalten. Die Inschriften sind größtenteils formelhaft. So verweist die Schlussformel „Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des ewigen Lebens“ auf den Glauben an die Auferstehung. Es gibt aber auch Wendungen, die mit Sorgfalt gewählt und auf die Lebensumstände des Toten bezogen sind. Versteht man sie zu entziffern und zu deuten, so geben sie über Hoffnungen und Glauben der Menschen Auskunft.
So lassen Grabsteine für Zuwanderer um 1650 aus einem völlig anderen Umfeld, aus Wolhynien und der Ukraine, vermuten, dass sie das orthodoxe Denken in Franken stärkten. Einer von ihnen wurde gar Rabbi des „Landes Grabfeld“. Dass dennoch Abweichungen von dem Schlichtheitsgebot möglich waren, zeigen Grabsteine aus dem Barock.
Auf einem Stein ist ein Sabbatleuchter neben einer Putte abgebildet, ein anderer zeigt humorvoll Löwenfiguren, die auf den Namen des 1724 verstorbenen Juda Löb, Sohn des Abraham, anspielen.
Das nur wenige Tage nacheinander 1834 verstorbene Ehepaar Moses und Brunhild Morgenthau hat gar einen aufwendigen Doppelgrabstein bekommen. Moses Morgenthau war Lehrer und Vorbeter in verschiedenen jüdischen Gemeinden Frankens und Hessens, bis er 1825 als „Ausländer“ mit seiner Frau und sechs kleinen Kindern aus dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt ausgewiesen wurde. Auch in Franken ging es der Familie zunächst nicht viel besser. Die Eltern mussten ihre Kinder auf Wanderschaft schicken, um mit Singen Geld zu verdienen.
Vorsänger und Schächter
Gegen einen bescheidenen Lohn arbeitete Moses schließlich als Vorsänger und Schächter. Erst später gelangte die Familie zu Wohlstand: der umstrittene amerikanische Finanzminister gegen Endes des Zweiten Weltkriegs Henry Morgenthau ist der Urenkel von Moses und Brunhild.
Neben einem umfangreichen Begleitheft informiert ein „virtueller Rundgang“ am Computer über die Grabsteine.
Die Ausstellung in der Valentin-Becker-Straße 11 ist bis 5. September Montag bis Donnerstag von 10 bis 16 Uhr und am Freitag von 10 bis 14 Uhr sowie auf Anfrage (Tel. 09 31 - 2 60 20 82) geöffnet.