
Der Ausstellungstitel "Jeder Stein ist ein Gebirge" stellt den Mikrokosmos als Makrokosmos dar, das ist ein wichtiger Gedanke in Wissenschaft und Mystik. Die Besuchenden der BBK-Galerie müssen sich aber nicht vor super-intellektueller Kunst fürchten. Ganz im Gegenteil: Ein zentrales Phänomen der Bilder von Lisa Becker ist die Berührung. Es geht ihr um unmittelbare Sinnlichkeit und deren Auswirkungen. Die werden zugegebenermaßen mitunter erst in Jahrmillionen sinnlich erfahrbar.
Beckers Bildgegenstände umspannen das ganz Nahe und die kosmische Ferne. Bei der Vorbesichtigung ihrer Zusammenstellung neuester Werke erzählte die Künstlerin aus dem Spessart aber schlicht, dass sie gern klettert. Dabei kann der Mensch alles erleben: Gebirge, Stein, Berührung und, ja, auch Angst. Womit nicht die Furcht vorm Herunterfallen gemeint ist.
Nächstes Projekt: Seelenlandschaften
Wer nach dieser Kurzeinführung auf das Plakatmotiv schaut, wird von der Ausstellung überrascht sein. Die ist nämlich viel farbiger, als es das Thema Gestein erwarten lässt. Und weniger kantig. Wenn man hier von organischen Formen spricht, dann durchaus buchstäblich im Sinne von Milz und Leber. So könnte es in den Bäuchen der surrealistischen Figuren von Yves Tanguy aussehen. Der Kunstfreund betritt das Innere des menschlichen Wesens. Zurzeit wende sie sich hingegen landschaftlichen Strukturen zu, sagt Lisa Becker. Wahrscheinlich wird ihre nächste Werkphase Seelenlandschaften zeigen.
Ein wiederkehrendes Element gibt hier und dort Halt, nämlich krallenartige umklammernde Formen, von denen nicht immer klar ist, ob sie sich an etwas Fremdem festgreifen, ob sie ein eigenes Organ sichern oder ob sie Teile eines Skeletts sind. Tatsächlich geschieht auf Beckers Leinwänden etwas, denn da ist Handlung drin. Das Titelmotiv spielt dabei kräftig mit, es geht um Stein und Zeit, um Spuren, die die Berührungen von Wind, Eis, Wasser und Sonnenstrahlen dem Mineral eintrugen.
Zersetzung eines Steins
Ein Werk markiert scheinbar entgegengesetzte Pole dieser Erosion. An der (von der Tür aus gesehen) rechten Wand hängt ein Gemälde über pflanzliches Leben, das im Kontext von "Jeder Stein" allerdings unwillkürlich an dessen künftige Versteinerung denken lässt. Die Blattrippen haben eine Entsprechung in den Linien auf vier Keramikplatten; hier hat die Absolventin der Wiener Universität für angewandte Kunst geäderte Steine fotografiert, die Maserung auf Linoleum übertragen, dort ausgestochen, Ton in die Rillen gepresst und die Platten gebrannt. Gut zu wissen, dass so viel weiche Materialien an diesem Prozess beteiligt waren. Da denkt man doch gern ein paar zigtausend Jahre weiter, in denen der Stein zersetzt wird und zu einem fruchtbaren Boden beiträgt.
Die Ausstellung ist noch bis 28. Juli zu sehen. Öffnungszeiten: Freitag und Samstag 15 bis 18 Uhr, Sonntag 11 bis 18 Uhr.