Während in München der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sein Raumfahrtprogramm „Bavaria One“ vorstellte und danach viel Häme abbekam für ein riesiges Logo mit seinem Konterfei, hielt der Würzburger Informatikprofessor Klaus Schilling in Bremen gerade eine Vortrag über Pico-Satelliten – auf dem „International Astronautical Congress“. Die Nachricht über den Kabinettsbeschluss freute Schilling: „Er eröffnet auch dem Zentrum für Telematik in Würzburg spannende Perspektiven“.
Das Riesenlogo mit dem Ministerpräsidenten hat ja eher für Spott gesorgt. Mal im Ernst: Schadet so ein Satire-Logo nicht?
Prof. Klaus Schilling: Da wäre wohl eher eine andere Fachdisziplin zu fragen, zum Beispiel PR-Berater.
Warum braucht es eine bayerische Raumfahrt-Strategie?
Schilling: Die Luft- und Raumfahrt beschäftigt in Bayern etwa 60 000 Menschen und hat einen jährlichen Umsatz von circa sieben Milliarden Euro. Eine gute Ausgangsbasis, beim internationalen Wettbewerb um zukunftsorientierte Arbeitsplätze hier weltweit mitzuspielen. Die Raumfahrt stellt uns vor anspruchsvolle Aufgaben, die auch zu wirtschaftlich interessanten Lösungen in ganz anderen Anwendungsbereichen führen. Von einer Expertengruppe ist koordiniert vom Fachclusters ,BavAiria‘ schon in den letzten beiden Jahren eine ausführliche Raumfahrt-Strategie erarbeitet worden, die sich hier nun verkürzt in ,Bavaria One‘ widerspiegelt.
Mehr als 700 Millionen Euro für „Bavaria One“ – was rechtfertigt die hohe Summe? Ist Weltraumforschung grundsätzlich so teuer?
Schilling: In Relation zu den bereits heute erzielten Umsätzen im Luft- und Raumfahrtsektor ist diese Summe – über zehn Jahre verteilt – sicher nicht zu üppig und wäre sicher noch durch Programme auf Bundesebene zu ergänzen. Aber es ist natürlich weitsichtig, dass Bayern hier als erstes Bundesland die Standards setzt und so versucht, weiter an der Spitze zu bleiben.
Was sehen Sie als das Wichtigste an? Was muss vorrangig entwickelt werden?
Schilling: Im Hochlohnland Deutschland haben wir in der Vergangenheit immer mit zukunftsorientierter Technik guten Erfolg gehabt, die nicht jeder der weltweiten Konkurrenten einfach billiger kopieren kann. Beim ,Zentrum für Telematik‘ halten wir vernetzte Systeme in Kombination mit Miniaturisierungstechnik und Automatisierungstechnik für besonders aussichtsreich. Dies ist wesentlich für Weiterentwicklungen in der Mobilität, zum Beispiel künftige selbstfahrende sichere Autos, und in der Produktion. Kleinst-Satelliten sind ein spannendes Beispiel, am ZfT entwickeln wir dafür ganz konkrete Lösungen: Mit der Miniaturisierung geht eine höhere Störanfälligkeit einher, die gleichen wir durch intelligente Software wieder aus. Dieses Prinzip lässt sich dann auch auf die moderne Fabrikautomatisierung in der ,Industrie 4.0‘ übertragen.
Aus der Raumfahrt in die Fabrik?
Schilling: Genau, die Fernsteuermethoden der Raumfahrt zum Beispiel führen zu Fernwartungsmethoden der industriellen Produktion. Im Programm ,Bayern Digital‘ arbeitet das ZfT mit zahlreichen Firmen in unserer Region zusammen, um sie mit fortgeschrittenen Robotik- und Automatisierungstechniken in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Insofern wird hier durchaus das Prinzip ,aus der Raumfahrt in die Fabrik‘ schon intensiv umgesetzt.
Es gibt genug irdische Probleme. Wie und wo kann ihnen aus dem All durch Weltraumprojekte geholfen werden?
Schilling: Wollen Sie ernsthaft auf Ihr Navigationssystem im Auto oder auf die weltumspannenden Telekommunikationsnetze verzichten? Viele der Techniken, die unseren Alltag erleichtern oder in der Medizintechnik zum Wohle der Menschen eingesetzt werden, haben ihren Ursprung in der Raumfahrt. Wenn man an Naturkatastrophen wie Erdbeben und Tsunamis denkt, könnte man ohne die Raumfahrt niemals so schnell einen Überblick über die Lage bekommen und geeignete Hilfe auf den Weg bringen. Und die dramatischen globalen Klimaveränderungen wären uns ohne die Messungen der Satelliten vermutlich noch gar nicht so bewusst geworden. Die Klimavorhersagemodelle basieren ganz wesentlich auf den globalen Messdaten, die so nur durch Raumfahrt gewonnen werden können. Kurz: viele irdischen Probleme, ob im Kleinen oder im Großen, können wir durch Raumfahrtinformationen erheblich besser und fundierter lösen.
„BavariaOne“ sei darauf aus, „dass wir durch Beobachtung aus dem Weltall Lösungen für bayerische und auch ganz praktische Probleme entwickeln können“, sagt Markus Söder. Welche bayerischen Probleme können das sein?
Schilling: Bayern ist ja ein Flächenland, da muss den Bürgern ja auch außerhalb der dicht bevölkerten Städte entsprechende Infrastruktur und Informationen zur Verfügung gestellt werden. Mit Satelliten werden am kostengünstigsten großflächig Messdaten erfasst, ob dies nun Umweltverschmutzung, den Verkehrsfluss oder landwirtschaftliche Nutzung betrifft.
Früher gab es die riesigen Weltraummissionen, groß und international angelegt. Macht da eine regionale Strategie „Bavaria One“ Sinn?
Schilling: Diese Großmissionen zum besseren Verständnis unseres Heimatplaneten und seiner Weltraumumgebung sind weiterhin nötig. Aber da muss auch anerkannt werden, dass es früher schon gelungen ist, Zentren der nationalen und europäischen Raumfahrtagenturen DLR und ESA nach Bayern zu holen und so hochqualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen. Darüber hinaus bietet momentan der seit 2015 boomende ,New Space‘-Bereich ganz neue Chancen, nun kommerzielle Lösungen bei der Erdbeobachtung und in der Telekommunikation auf den Markt zu bringen, die aber bisher vor allen in den USA genutzt werden. Insofern ist es für Bayern sicher sinnvoll, hier bayerische Firmen in den neu entstehenden, rasch wachsenden Märkten beim Start zu unterstützen.
Wie hat sich die Forschungsindustrie in der Raumfahrt insgesamt verändert?
Schilling: Während früher etwa 50 große Satelliten weltweit pro Jahr ins All geschossen wurden, plant die Firma OneWeb allein 2019 etwa 700 Satelliten in eine Umlaufbahn zu bringen. Durch die geringen Stückzahlen wurden traditionell die Satelliten meist in Handarbeit hergestellt. Jetzt kommen zunehmend Automatisierungsmethoden und Roboter zum Einsatz. Die Großsatelliten werden zunehmend durch zahlreiche Kleinsatelliten ergänzt. Die Mikro-Elektronik und intelligente Software machen sie immer leistungsfähiger, und natürlich haben Klein-Satelliten einen enormen Vorteil, da die Kosten beim Raketenstart proportional zur Masse des Satelliten sind.
Mit ,Bavaria One‘ will Bayern ja führender Anbieter bei Klein-Satelliten werden. Was können Klein-Satelliten? Und wieso sollten sie aus Bayern kommen?
Schilling: Bei den Klein-Satelliten hat die Forschung während der letzten 15 Jahre die meisten anspruchsvollen Aufgaben gut gelöst und so die Techniken bereitgestellt, die nun leistungsfähige Anwendungen ermöglichen. Die Klein-Satelliten haben mittlerweile die meisten Funktionalitäten der Großsatelliten, mit nur geringfügig reduzierten Genauigkeiten. So ist beispielsweise für Erdbeobachtung eine genaue Orientierung der Kameras auf die Oberflächenpunkte wichtig, bei der Telekommunikation müssen die Antennen des Satelliten und der Bodenstation aufeinander ausgerichtet sein.
Die Kleinsatelliten sind also nicht mehr nur ,Experimentierwürfel‘ der Universitäten?
Schilling: Nein. Während bis 2013 die Universitäten weltweit den größten Teil der Kleinst-Satelliten zur Technologie-Erprobung auf den Weg gebracht haben, auch die Würzburger UWE-Satelliten, dominieren seit 2014 die kommerziellen Missionen. Im vergangenen Jahr sind insgesamt 475 Klein-Satelliten auf den Weg gebracht worden, davon über 80 Prozent für kommerzielle Anwendungen. Und in Bayern, auch in Würzburg, sind da wichtige Technologiedurchbrüche erzielt worden. Da ist es naheliegend, diese Forschungsergebnisse und Technologieführerschaft nun auch in entsprechende zukunftsorientierte Arbeitsplätze in Bayern umzusetzen.
Die TU München soll eine Luft- und Raumfahrtfakultät bekommen. Profitiert Würzburg von ,Bavaria One‘?
Schilling: Um international wettbewerbsfähig zu sein, macht es natürlich Sinn, diese Ausbildungsrichtung Luft- und Raumfahrt zu konzentrieren. Zusätzlich wird auch die neue Technische Universität in Nürnberg die Ausbildungslandschaft verändern. Insofern wird die Universität Würzburg darauf wohlüberlegt in ihrer fachlichen Ausrichtung reagieren müssen. Seitens des unabhängigen Forschungsinstituts ,Zentrum für Telematik (ZfT)‘ werden wir sicher von ,Bavaria One‘ profitieren können. Aktuelle Schwerpunkte des ZfT sind ja explizit als Aufgabenbereiche angesprochen, wie die Kleinst-Satelliten, ,Internet of Space‘, also Internet der Dinge über Satellitenverbindungen, oder auch Quantentechnologien via Satellit. Wir halten dies auch am ZfT für besonders aussichtsreiche Wachstumsgebiete.
Löst sich nach der Wahl die ganze Strategie in Luft auf?
Schilling: Die Aufgabe, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen, stellt sich ja jeder Regierung. Insofern bin ich da sehr zuversichtlich, dass man die bestehenden Chancen nicht verstreichen lassen wird. Da wird dann sicher der neue Landtag gefragt sein, die geeigneten Antworten zu finden. In der Vergangenheit hat man ja diesen Strukturwandel auch immer durch geeignete Strategien in Bayern gut nutzen können.