
Nachdem die 7. US-Armee am 26. März 1945 den Rhein bei Worms überschritten und rasch das untere Maingebiet mit Aschaffenburg erobert hatte, sollten nunmehr zügig Würzburg, Schweinfurt und Nürnberg eingenommen werden. Mangels gravierender Nachschubprobleme – es fehlten Treibstoffe und Munition – war die deutsche Wehrmacht, soweit noch nicht zerschlagen, an allen Fronten auf dem Rückzug.
Am 30. März 1945, zwei Wochen nach der massiven Zerstörung Würzburg durch die britische Luftwaffe, zeichnete sich ab, dass demnächst der Angriff der Alliierten aus dem Westen erfolgen würde. An mehreren Tagen bombardierten amerikanische Flugverbände fast pausenlos den Bereich des Verschiebebahnhofs Würzburg-Zell und die Kasernen in der Zellerau.
Erbitterte Verteidigung der Stadt befohlen
In Würzburg war die Abwehrfront unzureichend vorbereitet, schweren Flakgeschützen fehlte der Flankenschutz, im Bereich der Infanterie standen nur geringe, für Häuserkampf und Panzerabwehr unzureichend ausgebildete Verteidigungskräfte zur Verfügung, maximal etwa 3500 Mann. Fünf Panzer älteren Typs waren einsatzbereit.

Die wenigen Flugzeuge der deutschen Luftwaffe blieben wegen Treibstoffmangels wirkungslos am Boden. Um nach Osten zu eine neue Verteidigungsfront aufbauen zu können, ordnete die Heeresleitung dennoch eine erbitterte Verteidigung der Stadt an.
In der Morgenfrühe des 1. April, dem Ostersonntag, erreichten erste amerikanische Panzer aus dem Raum Giebelstadt – dort war der Flugplatz besetzt worden – Heidingsfeld, dann auch Höchberg und den Nikolausberg. Am Ostermontag begann der Kampf um die Ruinen der alten Bischofsstadt.
Der US-Funker und der deutsche Unteroffiziersanwärter
Die Auszüge aus den folgenden Berichten stammen von einem Soldaten der US-Armee und einem der Deutschen Wehrmacht. Beide waren in der Osterwoche 1945 am Endkampf um Würzburg beteiligt. James Kerns aus Oregon war Funker bei den Pionieren der 42. US-Infanteriedivision, Rudolf Decker, 17 Jahre alt, Unteroffiziersanwärter bei einer Pionierkompanie der Wehrmacht (Erläuterungen des Bearbeiters stehen In runden Klammern).

James Kerns: „Wir sind sehr schnell durch Deutschland vorgestoßen, jeden Tag vorgerückt, wenn wir nicht durch eigene Truppen behindert wurden. Ich glaube, wir erreichten Würzburg am 2. April 1945 (Ostermontag). Wir vertrieben eine Familie aus einem sehr schönen Haus auf der westlichen Flußseite der Stadt (Mainviertel). Etwa 20 von uns fanden dort Schutz. Wir waren entzückt darüber, dass der Keller mit sehr viel Champagner und anderen Weinen bestückt war.
Am 3. April fuhr ich mit einem Leutnant Hensley und seinem Fahrer in einem Jeep. Ich saß mit einem Funkgerät auf dem Rücksitz. Wir passierten ein Schloss (Marienburg) auf der Westseite des Mains und sahen, dass an dieser Stelle der Mittelteil der Brücke (Löwenbrücke) gesprengt war. Die Kompanie mit der Ponton-Brücke war bei der Arbeit und über uns arbeitete die Bailey-Brücken-Mannschaft (Einbau von vorgefertigten Metallträgern als Ersatz der gesprengten Teile).

„Ungeheuerliches Bombardement dieser mittelalterlichen Stadt“
Am 4. April begann die Infanterie unter Beschuss von der deutschen Seite die Brücken zu überqueren. Ich blieb diesen Nachmittag im Schutz einer Mauer zwischen Schloss und Fluss. Während dieser Zeit beobachtete ich ein ungeheures Bombardement dieser mittelalterlichen Stadt durch unsere Artillerie (von Höchberg und vom Nikolausberg aus). Die Granaten gingen über meinen Kopf hinweg und das Feuer wurde von der anderen Seite erwidert, jedoch nicht in so großer Stärke. Trotz dieses Bombardements kämpften die Deutschen weiter, wie unsere Truppen am nächsten Tag selbst erfahren mussten. An diesem Tag sah ich auch zum ersten Mal ein deutsches Düsenflugzeug.

Unser Auftrag war, in der zerstörten Stadt einen Weg für die Panzer und die Infanterie vorzubereiten. Unsere Ausrüstung bestand aus sechs Lkw?s, Jeeps, Panzern mit Räumgeräten, Landebooten, Ponton-Brücken, Bailey-Brücken, Weapons Carriers (leichte Fahrzeuge mit MG), dann Lkws, „Ducks“ (Enten) genannt, die zum Boot werden konnten. Außerdem wurden wir von Luftwaffe und Artillerie unterstützt. Wir waren eine der Speerspitzen der am besten ausgebildeten und ausgerüsteten Armeen, die jemals eine Stadt angegriffen haben. Trotzdem hielten es die Deutschen in Würzburg fünf Tage gegen uns aus.
Als wir die Stadt durchquerten sah ich die enorme Zerstörung, verursacht durch Luft- und Artilleriebombardements. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie dies jemals wieder repariert werden könnte.“

Die Ziegelsteine waren noch warm vom Luftangriff
Rudolf Decker: „Unsere Kompanie wurde Ende März 1945 mit Lkws in Richtung Würzburg transportiert. Mit Infanteriewaffen ausgerüstet, marschierten wir Anfang April von Rottendorf aus, das im Osten von Würzburg liegt, in die Ruinenstadt ein. Die Ziegelsteine der ausgebrannten und eingestürzten Häuser waren von dem etwa zehn Tage vorher erfolgten Luftangriff, wobei die Stadt bis zu 85 Prozent zerstört wurde, noch warm. Der Tagesbefehl, ausgegeben von Generalfeldmarschall Kesselring an den Stadtkommandanten Oberst Richard Wolf, lautete, jedes Haus, jede Straße bis zum letzten zu verteidigen.
Als wir Anfang April in der Nähe der Residenz am Stadtfriedhof ankamen, gab es die ersten Verwundeten. Wir gerieten in schweres MG-Feuer (Maschinengewehrfeuer) der Amerikaner. Anschließend verteilten wir uns am und auf dem östlich vom Stadtfriedhof gelegenen mehrgleisigen Bahndamm (unteres Frauenland). Dieser Damm, unterbrochen durch eine Straßenunterführung, musste gehalten werden. Wir waren noch nicht richtig eingewiesen bzw. an unseren Verteidigungsstellen, als plötzlich ein amerikanischer Jeep, vermutlich aus Versehen, durch die Unterführung auf unser Gebiet kam. Es erfolgte ein Schusswechsel, der Fahrer wurde getötet, der Beifahrer gefangen genommen.

Hohe Verluste unter den Soldaten der Wehrmacht
Am nächsten Vormittag, es war schönes Wetter, wurden wir auf dem Bahndamm eingesetzt. Wir lagen zwischen den Schienen und hatten vor dem MG-Feuer kaum Deckung. Eine US-Flugbeobachtung, es war ein Leichtflugzeug mit geringer Geschwindigkeit, von uns „Lahme Ente“ genannt, lenkte gezieltes Granatwerferfeuer auf jede Bewegung. Unsere Verluste waren sehr hoch. Beim Bergen von Verwundeten wurde unser Sanitäter durch MG-Feuer getötet.
Es war am 4. April. In der Morgendämmerung erhielten wir den Befehl zum Gegenangriff. Wir nahmen etwa die Hälfte des gegenüberliegenden Straßenzuges ein, dann gelang es uns, weiter zum Main vorzustoßen. Vor der Universitätskirche gerieten wir in feindliches Geschützfeuer von der gegenüberliegenden Flußseite aus. Neben mir starb mein Freund durch eine Granatenexplosion. Gegen Mittag wurden wir von amerikanischen Panzern wieder auf unseren Ausgangspunkt (am Bahndamm) zurückgedrängt. Der hierbei erbeutete Jeep mit Schokolade und Zigaretten war für uns wie ein Geschenk. Wir hatten schon zwei Tage keine Verpflegung erhalten. Nachts, während der Kampfpause, durchsuchten wir die noch zugänglichen Keller der Häuser nach etwas Essbarem.

Während dieses sinnlosen, sechs Tage dauernden Kampfes in Würzburg haben von den eingesetzten über 3000 deutschen Soldaten 1000 ihr Leben lassen müssen. Die Zahl der amerikanischen Toten und Verwundeten ist mir nicht bekannt.“
Nach der Eroberung Würzburgs rückten die US-Truppen nach Schweinfurt, dem Zentrum der deutschen Kugellagerindustrie, und Nürnberg, Stadt der Reichsparteitage, vor. Dann folgte der Vorstoß über die Donau und München nach Südosten zur Einnahme der so genannten „Alpenfestung“ bei Berchtesgaden. Am 8. Mai 1945 war der Krieg zu Ende.
Text: Ulrich Wagner