Den Trailer liefert – ein Zufall – das Tagesgeschehen: An der russisch-finnischen Grenze stranden aktuell Flüchtlinge im Niemandsland, kommen weder weiter noch zurück. Vergleichbar die Lage auf der Bühne des Theaters an der Bibrastraße in Würzburg, wo die Opernschule der Hochschule für Musik zwei Kammeropern des 20. Jahrhunderts unter dem Thema "Oper in Zeiten des Krieges" zur Aufführung brachte.
Katharina Thoma als Künstlerische Leiterin vereint für dieses anspruchsvolle Sujet Werke von Bohuslav Martinů (1890-1959) und Viktor Ullmann (1898-1944). Fordernd, bedrückend und komisch zugleich, doch dafür gab es reichlich Diskussionsstoff sowie viel Applaus und Bravorufe am Ende der gut zweistündigen Premiere.
Absurdes Beziehungsspiel an der Grenze zweier Länder
In Bohuslav Martinůs "Komödie auf der Brücke" (1935, nach einem Spiel von Vaclav Klicpera) passieren nach und nach fünf Personen den Kontrollposten am Fuße einer Brücke, die zwei feindliche Lager trennt. Oder verbindet?
Die Beweggründe der Fünf sind unterschiedlich, doch das Schicksal beziehungsweise die Bürokratie und die Befehlshörigkeit der militärisch untergeordnet agierenden Wächter hindern sie an der Rückkehr auf die eigene Seite. Es entspinnt sich ein kurioses und gleichermaßen absurdes Beziehungsspiel, in dem schnell klar wird, wie nichtig viele Alltagsprobleme und -themen angesichts existentieller Fragen sind.
Vom seidenen Hochzeitskleid und nahen Tod
Josefin (Mechtild Söffler gibt ihr lebenshungrige Naivität) etwa bedauert angesichts des drohenden Todes, dass sie nie ihr seidenes Hochzeitskleid tragen wird. Ihr Verlobter Hans (voll dunkler Eifersucht: Juho Sten), der leicht verführbare Brauer (Lorenz Schober) und seine zornentbrannte Ehefrau Eva (Isabel Grübl) werden vom Schulmeister (Adnan Barami) genervt, für den das Lösen eines sinnfreien Rätsels ungeheuer wichtig zu sein scheint und der dennoch mit seinem Latein am Ende ist.
Den Schlusspunkt setzt Artilleriebeschuss und es gibt einen Sieger. Zurück bleiben Verwüstung und Tod.
Den Schauspielern gelingt die Individualität
Katharina Thoma und Andreas Herold stellen die Figuren in ein Bühnenbild, dessen Kargheit den Blick auf das Wesentliche fokussiert: Auf der Brücke, zu der zwei Treppen hinaufführen, geht es um Macht und Befehlserfüllung um jeden Preis, sei er noch so sinnlos.
Das Leben als Mensch mit Alltagsproblemen und ganz anderen Sorgen bildet den Gegenpol. Die Individualitäten auszugestalten, das gelingt den Mitwirkenden sowohl sängerisch als auch darstellerisch vorzüglich.
Ganz anders Viktor Ullmanns 1943 im Ghetto Theresienstadt geschaffene Oper "Der Kaiser von Atlantis" (Libretto: Peter Kien). Hier geben sich Vergangenheit und Gegenwart auf geradezu bestürzende Weise die Hand: Der Kaiser Overall hat eine Tötungsindustrie installiert. Er selbst agiert nie in der Öffentlichkeit, bedient sich eines "Lautsprechers" (Juho Sten), um seine Dekrete verbreiten zu lassen.
Als der Tod seine Dienste verweigert
Wenzheng Tong als Kaiser Overall verkörpert den Herrscher des III. Reiches sehr augenfällig, stützt sich breit auf seinen Schreibtisch, strahlt zeitlosen Despotismus und Kälte aus. Als äußeres Zeichen seiner Macht trägt er eine meterlange rote Schleppe (Kostüme: Irina Bartels).
Doch irgendwann verweigert der Tod (Emil Greiter) ihm seine Dienste, die Menschen können nicht mehr sterben, nicht Bubikopf (Sydney Penny), Harlekin (vital: Marcel Hubner) und der Trommler (stimmlich raumgreifend: Isabel Grübl), nicht Alte oder Verletzte. Selbst das gegenseitige Töten der Soldaten klappt nicht mehr, des Kaisers Macht greift nicht. Es kommt zu Aufständen der "lebenden Toten", bis der Kaiser alle durch seinen eigenen Tod erlöst.
Jede Textzeile, jede Aktion in diesem Werk, in dieser Inszenierung hat es in sich. Den Bogen über die Jahrzehnte schlagen eingeblendete Zeitungsschlagzeilen vom Zweiten Weltkrieg bis ins Jetzt.
Hochschulsinfonieorchester geht bis ins kleinste Detail
Das Thema ist allgegenwärtig, der Tod und die Menschheit tanzen und marschieren, torkeln dahin vor einem Symbol, das an ein angedeutetes Hakenkreuz wie auch an eine Sense denken lässt. Dazu die kunterbunte Musik, parodierend, teilweise volksliedhaft, eindringlich, hymnisch und grotesk: Das klein besetzte Hochschulsinfonieorchester unter dem gesamtmusikalischen Leiter Andreas Hotz ist exzellent vorbereitet und widmet sich der Vielfalt der Kontraste bis in kleinste Details.
Der Opernschule ist eine Produktion gelungen, die in ihrer Intensität, Vielfalt und Bedeutung den Atem über weite Strecken stocken lässt. "Ich bin das letzte Schlummerlied", singt der Tod und bricht dadurch jegliche Arroganz. Er allein bleibt in den Trümmern der Menschheit zurück.
Weitere Aufführungen im Theater an der Bibrastraße in Würzburg: 25., 27., 28., 30. November, 1. Dezember.