(bt) Gewalttätige Jugendliche auf einen anderen Weg bringen, indem man sie mittels Kampfsport und Körpererfahrungen in Vereine integriert. Darauf zielt das neue Projekt „Socius“ des Uni-Instituts für Sportwissenschaft ab. Ein erster Würzburger Verein ist als Kooperationspartner bereits gefunden.
Ausgerechnet mit Kampfsport sollen jugendliche Gewalttäter von aggressivem Verhalten abgebracht werden? Professor Harald Lange, Leiter des Institus, ist überzeugt: „Pädagogisch gelenktes Kämpfen kann dazu führen, dass Jugendliche den Gegner als Partner respektieren lernen, dass sie am eigenen Leib den Zusammenhang spüren zwischen dem, was sie tun, und dem, was sie damit bewirken. Es ist ein Weg zur Gewaltprävention.“
Doktorand Christoph Ritz zufolge liegen die Ursachen für Gewalt vor allem in familiären Situationen begründet: „Gewaltauffällige Kinder und Jugendliche haben zu wenige oder keine positiven Vorbilder; ihnen fehlen Möglichkeiten, sich mit anderen auseinanderzusetzen. Sozial verträgliche Umgangsformen und eine Streitkultur, das müssen sie erst lernen“, so Ritz. Für diesen Lernprozess biete Kampfsport einen geeigneten Rahmen: Die Jugendlichen können mit Hilfe klarer Regelwerke zwischenmenschliche Körpererfahrungen sammeln, Körperkontakt aufnehmen, sich miteinander messen und ihre Grenzen erfahren.
Auf Kampfsportübungen alleine setzt das Projekt allerdings nicht. Ergänzt wird es von Gesprächsgruppen, therapeutischen Lauftrainings und anderen bewegungspädagogischen Maßnahmen. „Durch Sport bekommt man sehr gut Zugang zu schwierigen Jugendlichen“, sagt Christoph Ritz. Das weiß er aus Erfahrung, denn er hat in der Würzburger Justizvollzugsanstalt eine Zeit lang die U-Haft-Sportgruppen betreut und darüber seine Diplomarbeit geschrieben.
„Wenn die Leute nach einem intensiven körperlichen Training richtig ausgepowert sind, sind sie zugänglicher für Gespräche.“ Wie lebst du und warum lebst du so? Wie handelst du in heiklen Situationen? Solche Themen kommen dann auf den Tisch. Das bringt die Jugendlichen zum Nachdenken und stößt bei ihnen etwas an.
Wie läuft das Projekt „Socius“ genau ab? Der kooperierende Verein, die Freien Turner, hat eigens eine Taekwondo-Abteilung gegründet. Zusammen mit den Übungsleitern werden Christoph Ritz und sein Kollege Carlos Luis Granados versuchen, gewaltauffällige Jugendliche dort zu integrieren. Beide sind lizenzierte Trainer: Christoph für Boxen und Muay-Thai-Boxen, Carlos für Taekwondo.
Pro Woche zwei Mal Kämpfen, ein Mal Laufen, dazu Gesprächsgruppen im Sportzentrum der Uni. 25 bis 30 Jugendliche im Alter von 11 bis 19 Jahren kann das Projekt aufnehmen. Sie müssen aus freien Stücken mitmachen. Unter den ersten Teilnehmern sind auch Mädchen.
„Den Kontakt zu den Jugendlichen gestalten wir sehr eng“, sagt Christoph Ritz. Dazu gehöre auch, dass man sie zu den Sportterminen von zu Hause abholt. Sofern die Jugendlichen mit ihren Eltern in Verbindung stehen, sollen auch diese eingebunden werden. Das kann die Beziehung zwischen Kindern und Eltern stärken und verbessern.
Was die Maßnahmen am Ende bewirken, wird Christoph Ritz wissenschaftlich untersuchen. Wie ändert sich das Erleben und das soziale Verhalten der Jugendlichen? Das soll durch Fragebögen und Interviews mit den Betroffenen, ihren Eltern, den Sportübungsleitern und anderen Beteiligten klar werden. Mit ersten Ergebnissen ist voraussichtlich Mitte 2011 zu rechnen.
Der Würzburger Sportwissenschaftler schreibt seine Doktorarbeit über das Projekt. Im Verbund mit einer schulbezogenen Studie, dem Promotionsprojekt von Thomas Leffler, markiert es einen weiteren Eckpfeiler des Institutsschwerpunkts „Kämpfen lernen und Gewaltprävention“: „Weil hier einerseits viele grundlegende sport- und bewegungspädagogische Fragen sichtbar werden und andererseits handfeste Praxisperspektiven gegeben sind, wird sich dieser Forschungsschwerpunkt sicherlich bald ausweiten. Es sind also für Studierende auch Bachelor-, Master- oder Zulassungsarbeiten drin“, meint Professor Harald Lange.
Nach den Freien Turnern sollen weitere Sportvereine gewonnen werden. Auch der Bayerische Landessportverband und nationale Kampfsportverbände machen mit – denn für die Jugendlichen kann es ein großer Anreiz sein, einmal mit Olympiasiegern trainieren zu dürfen.
Wohl am wichtigsten aber ist die Teilnahme sozialer Einrichtungen, die den Kontakt zu gewaltauffälligen Jugendlichen anbahnen und begleiten: Schulamt, Jugendamt, Allgemeiner Sozialdienst, Bewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe, Polizei und andere Partner hat man bereits für das Projekt gewonnen.
Christoph Ritz Doktorand