Selbstfahrende Staubsauger und Rasenmäher gelten zumindest im eigenen Anwesen als Luxus. Für den Intralogistik-Spezialisten SSI Schäfer aus Giebelstadt sind eigenständig agierende Gerätschaften logistischer Alltag. "Wir haben vor einiger Zeit ein autonomes Fahrzeug benötigt, um Behälter und andere Kartonagen transportieren zu können", sagt Peter Hemberger, der das Technologiezentrum von SSI Schäfer vor den Toren Würzburgs leitet. "Doch die Technik, die es auf dem Markt gibt, hat unseren Anforderungen nicht genügt." Also entwickelten die Mitarbeiter des Lagersystem-Herstellers ein eigenes Fahrzeug: So entstand das Weasel (gesprochen: Wiesel).
Gerade machen sich in der 4500 Quadratmeter großen Vorführhalle mehrere dieser selbstfahrenden Mini-Transportfahrzeuge auf den Weg, um an der gegenüberliegenden Fördertechnik nacheinander einzelne Behälter abzuholen. "Dabei wird die Geschwindigkeit des Förderbandes und das Weasel miteinander synchronisiert, damit die Behälter von oben exakt auf den Borsten landen", erklärt Hemberger.
Sensoren verhindern Unfälle
Die Borsten seien angebracht, damit der Roboter später nacheinander die sogenannten Cases (der englische Begriff für Handelseinheiten) greifen und daraus eine Palette bauen kann. "Aufgrund von Sicherheitsbestimmungen fahren die Weasel nicht schneller als einen Meter pro Sekunde und stoppen aufgrund von Sensoren sofort, sobald sie auf ein Hindernis treffen", berichtet Hemberger.
Die Giebelstädter haben eine eigene IT-Gesellschaft, die fast alle Ideen in Logistiksystemen selbst umsetzen kann. Überhaupt wird die Fertigungstiefe im Unternehmen großgeschrieben. "80 bis 90 Prozent der Komponenten für unsere Logistiklösungen stammen aus unserer Gruppe", berichtet Technik-Geschäftsführer Peter Berlik.
Gemeinsam mit Brigitte Thalmann (kaufmännischer Bereich) und Peter Lambrecht (Projektrealisierung) leitet Berlik den Giebelstädter Standort, der mittlerweile 730 Festangestellte beschäftigt. "Wir legen großen Wert darauf, unseren Nachwuchs selbst auszubilden", sagt Thalmann. So kämen zur Stammbelegschaft nochmals circa 20 Prozent an Auszubildenden und Studenten hinzu. "Natürlich spüren auch wir den Fachkräftemangel – gerade was erfahrene Spezialisten angeht", betont die Managerin. Um hochqualifizierte Arbeitskräfte anzulocken, tue das Unternehmen einiges: "Wir haben eine firmeneigene Kinderferienbetreuung, bieten Yoga-Kurse an und veranstalten Gemeinschaftsevents wie Firmenfeiern sowie Skifreizeiten."
Neuer Bau wegen Platzmangels
Weil SSI Schäfer sowohl beim Personal als auch beim Umsatz jährlich um rund zehn Prozent wächst, platzt das Unternehmen in den früheren Kasernengebäuden am Klingholz mittlerweile aus allen Nähten. "Daher bauen wir derzeit ein neues, fünfstöckiges Verwaltungsgebäude, das rund 450 Mitarbeitenden Platz bieten wird", so Thalmann. Der Einzug sei für den Herbst vorgesehen.
An eine solche Entwicklung war um die Jahrtausendwende noch nicht zu denken. Damals wurde die ehemalige Fördertechnik-Abteilung der Noell-Gruppe mit 120 Angestellten von der in Neunkirchen (Siegerland) ansässigen Mutter SSI Schäfer herausgelöst – und aus der Alfred-Nobel-Straße in Würzburg nach Giebelstadt umgesiedelt.
"Die weiter zunehmende Automatisierung und Trends wie Industrie 4.0 und künstliche Intelligenzhaben uns in den letzten Jahren sicher in die Karten gespielt", betont Lambrecht. Die SSI Schäfer Gruppe ist weltweit aktiv – in den USA und China, aber auch in Australien und auf den Philippinnen – und beschäftigt rund 10 500 Mitarbeiter.
Deutscher Markt als Schwerpunkt
Der Schwerpunkt liegt jedoch nach wie vor auf dem deutschen Markt, wo das Unternehmen Intralogistik-Systeme für Automobilzulieferer, Lebensmitteldiscounter, Modekonzerne oder Pharmariesen realisiert. "Dadurch, dass wir in ganz unterschiedlichen Branchen unterwegs sind, haben wir eine breite Diversifizierung", bemerkt Berlik.
Zurück im Technologiezentrum: Hemberger führt verschiedene Varianten von Lagersystemen vor. "Je nach Kundenbedürfnissen ist die Größe, Geschwindigkeit und Leistung unterschiedlich", berichtet der 59-jährige Reichenberger, der seit den Anfängen im Unternehmen ist. Als nächstes startet er ein automatisches Gerät zur Ein- und Auslagerung von Paletten, das ein wenig an eine Mini-Ausführung des Freefall-Towers auf Kiliani erinnert.
Technik weiß, was sie tut
Mit Schwung und vielen Lichteffekten steuert das Regalbediengerät gezielt die einzelnen Fächer des Hochregellagers an. "Hier herrscht das Prinzip der chaotischen Lagerung", erklärt Hemberger. Das bedeutet nicht, dass die Technik nicht weiß, was sie tut – im Gegenteil. "Es gibt nur keine festen Lagerplätze. So werden genau die Fächer gefüllt, die gerade frei sind."
Ein solches Hochregallager kann bis zu 200 Meter lang und 45 Meter hoch sein. Häufig stehen sie in riesigen Hallen entlang der Autobahnen. "Viele unserer Produkte können wir allein aufgrund der Dimensionen nur direkt beim Kunden aufbauen", sagt Berlik. "Im Technologiezentrum testen wir diese intensiv und setzen uns mit den konkreten Anforderungen auseinander." So sind auch viele ergonomische Arbeitsplätze in der Logistik entstanden. Denn manch einen Schritt kann der Mensch immer noch besser ausführen als die Maschine – freilich stets mit IT-Unterstützung.
Bei SSI Schäfer geht es nicht nur darum zu kommissionieren und Paletten zu bauen. Auch der umgekehrte Fall wird stark nachgefragt. "Stellen Sie sich nur ein Lebensmittelgeschäft vor. Es hat gar nicht die Lagerfläche, um jedes seiner unzähligen Produkte palettenweise zu lagern", erläutert Hemberger. "Wir können daher vollautomatisiert eine komplette Palette zerlegen und sie individuell mit verschiedenen Produkten für das jeweilige Geschäft zusammenbauen."
Dabei entstehen natürlich größere Herausforderungen: Die Chips etwa sollten nicht unter den Gurkengläsern liegen. "Insgesamt gibt es 50 verschiedene Parameter, die beim Zusammensetzen der Palette berücksichtigt werden, auch damit sie platzsparend gepackt wird", ergänzt Berlik. Es ist ein bisschen wie beim Videospiel Tetris – nur dass der Roboter schon vorher weiß, dass er am Ende die Höchstpunktzahl erreichen wird, weil er bereits den genauen Aufbau der Palette kennt.