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WÜRZBURG
Arnold Reinsteins verbotene Freundschaft: Von den Nazis in den Tod getrieben
Mai 1941. Zwei Freunde fahren mit dem Fahrrad von Würzburg nach Urspringen. Sie sind guter Laune, fotografieren sich gegenseitig. Fünf Monate später erhängt sich einer der Männer im KZ Dachau, von der Würzburger Gastapo in den Tod getrieben. Ihre Freundschaft ist verboten – ebenso wie das Fotografieren.
Von unserem Redaktionsmitglied Roland Flade
 |  aktualisiert: 24.03.2009 11:40 Uhr

Arnold Reinstein, einer der beiden, wurde am 16. März 1902 als Sohn eines jüdischen Weinhändlers in Würzburg geboren. Er besuchte das Realgymnasium (heute Siebold-Gymnasium) und meldete sich im Frühjahr 1919, gerade 17-jährig, zum Freikorps, das zur Niederschlagung kommunistischen Räterepubliken in verschiedenen bayerischen Städten gegründet worden war.

Nach dem Abitur begann Arnold Reinstein ein Volkswirtschaftsstudium. Sein Vater starb 1921 und der junge Mann sah sich gezwungen, mit seinem zwei jahre älteren Bruder Wilhelm die Firma zu übernehmen. Sein Studium beendete er nicht, wie er auch den Weinhandel ohne rechte Begeisterung betrieb. Sein eigentliches Interesse galt dem Journalismus, seine große Leidenschaft war das Fotografieren.

Arnold Reinstein war ein geselliger Mensch. Josef Neckermann, der 1935 das Warenhaus von Siegmund Ruschkewitz „arisierte“, war in den zwanziger Jahren sein Reiterkamerad; in der Würzburger Rudergesellschaft von 1905 freundete er sich mit dem nichtjüdischen Zahndentisten Karl Holzapfel an, seinem Begleiter auf der verhängnisvollen Fahrradtour.

Bis zum Jahr 1927 redigierte Reinstein die Spalte „Kunst und Theaterkritik“ in der Würzburger SPD-Zeitung „Fränkischer Volksfreund“ und schrieb selbst regelmäßig Glossen im Stil eines Erich Kästner und Joachim Ringelnatz. Daneben fotografierte er; im Februar 1933, kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, stellte er seine Bilder in Würzburg aus. Der „General-Anzeiger“, Vorläufer der Main-Post, bescheinigte ihm einen „frischen und kecken Blick“.

Als ehemaliger SPD-Sympathisant fiel Reinstein der Würzburger Gestapo auf. Zu Beginn des Jahres 1934 wurde seine Post überwacht und seine Wohnung durchsucht. Die Staatspolizei fielen Gedichtbände von Tucholsky und Kästner in die Hände, die beide als Staatsfeinde galten.

Am 10. November 1938 wurde Reinstein während des Novemberpogroms wie Hunderte andere Würzburger Juden verhaftet und in das KZ Dachau eingeliefert. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits Anstrengungen unternommen, um in die USA auszuwandern. Gleichzeitig bemühte er sich um die Erlaubnis zur Einreise und Niederlassung in der Dominikanischen Republik.

Im Sommer 1939 zerschlugen sich nicht nur diese Pläne wegen Geldmangels, sondern auch das Projekt, nach Großbritannien zu emigrieren. Dorthin war Reinsteins Braut Norma Strauß geflohen, die in Würzburg ein Atelier für Handweberei besessen hatte. Von 1940 bis 1942 war sie als „feindliche Ausländerin“ auf der Isle of Man interniert.

Im Januar 1940 fiel Reinstein, der immer noch gerne fotografierte, in Würzburg einem aufmerksamen Bürger auf, der ihn bei der Gestapo denunzierte. Die vermutete „Spionage“ und durchwühlte erneut seine Wohnung, ohne jedoch einen Beweis dafür zu finden, „dass er militärische Objekte usw. fotografiert hat“, wie es fast bedauernd in einem internen Bericht hieß. Trotzdem wurde ihm jedes Fotografieren außerhalb der Wohnung verboten.

Arnold Reinstein war inzwischen zur Zwangsarbeit in einer Autofirma in der Münzstraße verpflichtet worden. Später erlaubte ihm die Gestapo, als Fotograf in seiner Wohnung zu arbeiten, wo er Bilder emigrationswilliger Mitglieder der jüdischen Gemeinde aufnahm, die diese für ihre Auswanderungsunterlagen benötigten.

Aus Briefen, die er seinem ein Jahr älteren, mittlerweile in Portugal lebenden Freund Alfred Haas schickte, lässt sich sein verzweifelter Kampf um irgendeine Auswanderungsmöglichkeit herauslesen.

„Ich arbeite – noch – als Heimarbeiter, hauptsächlich Vergrößerungen“, notierte er am 27. Juli 1940. „Das muss manchmal sehr hurtig gehen. Nun, ich hoffe tatsächlich, auch in den USA einmal mein Butterbrot damit zu verdienen, nachdem ich in der Zwischenzeit einiges dazugelernt habe. Nur in der Farbenfotografie, die drüben ganz groß ist, habe ich noch Lücken.“

Am 23. September 1940 war Reinstein der Verzweiflung nah: „Vermutlich werde ich mich eines Tages beeilen, meinen restlichen Entwickler auszusaufen, da ich hoffentlich fürs Jenseits kein Visum brauche“, schrieb er nach Portugal. „Ich scheine ja im Himmel seit einiger Zeit ganz besonders unbeliebt zu sein und das rächt sich dann auf Erden“, steht in einem Brief voller Galgenhumor, den Reinstein im Februar 1941 an Otto Haas schickte. „Ich weiß nicht, ob mein Schutzengel überfahren worden ist oder unter ein Flugzeug geraten ist, auf jeden Fall gehen sie da oben schwer mit mir um.“

Im April 1941 schien sich Reinsteins Traum doch noch zu erfüllen; ein Bekannter hatte die für die Emigration nötigen 420 Dollar für ihn hinterlegt, und das amerikanische Konsulat in Stuttgart bestätigte ihm, dass er einreisen durfte – falls er ihm gelingen würde, doch noch eine der zu diesem Zeitpunkt schon äußerst seltenen Schiffspassagen zu buchen.

„Ich sollte zwar das Warten gelernt haben, aber jetzt, wo ich endlich die theoretische, lies materielle Möglichkeit zum Fortkommen hätte, habe ich richtig Feuer unter dem Hintern“, hieß es in einem Brief vom 24. April 1941. „Was mich draußen erwartet, weiß ich, und dass es sehr, sehr schwer wird. Aber lieber den bescheidensten, dreckigsten kleinen Anfang als dieses sinnlose Warten mit dem immerwährenden mulmigen Gefühl.“

Einen Monat später war es so weit; für Arnold Reinstein wurde eine Schiffspassage nach Amerika reserviert. Er begann, seine Koffer zu packen. Der hilfsbereite Bekannte, dem er so viel verdankte, stammte aus Urspringen bei Marktheidenfeld. Mit seinem Freund Karl Holzapfel unternahm der 39-Jährige am 18. Mai 1941, einem Sonntag, eine Fahrradtour am Main entlang nach Urspringen. Die Kamera, die er laut Gestapo-Befehl nur noch in der Wohnung benutzen durfte, hatte er dabei.

Die Freunde waren glänzender Laune und fotografierten sich auf dem Weg gegenseitig. Für den Kameraden stellte sich Reinstein, über das ganze Gesicht lachend, in Positur. Auch in Urspringen holte Reinstein die Kamera heraus. Einigen Einwohnern kamen die Fremden verdächtig vor; sie alarmierten den Gendarmerieposten, der sofort einschritt, die beiden verhörte und den Film beschlagnahmte. Die Gestapo-Maschinerie begann erneut zu arbeiten.

Der Würzburger Gestapo-Chef Michael Völkl ließ Reinstein am 27. Mai festnehmen; einige Tage später wurde auch Holzapfel verhaftet. Wochenlang saßen die beiden im Polizeigefängnis in der Ottostraße. Völkl beantragte in einem Schreiben an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin in drängenden Worten „Schutzhaft“ und Einweisung in ein KZ.

Stolz auf seinen Ermittlungserfolg schilderte er die „Verbrechen“ der Freunde: „Ich habe festgestellt, dass Holzapfel und Reinstein außer der Radtour nach Urspringen auch solche nach Veitshöchheim, Randersacker und in Richtung Sommerhausen unternommen haben.“ Völkl, der nach dem Krieg Selbstmord beging, listete weitere Vergehen auf: „Nicht selten ist es auch vorgekommen, dass sich beide, angeblich zufällig, im Stadtbereich Würzburg getroffen haben und anschließend zusammen spazieren gegangen sind.“

Solche Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden hatten die Nazis längst untersagt. Doch Karl Holzapfel und Arnold Reinstein weigerten sich, die unmenschliche Kontaktsperre zu akzeptieren. „Beide glaubten, in Freundschaft miteinander verkehren zu dürfen“, empörte sich Völkl.

Am 20. August 1941 trafen die „Schutzhaft“-Befehle ein. Inzwischen war das Schiff, das Arnold Reinstein in die USA bringen sollte, längst abgefahren. Die beiden Freunde sollten nach Dachau transportiert werden.

Drei Tage später schrieb Reinstein einen Brief an seine Schwester Elly: „Ich muss, nachdem Schutzhaftbefehl gegen mich ergangen ist, damit rechnen, dass ich in Kürze ins Lager komme. Was das für mich bedeutet, weißt Du. Es wäre das Ende, und ich bin fest davon überzeugt, dass es so weit ist.“. Denn eine Entlassung, so Reinstein weiter, kommt wohl nur in Frage, „wenn der Nachweis der sofortigen Auswanderung jetzt vorgelegt werden könnte.“

„Ich hoffe tatsächlich, auch in den USA einmal mein Butterbrot mit dem Fotografieren zu verdienen“

Arnold Reinstein in einem Brief an seinen Freund Alfred Haas

Der 39-Jährige hatte keine Illusionen mehr: „Ich weiß nicht, wie ich das machen soll mit gebundenen Händen, und ob ich jetzt noch einmal so schnell einen Schiffsplatz bekomme, nachdem ich diesen glücklichen Zufall vor drei Monaten nicht mehr ausnutzen konnte.“ Es war ein Abschiedsbrief. Er schloss mit den Worten: „Ich grüße und denke an alle, die mich lieb gehabt haben. Euer Arnold.“

Der Brief erreichte seine Adressatin nie, denn die Würzburger Gestapo betrachtete ihn als „wegen seines Inhaltes nicht zur Weitergabe geeignet“. Er befindet sich heute zusammen mit weitern Dokumenten und Fotos zum Fall Reinstein im Staatsarchiv in der Residenz.

Nach vierwöchiger Haft in Dachau erhängte sich Arnold Reinstein in der Nacht zum 17. Oktober 1941 in seiner Zelle. Seine Leiche wurde verbrannt, die Asche auf dem Würzburger jüdischen Friedhof in der Werner-von-Siemens-Straße beigesetzt.

Karl Holzapfel blieb bis zum 27. November im Konzentrationslager und wurde bei der Entlassung „wegen seines vor der Inschutzhaftnahme an den Tag gelegten verwerflichen Verhaltens nochmals schärfstens und eindringlichst verwarnt.“

Der 27. November 1941 war auch der Tag, an dem der erste Deportationszug mit Würzburger Juden die Stadt verließ. Unter den Verschleppten und im Osten Ermordeten waren Reinsteins Bruder Wilhelm und dessen Ehefrau Irma.

Arnold Reinsteins 76-jährige Mutter Lotte und seine 46 Jahre alte Schwester Elly wurden am 23. September 1942 in das Getto Theresienstadt deportiert. Den dortigen unmenschlichen Zuständen fiel die Mutter am 29. Mai 1943 zum Opfer. Elly musste im Oktober 1944 erneut einen Deportationszug besteigen. Er fuhr direkt an die Rampe in Auschwitz-Birkenau.

Für Arnold Reinstein und seine Angehörigen wurden am Donnerstag, 19. März, Stolpersteine vor dem Anwesen Friedrich-Ebert-Ring 34 verlegt. Als die Straße noch Hindenburgstraße hieß, hatte die Familie hier gelebt. Reinsteins Verlobte Norma Strauß erreiche nach dem Krieg die Anerkennung als seine Ehefrau, da mehrere Freunde bezeugten, dass sie heiraten wollten. Sie kehrte nach Deutschland zurück und arbeitete für den Senat in Berlin.

 
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