In Krimis steht der Todeszeitpunkt meist recht schnell fest. Dann wird das Umfeld des Opfers untersucht und am Ende der Mörder gefragt: Warum?
Bei dem einzigen Heiligen, der in Würzburg geboren wurde, Aquilin, war es grade umgekehrt. Überliefert ist das Motiv seines Todes: Der profilierte Kleriker hatte sich in Mailand niedergelassen und soll dort in die letzten, aber ausgesprochen heftigen Auseinandersetzungen mit den Neumanichäern geraten sein. Als diesen finsteren Zwei-Welten-Theologen die verbalen Argumente ausgingen, beendete einer den Disput mit dem Dolch, den er dem gebürtigen Mainfranken in den Hals rammte.
Selbst wenn das meiste davon Legende ist, bleibt doch eins klar: Nach dem Jahr 1018 sind keine neomanichäischen Verwerfungen in der norditalienischen Metropole mehr überliefert. Ihr gut-christlicher Gegenspieler Aquilin muss also vorher gestorben sein. Hier entschieden sich die katholischen Verwalter des Heiligenkalenders für die nächstmögliche Variante: Todeszeitpunkt 1017.
Das Jahr weicht erheblich von dem ab, das in der Würzburger Hörleingasse an Aquilins Geburtshaus steht: Anno 786 sei der berühmteste Bewohner dieser Adresse den Märtyrertod gestorben. Dekan Jürgen Vorndran kennt sogar noch eine deutlich frühere Variante. Da hielten sich die Kirchenhistoriker an die jahrhundertelang schwärende Auseinandersetzung mit den Neumanichäern und verlegten Aquilins Tod in den Arianerstreit des 4. Jahrhunderts.
Ein Eck vom Geburtshaus entfernt, in der Peterskirche, hängt seit Freitag eine kleine Ausstellung über das Nachleben des Heiligen. Das verlief erst einmal 600 Jahre lang stumm. Kein Würzburger wusste mehr von einem eingeborenen Aquilin, bis ein brandneu gedrucktes Heiligenverzeichnis aus Italien seinen Weg an den Main fand. Und hier lasen die verblüfften Würzburger, in ihrer Stadt sei ein nachmaliger Märtyrer geboren, der in der Lombardei in höchsten Ehren stand. Dieser Heilige wurde, Station eins der Ausstellung, sogleich, d.h. 20 Jahre später, in einem Kupferstich abgebildet.
Auf diese frühbarocke Gründungsphase folgte ein knappes Jahrhundert später das nächste Kapitel. Wie Vorndran feststellt: „Heiligendarstellungen sind Moden unterworfen.“ In der Mitte des linken Seitengangs von St. Peter sieht man nun also ein Porträt des großen Würzburgers mit individuellen Zügen, die allerdings nachweislich – und die Ausstellung weist das nach – stark der Physiognomie des Heiligen Johann Nepomuk ähneln, einschließlich der Gestik, ja bis hin zur Chorherrenkleidung.
Eine Individualität konnte Aquilin seiner Nachwelt also nicht abringen. Aber das war auch gar nicht notwendig. Schließlich lag sein Leichnam in einem Kristallsarg zu San Lorenzo relativ unverwest, etwa im Erhaltungsgrad einer Mumie. Man musste das heilige Antlitz also gar nicht unbedingt abbilden. Es gab ja das Original, jedenfalls in Italien, der Überlieferung nach.
Einmal hätte es eine Statue Aquilins, erzählt Jürgen Vorndran, fast auf die Alte Mainbrücke geschafft. Fürstbischof Franz von Hutten hatte das schon angewiesen, starb dann aber. Sein Nachfolger Friedrich Karl von Schönborn ließ statt Aquilins dann lieber die Figuren des Heiligen Friedrich und Karls des Großen steinmetzen.
Ein dritter Teil der kleinen Ausstellung befasst sich schließlich mit dem Reliquienkult. Denn, noch einmal Vorndran: Körper- oder Kleidungsteile von Heiligen standen in der Entwicklung der Verehrung am Anfang. Abbildungen dienten als Ersatz solcher echten Objekte der Anbetung.
Nur dass Würzburg beides hat: schon seit längerem einen Knochensplitter, der dem hiesigen Heiligen zugesprochen wird. Und Anfang dieses Jahres, zum Aquilinstag, schenkte eine Abordnung der Mailänder Kirche St. Lorenzo der Würzburger Peterskirche eine ganze Rippe dieses Sohns der Stadt. Die liegt nun in gradliniger Verlängerung der Bilderschau in einem neuen goldenen Reliquiar auf dem Aquilinsaltar.
Im Stil der Gegenwart 2017 ist die Ausstellung insgesamt gestaltet. Art und Umfang der Schriftelemente passt genau zum Museum am Dom. Und im Kunstreferat der Diözese haben denn auch dessen kommissarischer Leiter Jürgen Emmert und Patrick Melber die Ausstellung entworfen. Emmert sagt: „Wir wollen die Kirche nicht musealisieren. Die Ausstellung nimmt Rücksicht auf die Liturgie.“ Ein Gotteshaus wie die „legendäre Heimatkirche Aquilins – und nicht das Museum am Dom – habe man zum Schauplatz gewählt, damit jeder ohne Eintritt zu zahlen Zugang habe.
Bild und Verehrung. 1000 Jahre Martyrium Aquilin. Pfarrkirche St. Peter und Paul bis 25. Oktober. Mo.-Sa. 10-17, So. 12-17 Uhr (ausgenommen bei Gottesdiensten). Führungen jd. So., 16 Uhr.